Adventlicher Dannenroder ForstFür einen säkularen Humanismus ohne sakrale Dogmen

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Der Mensch, an den die Christenheit alljährlich zu Weihnachten erinnert, lässt sich als geschichtliche Person nicht nachweisen.

Weder aus der Zeit, in welcher er gelebt haben soll, also von der Zeitenwende, dem Jahr 1, bis zum Jahr 30, noch unmittelbar danach, sind schriftliche Aussagen von Augenzeugen bekannt. Die Evangelien hingegen verstehen sich nicht als historische Berichte, sondern als Verkündigung einer Heilsbotschaft, die sowohl aus der jüdischen Tradition als auch aus einer längeren innerjüdischen Auseinandersetzung hervorgegangen sein dürfte.

Das älteste Evangelium, das des Markus, ist nach Erkenntnissen der historisch-kritischen Forschung nicht vor dem Jahr 60 verfasst worden. Sein Autor bezieht sich auf Weissagungen der Propheten Maleachi (3,1) und Jesaja (40,3), die einen Boten ankündigen, der dem erhofften Messias, dem geistlichen und weltlichen Befreier der Juden, vorangehen werde. Laut Markus ist das Johannes, der in der Wüste am Toten Meer predigte und seine Gefolgsleute im Jordan taufte. Darunter auch Jesus.

Das Matthäus-Evangelium lässt sich auf die Zeit von 80 bis 100 datieren. Es führt Jesus auf eine lange Geschlechterfolge zurück, an deren Anfängen König David und Erzvater Abraham stehen. Und es nimmt Bezug auf eine Prophezeiung des Propheten Micha in der Hebräischen Bibel (5,1), der zufolge der endgültige Herrscher aus dem Geschlecht Davids stammen und in der kleinen Stadt Bethlehem in Juda geboren würde. König Herodes begreift das Kind, von dem er durch die so genannten Weisen aus dem Fernen Osten Kenntnis erhält, als Konkurrenten um die Herrschaft und gibt den (historisch nicht nachweisbaren) Befehl, alle Neugeborenen zu töten. Jesu Eltern, Maria und Joseph, fliehen daraufhin mit ihrem Kind nach Ägypten. Nach Herodes‘ Tod kehrt die Familie zurück und zieht nach Nazareth in Galiläa. Jahre später trifft Jesus auf seinen Vetter Johannes den Täufer, später der Ältere genannt , der ihn im Jordan tauft, danach beginnt seine eigene Tätigkeit als Wanderprediger, der zur Umkehr und zur Rückbesinnung auf die Kernaussagen der Bibel, vor allem die Nächstenliebe, aufruft.

Lukas, dessen Weihnachtsgeschichte vermutlich die populärste Schrift des Neuen Testaments ist („Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustes ausging, dass alle Welt geschätzt würde.“), lässt sich der Zeitspanne zwischen 85 bis 110 zuordnen. Noch stärker als Matthäus will der Verfasser dieses Evangeliums den christlichen Gemeinden eine eigenständige Traditionslinie verschaffen.

Markus, Matthäus und Lukas weisen viele Gemeinsamkeiten auf. Möglicherweise basieren die später entstandenen Texte zu Teilen auf den jüngeren. Aber es scheint noch eine zusätzliche, unbekannt gebliebene, Quelle zu geben, derer sie sich bedienten. Die Bibelwissenschaft bezeichnet diese als „Logienquelle Fragmenta Q“.

Das aus dem jüdischen Religionskontext herausfallende Johannes-Evangelium, vom jüngsten Jünger Jesu, mit seinen zahlreichen Anleihen aus der griechischen Mythologie (präexistenter Gottessohn, Opfertod) dürfte zwischen den Jahren 100 bis 120 entstanden sein. Nach der Zerstörung des Tempels (70 n. Chr.), einer Folge der Aufstände gegen die römische Besatzungsmacht, flohen viele Bewohner der Provinz Judäa in die Provinz Ägypten, sogar nach Rom oder in die von Persien beherrschten Nachbarländer. Der Verlust des Tempels hatte erhebliche Auswirkungen auf das jüdische Selbstverständnis und auf das rituelle Leben. Das Amt des Hohen Priesters wurde nicht mehr besetzt. Die Priesterkaste, die Sadduzäer, verlor erheblich an Einfluss, bis sie alsbald gänzlich verschwand. Aus der Laiengruppe der Volksgelehrten, der Pharisäer, entstanden die Rabbinen, die in der Diaspora das religiöse Erbe verwalteten und fortentwickelten. Auf der Synode in Jawne/Jamnia, dem Sitz des Hohen Rats, südlich des heutigen Tel Aviv gelegen, erfolgte durch die Rabbinen im Jahr 100 die endgültige Kanonisierung der Hebräischen Bibel (Altes Testament). Für die neu entstandenen Christengemeinden bedeutete das, sich zusätzliche Traditionslinien außerhalb des Judentums anzueignen.

Als ältester neutestamentlicher Text gilt der 1. Thessalonicherbrief, den die Wissenschaft auf die Jahre von 45 bis 50 datiert. Man kann ihn als Ermutigung für die judenchristlichen Gemeinden verstehen. Und er ist geprägt von der Naherwartung der Wiederkunft Jesu Christi. Aber er enthält keinerlei biografische Angaben zum Leben Jesu.

Und selbst der Römerbrief des Paulus ist erst zwischen 55 und 60 entstanden. Letzterer gilt als die eigentliche Grundlage der christlichen Theologie. Sein Verfasser bezeichnet sich zwar als „Knecht Jesu Christi“, bezieht sich jedoch ausdrücklich auf die Verheißungen der jüdischen Propheten und geißelt kurz danach den angeblich gesetzesfixierten Glauben der Juden und der Griechen. Die Schriften der Evangelisten hingegen waren ihm offensichtlich unbekannt.

Albert Schweitzer, der Theologe, Kirchenmusiker und Urwaldarzt, kommt in der Schlussbetrachtung seines Buches über die „Geschichte der Leben Jesu-Forschung“ (erschienen 1913) zu dem Schluss: „Jesus von Nazareth, der als Messias auftrat, die Sittlichkeit des Gottesreiches verkündete, das Himmelreich auf Erden gründete und starb, um seinem Werk die Weihe zu geben, hat nie existiert.“

Laut Schweitzer scheitern sämtliche Modernisierungsversuche des Jesusbilds daran, dass sich diese Gestalt nicht in unsere Zeit übertragen lasse. Weder der historisch nicht belegbare Jesus noch der von Evangelien und Kirchen verkündigte (kerygmatische) Christus.

Fazit: Wenn schon Weihnachten, dann eines von Menschen für Menschen, ganz unreligiös, ohne Pracht und Kirche, mit einer Symbolik, die Gerechtigkeit sowie echte Befreiung anmahnt und speziell in diesem Jahr derer gedenkt, die von der Corona-Pandemie hinweggerafft und von Querdenkern verhöhnt wurden und werden.

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