www.rki.deSerie: ES GEHT UMS GANZE. Die Pandemie ist mehr als Covid-19, Teil 4/4

Maly Malyssek

Wiesbaden (Weltexpresso) - Der Stein der Weisen
                                             Sieht dem Stein der Narren
                                             Zum Verwechseln ähnlich          
                                             (Ringelnatz 1883-1934)


Die Unzufriedenen und Kritiker der politischen Maßnahmen bevorzugen bzw. sehnen sich nach einfachen Lösungen und sind für die Lautsprecher und Marktschreier dieser Botschaften dankbare Zuhörer und Abnehmer. Sich der Komplexität der Probleme und Gefährdungen auszusetzen, diese Einsicht und Bereitschaft ist grundsätzlich in Krisen eine große Herausforderung.

dortmund airport.deIn seinem jüngsten Essay (www.spiegel.de/psychologie/corona-leugner/ ) fragt der Philosophieprofessor Albert Newen (Uni Bochum) warum wir die Coronakrise noch immer nicht als eine Naturkatastrophe verstehen? Warum?  Warum ändern wir angesichts der Pandemie nicht einfach unsere Gewohnheiten, tragen überall, außer zu Hause, Maske, halten Abstand, lüften? Es liegt in der Natur des Menschen, sagt er. Eingeschliffene und verinnerlichte Verhaltensmuster, die uns an ein langsames, rationales und reflektiertes Verarbeiten von Information hindern, deutlich nachzudenken und entsprechend was zu verändern.

Gemeinsames solidarisches Handeln gelingt nur, wenn man in der Lage ist über den eigenen Tellerrand zu schauen, also nicht in seiner eigenen Welt gefangen ist. Nur wenn wir die Krise als eine globale Katastrophe erkennen und entsprechend globale Lösungen anstreben, können überhaupt in Zukunft die weiteren Probleme von Pandemien, Naturkatastrophen und dem Klimawandel überhaupt mildern und damit unsere Lebensgrundlagen retten.

Wir hätten jetzt in dieser Naturkatastrophe die große Chance neu für unser Leben und Zusammenleben zu lernen, unsere Einstellungen zu überprüfen und den Blick auf unser Alltagsverhalten zu erweitern. Schaffen wir das? Wir könnten, aber wir stehen uns mit einer Versteinerung der Normalität oft selbst im Weg.



Vorläufige Schlussgedanken in Spiegelstrichen:

- Die Pandemie ist ein Trauma. Also kommt Aufarbeitungsarbeit auf die Menschen zu.

- Es lohnt sich in debattenhysterischer Zeit auch ein Denken im Modus des Sowohl-als-auch zu üben, zu streiten ohne zu verletzen,  die Wahrheitssuche nicht zum bloßen         unerbittlichen Wahrheitskampf werden zu lassen (Der Humanist und Weltbürger Erasmus von Rotterdam wäre da jemand, auf den man wieder hören könnte)

- Mäßigung in Sachen einseitige Schuldzuweisungen gegen Politikern

- Kritik ja, aber auch Respekt vor der Arbeit der Politiker, beim harten Ringen um die Entscheidungen

- „Unser Überleben verdanken wir Menschen, die in Supermärkten und Krankenhäusern arbeiten, die die Straßen reinigen und Lebensmittel liefern und die Stromversorgung   sichern. Die Menschen, die uns halfen, die Gesellschaftsordnung aufrechtzuerhalten, befinden sich am unteren Ende der Skala, während diejenigen, die am oberen Ende angesiedelt sind, im Großen und Ganzen nutzlos waren“. (Eva Illouz in DIE ZEIT, 18. Juni 2020)

- Anerkennung von Realität und Lernen mit Rückschlägen in schwierigen Zeiten zu leben„Unerschrocken leben“ (Friedrich Dürrenmatt) – soweit es geht ...
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 „Der Zustand der gesamten menschlichen Moral 

läßt sich in zwei Sätzen zusammenfassen: We ought to. But we don’t. 
(Kurt Tucholsky)


Die Pest

In der „Pest“ von Albert Camus finden wir die Fragen  von Slavoj Zi'zek (s. FR-Feuilleton vom 5. Dezember 2020) wieder: Wie wird der Mensch in Zukunft mit Katastrophen, Plagen und Kriegen umgehen. Denn die Pandemie, Corona wird nicht einfach verschwinden.

Wollen wir den Planeten und uns retten, kommen wir um eine Abrechnung mit dem existierenden kapitalistischen System nicht umhin. Denn die soziale Ungerechtigkeit, die Ausbeutung und die Vernichtung von unseren Lebensgrundlagen stehen in einer Dimension auf dem Spiel, die keinen Zeitaufschub mehr duldet. Unsere imperiale Lebensweise muss auf den Prüfstand

Besonders im Schlussteil  der Pest, dass der Pestbazillus nie sterbe und nie verschwinde, dass er jahrzehntelang in Möbeln und in der Wäsche schlummern könne, dass er geduldig warte und vielleicht der Tag kommen werde, an dem die Pest zum Unglück und zur Belehrung der Menschen ihre Ratten zum Sterben in eine glückliche Stadt schicken werde.

Die Pest sei Plage und Offenbarung. Sie bringe die verborgene  Wahrheit einer korrupten Welt ans Licht, so schreibt Jacqueline Rose in „Lettre International“.
Es geht ums Ganze!

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Info:
Literatur
Albert Camus: Die Pest. Reinbek bei Hamburg , 76. Aufl. November 2009
Jonathan Franzen: Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen, Essay, Reinbek bei Hamburg 2019
Ulrich Brand/Markus Wissen: Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus, München 2017
Karina Reiss/Sucharit Bhakdi: Corona. Fehlalarm? Berlin 2020