Conrad Taler
Bremen (Weltexpresso) - Vor 58 Jahren hat Horst Seehofers verstorbener CSU-Parteifreund Hermann Höcherl als Bundesinnenminister den ersten Bericht des Verfassungsschutzes über extremistische Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland vorgelegt. Dem Rechtsextremismus hat das nicht geschadet.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung, hinter der schon immer ein kluger Kopf steckte, zog damals den Schluss, dass der Rechtsradikalismus vereinsamt. Alle Zahlen über die angebliche Gefahr von rechts hätten sich nach Behördenangaben als kommunistische Propaganda erwiesen. 58 Jahre sind eine lange Zeit, in der die jeweils politisch Verantwortlichen es nicht an Beteuerungen über die Notwendigkeit der Bekämpfung von Rechts- und von Linksextremismus haben fehlen lassen. Bewirkt haben sie nichts.
Auch der aus aktuellem Anlass von Bundesinnenminister Seehofer angeforderte Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz über die Ausbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts bei den Sicherheitsbehörden wird folgenlos bleiben. Darin sind sich alle politischen Beobachter einig. Im Zeitraum von Juli 2017 bis März 2020 wurden bei den Sicherheitsbehörden rund 350 rechtsextreme Vorfälle registriert. Als Bezugsgröße nannte die Tagesschau die Gesamtzahl der Beschäftigten bei der Bundespolizei, dem Bundeskriminalamt, dem Bundesnachrichtendienst sowie den Polizei und Verfassungsschutzbehörden, die sich auf 300 000 belaufe. Daran gemessen beträgt die Zahl der registrierten Verdachtsfälle nach Adam Riese rund 0,1 Prozent.
Viel Lärm um nichts? Wie ist der Verfassungsschutz auf die Zahl 350 gekommen? Hat er die Wirklichkeit tatsächlich erfasst, oder muss nicht davon ausgegangen werden, dass man es mit einer größeren Zahl derartiger Fälle zu tun haben könnte, von denen man noch nichts weiß, wie Michael Götschenberg vom ARD-Hauptstadtstudio argwöhnt? Erfasst wurden offensichtlich nur Fälle, die dem Verfassungsschutz von den Behörden gemeldet wurden. Waren das auch alle?
Nach wie vor steht die Feststellung der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken im Raum, die Polizei habe ein strukturelles Rassismusproblem. Ihm auf den Grund zu gehen, lehnt Horst Seehofer ab. Er befürwortet stattdessen eine Studie, die die Gesamtbevölkerung erfasst. Deren statistisches Ergebnis hätte mit dem eigentlichen Problem nichts zu tun, das da lautet: Wieso kann sich ein Gedankengebäude, das zu Auschwitz geführt hat, so lange am Leben halten? Warum finden Beschäftigte bei Behörden, die den Schutz der Verfassung im Namen tragen, Gefallen an Anschauungen, die dem Grundgesetz zuwider laufen?
Ganz offensichtlich wurde zu wenig getan, die Verbrechen, die mit dem Rechtsextremismus der Nazis einhergingen, im Bewusstsein der Menschen zu verankern. Das offizielle Gedenken an die Opfer steht in krassem Gegensatz zur politischen Wirklichkeit, die aus einer Kette nicht enden wollender judenfeindlicher Anschläge besteht. Dass Synagogen in Deutschland unter Polizeischutz gestellt werden müssen, dass ein Landesminister nicht davor zurückschreckt, Sicherheitsdefizite damit zu begründen, dass zu viele Polizisten zum Schutz der Synagogen abgestellt werden müssten, spricht Bände. Dabei kommen die Anhänger rechtsextremistischer Ideen unter den gegebenen Verhältnissen nur selten aus der Deckung. Wehe uns, sollte der vereinsamte Rechtsradikalismus eines Tages die Stunde für gekommen halten, sein demokratisches Tarngewand abzustreifen und sein wahres Gesicht zu zeigen.
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