Serie: ES GEHT UMS GANZE. Die Pandemie ist mehr als Covid-19, Teil 3/4
Maly Malyssek
Wiesbaden (Weltexpresso) - WAS DIE MIT UNS MACHEN! So lautet die große Klage aus den Reihen der Corona-Kritiker und der nach Bestätigung suchenden leicht zu verleitenden Anhängerschaft. Die bekannteste Gruppe der „Querdenker“, mit der Ausstattung eines Sammelsuriums von Verschwörungserzählungen im Marschgepäck und einem ausgeprägten Sinn dafür, Angst und Schrecken vor den dem Maskentragen und dem Impfstoff zu schüren.
Den harten Kern der „Querdenker mit Argumenten beizukommen, dürfte ein hoffnungsloses Unterfangen sein. Wichtiger scheint es zu sein, diese Leute die kleinstmögliche Beachtung zu schenken und auf der eigenen Seite des Widerstandes gegen solche Strömungen und Praktiken selber wahrnehmbar und kompromisslos aufzutreten.
Die Präsidentin der TU Darmstadt, Tanja Brühl, sagt, dass die von den Verschwörungsgläubigen und „Querdenkern“ verbreitete Skepsis bis Ablehnung der Wissenschaft für sie nicht nachvollziehbar sei und meint, dass die wirklich Corona-skeptischen Menschen kaum noch erreichbar seien (FR, 12.01.2021). Ihr sei es jetzt wichtig mit denjenigen im engen Kontakt zu bleiben, die Frage und Zweifel haben.
Eine publizistische Katastrophe war 2020 das Erscheinen des Buches der Wissenschaftler Karina Reiss und Sucharit Bhakdi: CORONA FEHLALARM? Das auch noch in mehrfacher Auflage zu SPIEGEL-Bestseller reüssierte! Das heißt, es wurde möglicherweise von einem Millionenpublikum gelesen. Damals ließen die Autoren aus der Anfangszeit der Pandemie mit kruden Thesen verlautbaren, dass Covid-19 mit einer normalen Grippe gleichzusetzen sei. Aus dem letzten Kapitel des Buches „Quo vadis“(S. 142) zitiere ich:
„Wenn wir aus der dunkelsten Zeit unserer Geschichte eins gelernt haben sollten, dann doch dieses: Wir dürfen nie wieder gleichgültig sein und wegschauen. Schon gar nicht, wenn unsere Regierung die demokratischen Grundrechte aussetzt. Dieses Mal stand nur ein gewöhnliches Virus vor der Tür, und was haben wir erlebt: medial geschürte Massenhysterie / Willkür der politischen Entscheidungen / massive Einschränkung der Grundrechte / Zensur der Meinungsfreiheit / Gleichschaltung der Medien / Diffamierung Andersdenkender / Denunziantentum [...].“
Das ist dann der furchtbare Stoff, aus dem „Querdenker“, Wissenschaftsskeptiker und die empörte Masse ihre rücksichtslosen Verhaltensweisen und ihre Protestparolen speisen!
Lutz „Bronski“ Büge (frblog.de/sars-cov-2) sagte bereits zum Zeitpunkt des ersten Ausbruchs von Sars-Cov-2, dass das Virus nicht nur einzelnen Menschen, sondern uns alle, das Kollektiv betrifft. „Also müssen wir anfangen, als Kollektiv zu denken, als Wir. Übergeordnete Interessen sind im Notfall wichtiger als das, was der oder die Einzelne mag oder möchte. Das gilt auch für die Wirtschaft. Corona ist ein solcher Notfall.“
Rückkehr zur Normalität?
Dieses Mantra der Rückkehr zur Normalität hören wir schon seit Monaten und es drückt, neben dem Anteil der Sorgen und Nöten in der Bevölkerung, dieses verinnerlichte Anspruchsdenken einer weit entwickelten Konsumentengesellschaft aus, die erst wieder erfahren und neu lernen muss, mit Widrigkeiten und Unwägbarkeiten des bisher von Wunschdenken und -erfüllung geprägten Lebens umzugehen. Also auf eine Art Krisenbewältigung jenseits von eindrucksvollen schulischen Power-point-Präsentationen.
Diese „Versteinerung der Normalität“ ist letztlich das Ergebnis der vielen Jahre in der relativen Sicherheit und der Wahrnehmung von Katastrophen aus der medialen Distanz. Die alte Normalität hat alle gesellschaftlich negativen Erscheinungen bei Einbruch und Dauer der jetzigen großen Krise offenbart. Es kann demnach nur eine andere Normalität sein, die auch die Unsicherheiten des Lebens kennt.
Wie soll es weitergehen?
Es ist auch nicht so, wie oft kritisiert, dass es in der Vergangenheit nur einen planlosen Aktionismus in der Politik gab. Es gab Unsicherheiten, Fehler. Der größte wohl bei den Lockerungen im Sommer. Es wird weiterhin Fehler und Konflikte geben. Es war auch ein stetiges learning by doing, mit neuen Erfahrungen und Erkenntnissen, auch und gerade in der Wissenschaft. Es ist viel die Rede von klaren Konzepten, die wir jetzt bräuchten. Das ist bestimmt richtig. Doch für was und für wen? Wer weiß das alles schon?
