1970 brandt kniefall foto LEMO hdg.deDie Verleumdung Willy Brandts  - Ein Nachwort zum  50.Jahrestag des Kniefalls von Warschau

Conrad Taler

Bremen (Weltexpresso) – Es macht einen zufrieden, ja nachgerade glücklich, wenn man in der Redaktion in Frankfurt sitzt, dort am 7. Dezember einen mehr als halbseidenen Artikel über den Kniefall Willy Brandts in Warschau von Ulrich Krökel liest, lesen muß, und das in der Frankfurter Rundschau, sich darüber echauffiert, eigentlich darüber schreiben will - wo dann wieder alles angeblich Akturellere dazwischen kommt und dann unabgesprochen passend zum eigenen Unbehagen einen Artikel eines Kollegen in die Redaktion bekommt, der gut als Aufbearbeitung des FR-Artikels verstanden werden kann, auch wenn der nicht um die fehlende Entschuldigung der CDU geht, sondern, ebenfalls schlimm, die Spontanität der Geste Willy Brandts in Frage stellt, die zuvörderst den ermordeten polnischen Juden galt. Die Redaktion

Ein halbes Jahrhundert nach dem denkwürdigen Kniefall vor dem Denkmal für die Opfer der Nazibarbarei im besetzten Warschau  haben sich die Unionsparteien immer noch nicht für die Verleumdung Willy Brands während der Zeit des Kalten Krieges entschuldigt. Der 50. Jahrestag des denkwürdigen Ereignisses wäre eine gute, vielleicht die letzte Möglichkeit dafür gewesen.

brandt Aber das erlösende Wort ist nicht gefallen. Somit bleibt die Vermutung, dass der  sozialdemokratische Bundeskanzler, der nach der Verständigung mit dem Westen die Aussöhnung mit Osten gesucht hat, für manche immer noch der Außenseiter ist, ein Fremder unter seinesgleichen. Gezielt zog der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß die nationale Zuverlässigkeit Brandts in Zweifel, als er in Anspielung auf dessen Emigration während der Nazizeit sagte: „Eines wird man Herrn Brand wohl noch fragen dürfen, was haben Sie in den zwölf Jahren draußen gemacht, wie man uns gefragt hat, was habt ihr in den zwölf Jahren drinnen gemacht.“ (Die Zeit, 6.7.1979).

In die gleiche Kerbe hieb der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Kai Uwe von Hassel (CDU). Man könne die deutsche Schicksalsgemeinschaft nicht verlassen, wenn sie gefährdet erscheine, hielt er Brandt vor, und ihr wieder beitreten, wenn das Risiko vorbei sei. (Conrad Taler, „Rechts, wo die Mitte ist“, S.Fischer 1972, S. 102). Der schäbige Verdacht fiel auf fruchtbaren Boden. Die  rechtsextreme „Nationalzeitung“ fragte, ob Brandt überhaupt Deutscher sei und der CSU- Bundestagsabgeordnete Lorenz Niegel brachte im Parlament eine mündliche Anfrage ein.. Er wollte wissen, ob es Mitglieder der Bundesregierung gebe, „die neben der deutschen auch eine ausländische oder nur eine ausländische Staatsangehörigkeit“ besäßen. Der Giftpfeil ging ins Leere.

Als Brandt 1971 unter dem Beifall der Welt den Friedensnobelpreis erhielt, verloren seine innenpolitischen Feinde jegliche Contenance. Außerstande, den Preis auch als Auszeichnung für deutsche Friedensbemühungen schlechthin zu begreifen, sprach Strauß noch Monate später auf einem CSU-Partei geringschätzig von einem „von der sozialistischen Internationale wohlvorbereiteten Friedensnobelpreis“. Im Gleichklang mit den neonazistischen „Deutschen Nachrichten“ der NPD, die Brandt als „Friedensheiland“ verhöhnten, bezeichnete das CSU-Organ „Bayern kurier“ Brandt als „neuen Säulenheiligen der sozialistischen Internationale“. Auf einer Kundgebung der Schlesischen Landsmannschaft wurde der sozialdemokratische Ministerpräsident von Niedersachen, Alfred Kubel, als „Polensau“ niedergeschrieen, weil er dem Kniefall am Denkmal der Getto-Opfer seinen Respekt bekundet hatte.

„Die Welt“, Flaggschiff des Springer-Konzerns, zweifelte zwar nicht an der „Aufrichtigkeit der Geste“ und der „Untadeligkeit ihrer Gesinnung“, aber es sei eine Geste zur falschen Zeit gewesen, ein „Akt freiwilliger Selbsterniedrigung“, ein Kotau vor dem Kommunismus. (Zitiert aus: Christoph Schneider, Der Warschauer Kniefall, 2006, S. 62). Eine Umfrage des Allensbacher Instituts für Demoskopie kurz nach dem Ereignis ergab,  dass 48 Prozent der Deutschen die Geste für übertrieben und 41 Prozent für angemessen hielten. Der Rest äußerte keine Meinung. Franz Josef Strauß ließ wie immer seinem Hass freien Lauf.. „Es gibt einen Einzigen, der mit seinen Mitarbeitern eine Gefahr für innere Sicherheit geworden ist, das ist Willy Brandt“; sagte er laut Redemanuskript (Seite 34) auf dem CSU-Parteitag vom 10. 6. 1978. Noch acht Jahre nach der Verleihung des Friedensnobelpreises kommentierte er Äußerungen Willy Brandts in einer Fernsehdiskussion mit den Worten: „Nichts könnte die Oberflächlichkeit, Leichtsinnigkeit und intellektuelle Liederlichkeit mehr enthüllen als dieses lebensgefährliche Geschwätz.“ So geschehen auf dem CSU-Parteitag vom September 1979, festgehalten in einer mir vorliegenden Dokumentation des Bundespresseamtes.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ist einer der Wenigen, die noch über eigene Erinnerungen an die Nachkriegsjahre verfügen. Was hätte er sich vergeben, wenn er den 50. Jahrestag des Kniefalls für ein Wort des Bedauerns über den Umgang mit Willy Brandt genutzt hätte,  und sei es, dass er nur zitiert hätte, was ein Zeitzeuge über Brandt und die denkwürdige Warschauer Szene schrieb. „Dann kniet er, der das nicht nötig hat, da für alle, die es nötig haben, aber nicht da knien – weil sie es nicht wagen oder nicht können oder nicht wagen können. Dann bekennt er sich zu einer Schuld, an der er selber nicht zu tragen hat, und bittet um eine Vergebung, derer er selbst nicht bedarf. Dann kniet er da für Deutschland.“ (Herrmann Schreiber im Spiegel vom 14. 12. 1970).

Fotos:
brandtstehendzdfDas Interessante an den Fotos vom Kniefall von Warschau ist das jeweilige Interesse in den Ländern Westdeutschland und Polen. Während, wie im Artikel geschildert, die Wogen hochgingen, sowohl bei den Befürwortern als auch den Gegnern der so segensreichen und politisch und menschlich notwendigen Geste Brandts, war auch Polen nicht zufrieden. Denn da paßte den Herrschenden die Demutsgeste überhaupt nicht, weil sie nicht mit dem gezeichneten (und in Teilen ja auch zutreffenden ) Bild der BRD als revanchistischer Staat übereinstimmten. Die Folge war, daß in der polnischen Berichterstattung über den Kniefall der im Bild nicht vorkam, weil die Bildausschnitte so aussahen, als ob er stünde. Beispiel hier.Die Redaktion  ©zdf.de
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