NSU ist Schmuh Titel eines PamphletsBeklagt, aber verdrängt

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Vor zehn Jahren, am 4. November 2011, wurden die Rechtsextremisten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt tot in einem ausgebrannten Wohnmobil in Eisenach gefunden.

Dem Anschein nach hatten sie sich nach einem Banküberfall und aus Angst vor der herannahenden Polizei selbst erschossen. Auch ihre Wohnung in Zwickau hatten sie in Brand gesetzt, aber davor noch diverse Bekennervideos versandt. Es waren die ersten  nicht anzweifelbaren Belege für die Existenz der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“, der zehn Morde, 43 Mordversuche, drei Sprengstoffanschläge und fünfzehn Raubüberfälle zugerechnet werden. Sieben Jahre danach wurde Beate Zschäpe, die Komplizin des Neonazi-Duos, nach einem langwierigen Prozess zu lebenslanger Haft verurteilt. Doch bis heute herrscht bei Ermittlungsbehörden, Verfassungsschutz und Politikern noch immer Unklarheit über die Strukturen dieses verfassungsfeindlichen Netzwerks. Nicht zuletzt darüber, wer alles beteiligt war oder es nach wie vor ist. Von außen gesehen kann man den Eindruck gewinnen, dass manche es gar nicht so genau wissen wollen.

Die durch den zehnten Jahrestag in Erinnerung gerufenen Vorgänge waren für mich Anlass, in den Droh- und Hassbriefen zu blättern, die mir seit August 2016 ein AfD-Sympathisant („Die AfD wird Euch hinwegfegen wie einst!“) in unregelmäßigen Abständen zuschickt. In seinen Verteiler geriet ich, weil ich mich u.a. in „Weltexpresso“, in der Netzzeitschrift „BRÜCKE unter dem MAIN“ oder im Blog der „Frankfurter Rundschau“ mit Positionen gegen rechts zu Wort melde. Jedes der über 30 archivierten Pamphlete ist eine Collage aus Artikeln, die in rechtsradikalen Publikationen erschienen sind. Der zwar namentlich bekannte, stets aber anonym bleibende Absender versieht sie handschriftlich mit eigenen Schlagzeilen. Und immer wieder zählt der NSU zu seinen Top-Themen.

Am häufigsten verwendet er die Überschrift: „NSU = der große Schmuh!!“ Dann folgt die Aussage: „Es gibt bis heute – wie schon bei Mölln 1992 und Solingen 1993 – keinen einzigen echten Tatbeweis!!!“

„Es liegt nahe, daß hier wie bei Mölln und Solingen kapitale Straftaten bei Politikern, Medien, Polizei und Justiz usw. vorliegen, aber wie in DDR und NS ist dagegen bei einem verfestigten, einer devoten Justiz sich sicher seienden Regime, das zudem dauernd von einem politisch leider degenerierten und desorientierten Volk (Wähler wie Nichtwähler) an der Macht gehalten wird, wenig auszurichten von den Kräften der anständig gebliebenen deutschen Bürger, die in ihrer Oppositionsrolle heute fast so marginal und ohnmächtig sind (zu allen schlimmsten Verwerfungen seit 1970, besonders seit 1990, extrem seit 2010) wie einst die edeldeutschen Helden von der "Weißen Rose" gegen das übermächtige, von weiten verblendeten Volksteilen getragene üble Hitler-Regime.“

Die Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ erfährt hier eine Umwertung. Die Anti-Nazis um die Geschwister Scholl werden zu Kronzeugen eines neuen Faschismus umfunktioniert. Ähnliches widerfährt auch Pfarrer Dietrich Bonhoeffer, der noch kurz vor der endgültigen Bankrotterklärung des NS-Staats von dessen Schergen ermordet wurde.

Und der Schreibtischtäter steigert sich noch weiter:

„Wer nun diese schamlose, moralisch gesehen asozial-kriminelle Hetzlügen-Veranstaltung unterstützt, macht sich persönlich und politisch schuldig, würde auch mit juristischen Konsequenzen zu rechnen haben (wie die Nazi-Täter 1945) in einem Staat, wo mental gesunde und korrekte Verhältnisse herrschen. Diese ehrlosen RotgrünrotAktivisten sollen wissen, daß ihnen das bei einem nicht mehr unwahrscheinlichen, bitter nötigen Regimewechsel hin zur Rettung von Volk, Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit gemäß den Werten von GG 1949 und FdGO passieren wird!!“

Schließlich zitiert er den Dichter Carl Theodor Körner, der in den Kriegen gegen Napoleon fiel:

„Noch sitzt Ihr da oben, Ihr feigen Gestalten.
Vom Feinde bezahlt, und dem Volke zum Spott!
Doch einst wird wieder Gerechtigkeit walten,
dann richtet das Volk, dann gnade Euch Gott!“

Da spürt man den Schaum, den er beim Schreiben vorm Munde hatte. Und man kann sich vorstellen, dass er sich gedanklich bereits im Blut seiner Feinde wälzte. Denn das, was er zu Papier brachte, ist das Verhalten von Mördern, ist die Sprache von Mördern.

Diese und ähnliche Texte sind den Strafverfolgungsbehörden in Frankfurt am Main, Limburg an der Lahn und Wetzlar bekannt. Denn dort wurde nach Strafanträgen von Betroffenen ermittelt und Gerichte verurteilten den Pamphletisten zu Geldstrafen. Aber nicht wegen Volksverhetzung, sondern wegen Beleidigung. Daran änderte sich auch nichts, als dieser die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke als Verschwörungstat des „BRD-Regimes“ bezeichnete.

Solange solche verbalen Angriffe gegen die Demokratie und gegen Demokraten als Meinungsäußerungen hingenommen werden (sie allenfalls als Ehrabschneidung strafrechtlich geahndet werden), sind sämtliche Erinnerungen an die NSU-Opfer, an die Opfer des Münchener Attentats, an die von Hanau und an die vor der Synagoge in Halle sowie an alle anderen aus politischen Gründen Bedrohten, Verletzten und Ermordeten lediglich Ersatzhandlungen. Man scheut sich vor einer umfassenden Aufklärung, obwohl es ständig Signale aus der Szene gibt – siehe die Droh- und Hassbriefe, die an mich, aber auch an viele andere, gerichtet sind.

Foto:
Titelblatt des erwähnten Pamphlets
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