Sicher möchte die Regierung den Menschen wieder ihre Freiheit geben, die berechtigter weise in der Pandemiezeit eingeschränkt sein mussten (Kontakte, Versammlungen, Reisen).
Allerdings sind und waren die die Vorstellungen von Freiheit gerade bei den Corona-Kritikern eine ausgesprochen egoistische. Das Grundgesetz ist im Falle der „Querdenker“-Proteste für die Interessen und Ideologien der Verschwörungsfanatiker instrumentalisiert worden.
Die Pandemie ist eine globale Katastrophe und ist deshalb auch nur solidarisch und länderübergreifend zu lösen. Nationale Egoismen gefährden letztlich nicht nur die armen Länder der Welt, sondern führen auch zu einer ungerechten Verteilung der Impfstoffe und damit zum Bleiben der Gefahren.
Mit dem Ausbruch und der Dauer der Corona-Pandemie ist die Welt aus dem Rhythmus geraten. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssen neu lernen, mit einer Krise zurechtzukommen, die sie so noch nicht kannte. Die Fähigkeit und Bereitschaft zur Krisenbewältigung ist zu einer existenziellen Nagelprobe geworden. Das politische Krisenmanagement, mit Unterstützung der Wissenschaften, Die Bevölkerung dabei mehr oder weniger erfolgreich mitzunehmen. Es geht bei hohen Infektionszahlen und Risiken um Leben und Tod und um die Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens.
Das Klagen über das Politik-Versagen
Die Erwartungen an die Politik sind seit jeher größer als dass sie die Menschen zufrieden stellen könnten. Das zeigt sich deutlich in dieser Krise. Die Bevölkerung schaut kritisch und anspruchsvoll auf die Ergebnisse der Regierungen des Bundes und der Länder. Alle versteckt lauernden oder offenen Widerstände, Unzufriedenheit und Feindseligkeiten gegenüber der politischen Macht, entladen sich jetzt in einer Form, die einen gesellschaftlichen Konsens für Lösungsstrategien im Wege stehen.
Aber was sind unsere Klagen im Vergleich zu Situationen in den armen und vom Reichtum und der Macht der Mächtigen existierenden Länder, die etwa mit dem Kauf und Erhalt des Impfstoffes weit hinten rangieren. Jeder kämpft (s. auch oben: Ungleichheit in der Welt) demnach für sich („Gott für uns alle“) und so ist keine weltweite Pandemie zu besiegen.
Wir erleben eine Impfstoff-Debatte, die mit den Lieferschwierigkeiten der Produkte, immer erhitzter zu werden droht, die aber auch schnell ausgespart hat, welch Riesenerfolg bereits die Impfstoffherstellung ist. Nach den ursprünglichen Prognosen in 2020, ist die, wenn auch nicht reibungslose Produktion und Lieferung des Impfstoffes, zum jetzigen Zeitpunkt eigentlich eine Sensation!
Eine weitere Klage, die viele Menschen umtreibt, sei das Fehlen eine Perspektive. Aber ist das in dieser Idealform erfüllbar? Eine Perspektive gibt es schon, aber das wird von uns allen und unserem verantwortlichen Verhalten abhängen und wie wir die entsprechenden Einschränkungen zu akzeptieren bereit sind. Nicht von wohlwollenden Ankündigungen der Politik, der Regierung.
„Lust und Liebe“ sind sprichwörtlich die Fittiche zu großen Taten. Wir brauchen aber - bis auf das Gesundheitswesen – keine großen Taten. Auch Lust und Liebe nicht. Allenfalls die Liebe zur Wahrheit. Es so zu erkennen, wie es ist. Dabei noch versuchen so weitsichtig zu sein, über den eignen Tellerrand zu schauen, die Konsequenzen sehen, die eine weltweite Pandemie für die Menschheit bringt. Schließlich verlangen Krisen zur ihrer Bewältigung auch eine gesunde Form von Pragmatismus, die hilft das jeweils Notwendige zu tun ohne die Gefährdungen, Notlagen und die Tragweite der Krise aus den Augen zu verlieren.
Die Autorin Amelie Fried sprach bereits im Mai 2020 von einer infantilen Anspruchshaltung: „Ganz ehrlich, die Debatte, darum, ob unsere Grundrechte derzeit zu Recht eingeschränkt sind oder wir uns schon auf dem Weg zur Diktatur befinden, geht mir unglaublich auf die Nerven.“ Anstatt zu jammern, sollten wir uns besser gegenseitig unterstützen. Sollten auch sehen, dass die Pandemie auch für Politiker neu sei und dass man nicht den fertigen Masterplan in der Tasche habe.
Und der Philosoph Otfried Hoffe titelte am 15. April 2020 in der Frankfurter Rundschau: „Regierungen sind nicht für Glück zuständig.“
FORTSETZUNG FOLGT
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Info:
Literatur
Albert Camus: Die Pest. Reinbek bei Hamburg , 76. Aufl. November 2009
Jonathan Franzen: Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen, Essay, Reinbek bei Hamburg 2019
Ulrich Brand/Markus Wissen: Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus, München 2017
Karina Reiss/Sucharit Bhakdi: Corona. Fehlalarm? Berlin 2020