wpo huber 3...stellen wir den jüdischen Geflüchteten Arthur Hubert aus Schlüchtern vor

Hanswerner Kruse

Schlüchtern / Blackburn (weltexpresso) - Am 27. Januar 1945  befreite die russischen Armee das nationalsozialistische Konzentrationslager Auschwitz. Der Name Auschwitz wurde zum Symbol für den Holocaust, deshalb erklärte man diesen Tag der Befreiung zum Holocaustgedenktag. Wir stellen den ehemaligen jüdischen Mitbürger Arthur Hubert aus Schlüchtern vor, dem mit Frau und Kind gerade noch die Flucht gelang.

Bereits in den 1960er-Jahren ging der deutschstämmige Arthur Hubert, bereits mehrfacher Millionär, mit seinem Unternehmen an die Londoner Börse. Seine Aufnahme in einen britischen Ritterorden erfolgte einige Jahre später, ebenso die Ehrendoktorwürde an einer Universität in Jerusalem. Wer war dieser jüdische Unternehmer, der 1904 in Schlüchtern in der Schmiedsgasse 15 geboren wurde, vor den Nazis 1939 aus Deutschland flüchtete und ein hoch angesehener britischer Staatsbürger wurde?

Nachdem der kleine Arthur in Fulda den Abschluss einer jüdischen Realschule erwarb, verbrachte er noch einige Jahre in Gotha, um dort das Metallhandwerk und den Metallhandel von der Pike auf zu lernen, danach stieg er in den Schlüchterner Betrieb der Eltern ein. 1931 heiratete er Martha Goldschmidt, die mit ihren Eltern in der Obertorstr. 4 lebte, die er seit seiner Schulzeit kannte. Als die Nazis 1933 die Macht an sich rissen und auch bei uns jüdische Mitbürger noch brutaler drangsalierten, konnte seine Familie eine Zeitlang unbehelligt leben.

Doch 1938 in der Pogromnacht wurde Hubert mit 34 Jahren, wie weitere jüdische Männer von SA-Horden verschleppt. Wo sie gefangen gehalten und gequält wurden, dazu gibt es widersprüchliche Angaben: Einerseits soll Fritz Denhardt, der sich in Schlüchtern für die Löschung der brennenden Synagoge einsetzte, ihn bei sich versteckt haben. Andererseits spricht Huberts Biograf Simon Kalisch von der Verschleppung in das Konzentrationslager Buchenwald. Der Aufenthalt dort ist belegt: „Das waren die schlimmsten Wochen meines Lebens“, zitiert er Hubert.

Bald danach,1939, zog die Familie aus der Obertorstraße 4 noch kurzzeitig nach Frankfurt. Dort erhielt sie einige Tage vor Kriegsbeginn ein Visum für Großbritannien. Einige wertvolle Möbel, die später über Rotterdam verschifft werden sollten, wurden dort von den Nazis beschlagnahmt. Arthurs Bruder Moritz und seine Frau Recha konnten nach Südafrika entkommen. Seine Eltern Willi und Kathinka Hubert blieben in Schlüchtern, wurden 1942 deportiert und in Konzentrationslagern ermordet.

Als er in Großbritannien mit seiner Frau Martha und dem einzigen Sohn Walter - 1932 in Schlüchtern geboren - ankam, war die Familie bettelarm, wurde wie andere Flüchtlinge gedemütigt und ausgegrenzt. Trotz der Verfolgung in Deutschland internierten die Briten sie nach Beginn des II. Weltkriegs für längere Zeit in einem Lager als „feindliche Ausländer“. Diese Gefangennahme von etwa 30.000 Deutschen und Österreichern, darunter auch viele jüdische Geflüchtete, galt als Vorsichtsmaßnahme, weil Großbritannien eine deutsche Invasion befürchteten.

Mit seiner Familie gelangte Hubert in die kleine Industriestadt Blackburn, die übrigens von den Beatles in ihrem Song „A day in the life“ erwähnt wird. Nach der Internierung verdingte er sich dort als Nachtwächter in einer Pantoffelfabrik. Später arbeitete er in mehreren Metallwerken, denn er kannte sich mit Recycling und Handel von Metallen hervorragend aus. 1948 gründete er seine eigene Firma, die Schrott wieder aufbereitete.

Hubert war kein "Schrotteler" oder "Schrotti" wie die zwielichtige Gestalten hießen, die damals wie heute in einer Nische werkelten und verspottet wurden: „Lumpen, Eisen, Silber und Papier / ausgeschlag’ne Zähne sammeln wir.“ Er war seiner Zeit wohl eher weit voraus, indem er das älteste Verfahren der Menschheitsgeschichte für Recycling industriell aufgriff und weiter entwickelte.

