Bildschirmfoto 2021 03 15 um 00.19.48Haus der Geschichte Österreich regt am Jahrestag der „Anschluß-Rede“ einen neuen, angemessenen Umgang mit NS-Orten an

Anna von Stillmark

Wien (Weltexpresso) - Am heutigen Tag vor 83 Jahren, am 15.3.1938 hielt Adolf Hitler seine „Anschluss-Rede“ vom Altan der Neuen Burg. Menschenmassen auf dem Heldenplatz jubelten ihm zu. Wie wenig nach dem Krieg dies in Wien, in Österreich aufgearbeitet wurde, hat das Stück HELDENPLATZ vonThomas Bernhard in den Neunzigern  im Burgtheater deutlich gemacht. Das Haus der Geschichte Österreich (hdgö), an diesem zentralen Platz der Republik angesiedelt, regt zum Nachdenken über den Umgang mit belasteten Orten an und plädiert für eine gezielte Öffnung des Altans.Der Heldenplatz ist einer der wichtigsten zeitgeschichtlichen Orte Österreichs. Die direkt am Platz gelegene Neue Burg und insbesondere die Fläche über dem Haupteingang des Gebäudes war immer wieder dafür genützt worden, zu größeren Menschenmassen zu sprechen. Seit März 1938 gilt dieser „Balkon“ als Symbol für die nationalsozialistische Geschichte des Landes: Von hier aus verkündete Adolf Hitler vor mehr als 200.000 begeistert jubelnden AnhängerInnen, dass Österreich Teil des Deutschen Reichs geworden war. Nach dem Ende der NS-Herrschaft 1945 blieb der Altan der Neuen Burg ein tabuisierter Ort.

Die Fläche im Inneren der Neuen Burg, die direkt auf den Altan führt, gehört zum hdgö und wird für Wechselausstellungen genützt. Für den Altan selbst hat das Museum keine Zuständigkeit, er ist für die Öffentlichkeit geschlossen. „Von hier aus schaut man auf zentrale Institutionen der Demokratie wie das Parlament, das Kanzleramt oder das Wiener Rathaus. Bis heute hat das offizielle Österreich aber keinen Umgang mit diesem Ort gefunden. Dafür wird es Zeit“, sagt hdgö-Direktorin Monika Sommer. „Unsere Aufgabe ist es, Diskussionen im Umgang mit der Vergangenheit anzustoßen. Wir schlagen vor, den Altan der Neuen Burg in einem ersten Schritt für Führungen mit Anmeldung zu öffnen.“

Als wichtigen Beitrag für eine breite Diskussion organisieren die Kunstuniversität Linz, die Universität Innsbruck und das hdgö die Tagung „Ver/störende Orte. Zum Umgang mit NS-kontaminierten Gebäuden“, die sich von 4.-6. November in Innsbruck und 11.-13. November 2021 in Linz im Detail mit diesem Themenkreis beschäftigen wird. Denn auch 76 Jahre nach dem Ende der NS-Herrschaft lässt sich in Österreich noch keine klare Haltung zu solchen „bösen Häusern“ feststellen. Die Frage nach deren adäquater Nutzung ist aktueller denn je: Der 1938/39 errichtete neue Verwaltungssitz für den Reichsgau Tirol-Vorarlberg in Innsbruck wurde 1945 kurzerhand in das Landhaus des Bundeslandes Tirol umgewandelt und wird seitdem als Sitz von Landtag und Landesregierung genutzt. In Linz ist in die als Teil der NS-Baupolitik geplanten und errichteten Brückenkopf-Gebäude die Kunstuniversität Linz eingezogen. Dagegen ist der Altan der Neuen Burg in Wien nach wie vor mit einem Betretungsverbot belegt. Wie eine Neucodierung nach jahrzehntelanger Tabuisierung einen „Ort der Mitverantwortung“ – am „Hauptplatz" der Republik gelegen – schaffen könnte, ist eine der zentralen Fragen der Tagung.

„An erster Stelle steht aber der politische Wille. Den Altan der Neuen Burg zu öffnen wäre ein wichtiges Symbol für einen neuen Umgang der Republik mit diesen verstörenden Orten. Genau hier am Heldenplatz könnte das offizielle Österreich ein Zeichen zukunftsorientierter Geschichtspolitik und Demokratiebildung setzen. Gerade in Zeiten, in denen antisemitische Parolen und Symbole wieder vermehrt in der Öffentlichkeit sichtbar werden - Stichwort Corona-Demos - ist Bildung das Um und Auf“, sagt Monika Sommer.

Schon vor seiner Eröffnung beschäftigte sich das hdgö mit dem Altan der Neuen Burg und setzte ein erstes Zeichen auf dem Heldenplatz: Die renommierte schottische Künstlerin Susan Philipsz entwickelte speziell für diesen zentralen Ort der österreichischen Zeitgeschichte eine Klanginstallation. Täglich zwei Mal war am Heldenplatz das Klingen von vier Gläsern zu hören, die an menschliche Stimmen erinnern. Das nahm Bezug auf den Ort als Platz von Ansprachen und Kundgebungen ebenso wie auf die Stimmen jener, die durch die NS-Gewaltherrschaft zum Schweigen gebracht wurden. Die Installation schaffte eine Verbindung wie auch  Gegenüberstellung zwischen dem oft sogenannten „Hitler-Balkon“ und den temporären Parlaments-Pavillons als Symbol von Demokratie.

Im Projekt „Der Balkon, eine Baustelle“ sammelt das Museum seit 15.3.2019 online Ideen für eine potenzielle neue Nutzung und lässt über diese abstimmen. Der aktuell führende Entwurf mit beinahe 1.000 Stimmen ist das Bild zu dieser Aussendung. Direkt im Museum können BesucherInnen vor dem Ausgang zum Altan zudem für oder gegen eine Öffnung voten. Der aktuelle Stand ist eindeutig: 50.930 abgegebene Stimmen sind für, 10.857 gegen ein Öffnen des „Balkons“.

Foto:
Illustration Neue Burg: Artur Bodenstein, Illustration Wald: Andi Zobernig

Info:
Weiterführende Links und Informationen
Eine Geschichte des Altans in Bildern
Publikation zur Klanginstallation von Susan Philipsz
Der Balkon, eine Baustelle

Das Haus der Geschichte Österreich (hdgö)
Das Haus der Geschichte Österreich ist das erste zeitgeschichtliche Museum der Republik und organisatorisch an die Österreichische Nationalbibliothek angebunden. Angesiedelt am geschichtsträchtigen Heldenplatz in der Neuen Burg, bietet das hdgö in seinen Ausstellungen Einblicke in die wichtigsten politischen, gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklungen des letzten Jahrhunderts bis ins Heute. Außergewöhnliche Objekte, teils noch nie gezeigte Dokumente und interaktive Medienstationen machen Zeitgeschichte für Klein und Groß erlebbar – in historischen Räumen mit zeitgemäßer Architektur und Gestaltung.  Viele spannende Fragen und Themen der österreichischen Zeitgeschichte mit Blick auf Gegenwart und Zukunft werden in Themenführungen, Workshops und Veranstaltungen diskutiert. Für alle, die unterwegs oder zu Hause neugierig auf Geschichte sind: Eigene Web-Ausstellungen, aktuelle Schwerpunktthemen und interaktive Bildersammlungen bieten unter www.hdgoe.at immer wieder Neues aus der Vergangenheit.