Bordell Linienstraße in Dortmund 3Die „Frankfurter Rundschau“ und der Internationale Frauentag

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – „Eine Frage des Geschlechts - Viva la Vulva“ schrieb die „Frankfurter Rundschau“ auf der Titelseite aus Anlass des Internationalen Frauentags am 8. März.

FR zum Internationalen FrauentagAls Blickfang diente eine Grafik, die zwölf graue Gipsnachbildungen weiblicher Geschlechtsteile zeigte, in drei Reihen drapiert auf einer pinkfarbenen Bretterwand. Allem Anschein nach eine bewusste Provokation, deren Aussage jedoch unklar blieb. Sollte tatsächlich die Reduzierung der Frau auf ihre Sexualität zur Sprache gebracht werden? Sollte der Teufel den Beelzebub vertreiben, durch Exhibitionismus an das Schicksal von Millionen entrechteter Frauen erinnert werden?

Sowohl die Abbildung als auch die Beiträge auf den Sonderseiten vermitteln mir einen anderen Eindruck. Die Autorinnen, durchwegs arrivierte Frauen, erwecken den Verdacht, sich mit einer fragwürdigen Botschaft bewusst publikumswirksam zu Wort gemeldet zu haben. Denn ihre Welt (oder Halbwelt?) scheint in Ordnung zu sein. Mit großer Detailfreudigkeit erörterten sie Form und Funktion des weiblichen Geschlechtsteils. Ihre Beiträge lesen sich wie ideologische Manifeste eines Feminismus, der den Bezug zur Realität verloren hat. Die Kehrseite des Weiblichen, beispielsweise alleinerziehende Frauen, die nicht wissen, wie sie ihre Kinder ernähren können, werden nicht erwähnt. Ebenso unberücksichtigt bleiben jene Frauen, die täglich der Gewalt prügelnder Ehemänner ausgesetzt sind. Oder die aus unterschiedlichen Gründen in die Armutsfalle gerieten, die sich für Frauen häufig als ausweglos erweist.

Die frühere FR-Chefredakteurin (von 2014 bis 2020) Bascha Mika ist bereits im Jahr 2011 in ihrem Buch „Die Feigheit der Frauen. Rollenfallen und Geiselmentalität. Eine Streitschrift wider den Selbstbetrug“ in ähnlicher Weise mit ihren Geschlechtsgenossinnen umgegangen. Ihre Kritik kumulierte in den Vorwürfen, die Frauen seien zu feige, zu faul oder zu doof. Und dass es darum kein Wunder sei, dass sie nicht nach oben kämen (wobei „oben“ nicht eindeutig definiert wurde, möglicherweise war eine Stellung als Erst- oder Zweitfrau eines promiskuitiven Mannes gemeint). Oder sie hätten zu viele Kinder und sich für die falschen Rollenmodelle entschieden. Manche fühlten sich, so sah es Frau Mika damals, in der Rolle der Dienerin und Magd sogar sehr wohl.

Mich erinnert der Titel der FR an die ordinären Plakate jenes Rotlichtviertels, in dessen Nähe sich das Gymnasium befand, das ich ab dem Ende der 1950er Jahre besuchte. In diesem Teil der Dortmunder Nordstadt waren die Spuren des Bombenkriegs noch nicht restlos beseitigt. Oberflächlich instandgesetzte Mietshäuser, Trümmer ehemaliger Fabrikhallen und rasch hochgezogene Geschäftsbauten reihten sich aneinander. Am Steinplatz, der traditionellen Vergnügungsmeile in Bahnhofsnähe, wurden sie von Bars, Nachtklubs und Striplokalen abgelöst.

Wenn wir Schüler das Hallenbad, in dem der Schwimmunterricht stattfand, schnell erreichen wollten, das wir aber auch außerhalb der Schule gern aufsuchten, empfahl sich die Abkürzung durch eine etwa 200 Meter lange Bordellstraße, die Linienstraße. Spärlich bekleidete, halbnackte Frauen präsentierten sich hinter hohen Fenstern und warteten auf Kundschaft. Zusätzlich versuchten obszöne Plakate, die von den Häuserwänden prangten, die vorbeiziehenden Männer anzulocken und deren Fantasie anzuregen. Uns pubertierende Knaben ließ das nach dem Stadium der ersten Neugierde schon bald ziemlich kalt. Denn bei genauem Hinsehen war das menschliche Elend, das aus diesen eigentlich freudlosen Häusern kroch, unübersehbar. Damals hätte ich mir nicht vorstellen können, dass etwa 60 Jahre später eine angesehene deutsche Tageszeitung mit ähnlichen Motiven auf Kundenfang gehen, sogar Propaganda für einen ideologischen Muschi-Feminismus betreiben würde.

Ein Jahrzehnt später, 1970, absolvierte ich meinen zivilen Ersatzdienst in einer Klinik desselben Stadtteils, wo zwangsläufig auch Huren behandelt wurden, die von Zuhältern, gelegentlich auch von Freiern, misshandelt worden waren. Nach meinem Eindruck war den Frauen die Abhängigkeit, in die sie leichtfertig oder wegen widriger Umstände geraten waren, sehr bewusst. Und die meisten dieser „leichten Mädchen“ sehnten sich nach bürgerlicher Normalität, was bei einigen auch Ehemann und Kinder hätte bedeuten können. Die Sexualisierung ihres Lebens erschien den meisten als eine Katastrophe. Ob einige den Absprung aus dem Milieu jemals geschafft haben, weiß ich nicht.

Im Rückblick und im Vergleich zu den FR-Beiträgen von Alexandra-Katharina Kütemeyer, Sheila de Liz, Ulrike Schmauch oder Lina Lätitia Blatt erscheinen mir diese Frauen heute viel typischer zu sein für das Anliegen des Weltfrauentags als die verlogene Symbolik, mit der die FR aufwartete.

Foto:
Eingang zum Bordell „Linienstraße“ in Dortmund mit einem typischen Plakat: „Magst Du’s auch scharf?“
Titelblatt der FR vom 8.3.2021
beide Fotos © M-RG