Seit seiner Jugend in Schlüchtern war Hubert ein streng orthodoxer Jude, der sich auch später für die Erhaltung der jüdischen Traditionen und Gebräuche in der modernen Welt engagierte. Und er war ein Philanthrop, der nach seinem Börsengang und dem späteren Verkauf seiner Firma 1976, mit sehr viel Geld englische, israelische und US-amerikanische Institutionen unterstützte. Die förderten jüdische Bildung und Religion, etwa die Jeschiwas (jüdische Hochschulen) und soziale Jugendprojekte sowie jüdische Altersheime und Schulen.

Unter Philanthropie versteht man ein menschenfreundliches Denken und Verhalten, für das als Motiv eine die gesamte Menschheit umfassende Liebe genannt wird, die „allgemeine Menschenliebe“. (nach Wikipedia)


Dem Unternehmen blieb er bis zu seiner Auswanderung 1987 nach Israel verbunden. Dort starb Hubert 1991 mit 87 Jahren, wahrscheinlich ohne Deutschland  bzw. Schlüchtern je wiederzusehen. In all den Jahren arbeitete sein Sohn Walter im väterlichen Unternehmen, stand ihm in seinen philanthropischen Projekten eifrig bei und engagierte sich als Fußballfan im Verein Blackburn Rovers. 15 Jahre vor seinem Tod besuchte er Schlüchtern, um der Tochter Sarah und den drei Enkeln „seine Wurzeln“ zu zeigen: „Es war ein unvergesslicher Besuch“, berichtet die Tochter, „wir sahen die ehemalige Synagoge, den Friedhof und das Haus (die sog. „Lutherische Schule“), in dem mein Vater seine frühe Kindheit verbrachte. Er erinnerte sich deutlich an die Pogromnacht, in der er sich verstecken musste.“

Quellen:
A builder of Judaism: The story of Arthur Hubert and his family“ von Simon Kalisch, 1979 (Übersetzung Clas Röhl); Aussagen der Tochter von Walter Hubert, und Steven Prager, Enkel von Arthur Huberts Schwester Ricka; Archivmaterial der Stadt Schlüchtern; Yad Vashem Holocaust Gedenkstätte, Jerusalem

wpo huber 5475Familie Hubert
v.l.n.r. Oma Kathinka, Schwiegertochter Martha, Enkel Walter, Sohn Arthur, Opa Willi kurz vor der Flucht 1939

 

"Ein Verlust für Deutschland" - Hanswerner Kruse im im Gespräch mit Clas Röhl
Röhl arbeitet mit weiteren Schlüchterner Bürgern an der Aufarbeitung der Geschichte der einstigen jüdischen Einwohner der Stadt .

1) Die nächsten Stolpersteine in Schlüchtern werden sicherlich für die Familie Hubert verlegt?

In der Tat planen wir Stolpersteine für die Huberts. Auch bei dieser Familie zeigt sich die Notwendigkeit, die Erinnerung an die vergessenen Vertriebenen und Ermordeten an ihren letzten Wohnort zurückzubringen. Aber es ist Detektivarbeit und muss zwangsläufig Stückwerk bleiben. Zeitzeugen mit Erinnerungen leben kaum noch, allenfalls gibt es Melderegister usw. sowie mündliche Überlieferungen von Enkeln.

2) Hubert, das klingt gar nicht jüdisch...

...wahrscheinlich ist der Name hugenottischen Ursprungs, ein Geflohener aus Frankreich kam nach Schlüchtern, heiratete eine Jüdin und konvertierte. Es wird auch spekuliert, dass dieser Name dazu beitrug, die Familie vor Demütigung und Ausgrenzung in der Stadt zu schützen und sie es hier noch so lange aushielt.

3) Ist seine Geschichte ein Beispiel für die kulturellen und wirtschaftlichen Folgen des Holocausts für Deutschland?

Ja, es gab doch nicht nur fürchterlichen Gräueltaten der Nazis, sondern die Flucht war auch ein immenser kultureller, wissenschaftlicher und unternehmerischer Aderlass für Deutschland - für die Emigrationsländer aber ein großer Gewinn.
Übrigens: Johann Joachim Weitzel ist ein weiterer Schlüchterner, der in die Welt zog und reich wurde. Er vermachte ja Teile seines Vermögens an die Stadt. Jedoch Arthur Hubert hatte wahrlich keinen Grund seiner Heimatstadt Dankbarkeit zu zeigen, zahlreiche Menschen aus seiner Familie wurden von den Nazis ermordet.
Mit einem Stolperstein können wir ihm und seiner Familie wenigstens eine Erinnerung in seiner einstigen Heimatstadt zuteil werden lassen.

Foto:
Privat: Grafische Aufbereitung Hanswerner Kruse