Kurt Nelhiebel
Bremen (Weeltexpresso) - In der Liste der sieben Todsünden steht die Habsucht an zweiter Stelle. Spielt das für jemanden eine Rolle? Angehörige von Parteien, die das Wort christlich im Namen führen, sollten sich da schon in die Pflicht nehmen lassen. Oder ist es normal, im Handumdrehen ein paar hunderttausend Euro zu verdienen, nur weil man als Politiker einen langen Arm hat?
Der CSU-Bundestagsabgeordnete Georg Nüßlein soll 660 000 Euro für die Vermittlung staatlicher Aufträge an einen Schutzmaskenhersteller eingestrichen haben, die Firma des CDU-Abgeordneten Nikolas Löbel kassierte bei einem umstrittenen Geschäft mit Corona-Schutzmasken 250 000 Euro an Provisionen. Angesichts der allgemeinen Empörung haben sich die beiden aus der Politik verabschiedet. Zurückgeblieben ist das Wehklagen enttäuschter Parteifreunde über den Schaden, den die beiden Raffkes der Demokratie und dem politischen Geschäft zugefügt haben.
Anscheinend hatten die beiden Volksvertreter überhaupt kein Gespür für die Größe der Summe, um die es jeweils geht. Bezieher eines mittleren Einkommens müssten dreizehn kostbare Jahre ihres Lebens investieren, um 250 000 Euro zu verdienen, für 660 000 Euro brauchen sie 28 Jahre, also mehr als die Hälfte ihres Berufslebens. Die Nebeneinkünfte sind in diesem Fall nicht das eigentliche Problem, es sind die Umstände, unter denen sie erzielt wurden. Der CDU-Vorsitzende Armin Laschet hat es so formuliert: „Jeder Abgeordnete, der sich an und in der Corona-Krise bereichert, beschädigt das höchste Gut in der Demokratie: Vertrauen.“ Das ist richtig, aber moralisches Aufplustern ist fehl am Platz.
Viele Abgeordnete verdienen viel Geld nebenbei, obwohl sie dafür eigentlich gar keine Zeit haben sollten. „Für mich ist der Beruf des Abgeordneten ein Vollzeitjob“, antwortete der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag, Rolf Mützenich ,schon vor einigen Jahren mit einem Seitenblick auf denen einen oder anderen aus den eigenen Reihen. Was den CSU-Vorsitzenden Markus Söder betrifft, so sollte er nicht nur die beiden Nutznießer der Corona-Pandemie auffordern, „reinen Tisch“ zu machen, sondern er hätte längst auch anderen auf die Finger sehen sollen, wie etwa seinem Parteifreund Peter Ramsauer, der für seine Nebentätigkeit als „Strategieberater“ auch eine sechsstellige Summe einstrich. Seit Herbst 2017 sind laut SPIEGEL vom 7. August 2020 mehr als 25 Millionen Euro Zusatzeinnahmen an die Parlamentarier geflossen. Das schadet auf verheerende Weise der Demokratie und leitet Wasser auf die Mühlen ihrer Feinde.
Nach Erkenntnissen amerikanischer Wissenschaftler sind Habsucht und Raffgier bei Angehörigen höherer sozialer Schichten häufiger anzutreffen als anderswo. Wirtschaftliche Ausbildung mit ihrer Fokussierung auf das Selbstinteressen, wusste die Frankfurter Rundschau am 28. Februar 2012 zu berichten, führe Menschen dazu, Gier als positiv und nützlich zu betrachten. Ähnlich lautete das Fazit einer Studie aus Wales, an der mehr als Zehntausend Probanden aus dem Vereinigten Königreich teilgenommen haben. Sie zeige, so das Magazin FOCUS vom 18. Juni, 2018, dass soziales Verhalten und Feinfühligkeit gegenüber anderen von den finanziellen Verhältnissen abhänge.
Zwischen politischen Nutznießern der Corona-.Pandemie und Rüstungsgewinnlern, die sich nebenbei eine goldene Nase verdienen, gibt es keinen prinzipiellen Unterschied. Der Glaube an die Moral als Fundament demokratischen Handelns nimmt in beiden Fällen Schaden. Eine Selbstreinigung des Parlaments scheint dringend geboten zu sein Dabei sollte das Spendenunwesen einbezogen werden. Laut Tagesspiegel vom 14. September 2000 sind in den zwanzig Jahren davor etwa 15 bis 18 Millionen Mark mehrheitlich als „sonstige Einnahmen“ im amtlichen CDU-Kassenbuch verschleiert worden. Ihre Herkunft blieb weitgehend ungeklärt.
Unsere offene Gesellschaft und die Demokratie seien mit vielen Unvollkommenheiten behaftet und kein Politiker bleibe von menschlichen Schwächen verschont, bilanzierte Helmut Schmidt 2007 in einem Vortrag über Ethik in der Politik. Wir Deutsche hätten unserer katastrophalen Geschichte wegen allen Grund, mit aller Zähigkeit an der Demokratie festzuhalten, sie immer wieder zu erneuern und ihren Feinden immer wieder tapfer entgegenzutreten. Für Habsucht und Raffgier ist da kein Platz.
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