Redaktion tachles
Tel Aviv (Weltexpresso) - Der zweite Lockdown in Israel ist eine Farce. Nicht nur, dass sich so gut wie niemand daran hält. Israelis, die unterwegs sein wollen, ziehen sich Turnschuhe und Trainingszeug an und laufen los. Denn Sport machen ist erlaubt, jenseits der 1 Kilometer Grenze. Und wer heute die Bilder von Ashdod gesehen hat, wo sich Tausende Haredim mit Erlaubnis der Polizei (!) versammelten, um einen berühmten und wichtigen orthodoxen Rabbi zu Grabe zu tragen, fragt sich sowieso, was dieser Lockdown eigentlich soll.
Aber es wird noch schlimmer: nun wurde bekannt, dass die Umweltschutzministerin Gila Gamliel, ein Mitglied der Likud-Partei, nicht nur positiv auf das Corona-Virus getestet wurde, sondern sich dieses wohl zugezogen hat, als sie die Lockdown-Regeln gebrochen hatte. Sie war nämlich für Jom Kippur rund 150 km weit in eine Synagoge von Tiberias gefahren, wo sie den ganzen Tag betete.
Natürlich hat Premier Netanyahu beschwichtigt, anstatt seriöse Konsequenzen aus dem Fehlverhalten seiner Ministerin zu ziehen: „Es wäre jetzt das Beste abzuwarten, ehe man seriöse Schlussfolgerungen zieht“, erklärte der Bewohner des PMO in der Balfour Strasse in Jerusalem. Nur: kann irgendjemand einem normalen Israeli noch erklären, wozu dieser Lockdown gut sein soll, wenn nicht einmal die Politiker ihn einhalten – wie das übrigens schon beim ersten Lockdown im Frühjahr der Fall war? Israels Situation, wirtschaftlich und politisch, gleicht immer mehr einer Bananenrepublik. Aber Hauptsache, die Demonstrationen gegen Netanyahu werden eingedämmt oder gar verboten. Um mehr scheint es Netanyahu nicht mehr zu gehen. Und Frau Gamliel entschuldigte sich heute beim Volk und sagte, sie werde die anstehende Strafe selbstverständlich bezahlen. Als ob es damit getan wäre.
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© tachles
Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 6. Oktober 2020
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