Fortsetzung einer niedersächsischen Landeskunde / TEIL 3
Klaus Jürgen Schmidt
Norddeutschland (Weltexpresso) – In der Schlacht von Drakenburg nördlich von Nienburg an der Weser besiegte 1547 das protestantische Heer des Schmalkaldischen Bundes die kaiserlichen Truppen von Herzog Erich II.von Calenberg, der sich nur schwimmend durch die Weser retten konnte. Fast ganz Norddeutschland wurde daraufhin protestantisch. In Nienburg gab es eine der ersten lutherisch geprägten Schulen. In deren Archiven fand sich ein Dokument aus jener Zeit. Ich hatte mich an dieser Stelle schon einmal bemüht, es ins Hochdeutsche zu übertragen.
„DIE NIENBURGER ANZÜGLIKA“
Lasst uns verweilen
in nur zehn Zeilen:
Lieber Gott, mach mir Geld,
Dass ich schwelg in dieser Welt.
Lass mich vergessen diesen Fimmel,
aufzusteigen in den Himmel.
Reservier mir eine Zelle
in dieser schönen, warmen Hölle.
Und verzeihe allen Dieben,
mache sie zu meinen Lieben.
ACHTUNG! SATIRE-ALARM!
Und was wirklich geschah:
1541 hatte Karl V., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, die Freiheitsrechte der Stadt Bremen bestätigt. Am 19. Februar 1547 erschien das kaiserliche Heer vor den Mauern der Stadt. Der Rat zu Bremen hatte sich geweigert, im Religionskonflikt mit Karl V. dem Schmalkaldischen Bund abzuschwören. Bis zum 22. Mai verteidigten sich die Bremer mit Erfolg, dann zog das kaiserliche Heer nach Süden ab. Es kam zur Schlacht bei Drakenburg am 23. Mai 1547.
Bereits zu Luthers Lebzeiten hatte die neue Lehre den größten Teil des Deutschen Reiches erfasst. Kaiser Karl war ein stenggläubiger Katholik; er versuchte, die weitere Ausbreitung der Reformation zu verhindern und die Einheit der katholischen Kirche zu erhalten. Da er sogar mit Waffengewalt drohte, verbündeten sich mehrere deutsche Fürsten und Städte zum Schutze der Reformation in dem thüringischen Städtchen Schmalkalden miteinander. Bereits ein Jahr nach Luthers Tod gelang es dem Kaiser, die Hauptmacht der Schmalkaldener mit Hilfe seiner spanischen Söldner bei Mühlberg / Thüringen zu vernichten und ihren Führer, den Kurfürsten von Sachsen gefangen zu nehmen. ...
Bei Drakenburg wurde der einzige Sieg des Schmalkaldischen Bundes erfochten. Für die Errettung des lutherischen Glaubens in Norddeutschland und für die Zurückdrängung der Gegenreformation hatte der Tag von Drakenburg eine außerordentliche Bedeutung.
Und was vorher geschehen im Landkreis Nienburg?
Im Stiftsgebiet Loccum fielen im 17.Jahrhundert 33 Menschen den Hexenprozessen zum Opfer. Davon 6 aus Loccum, 3 aus Münchehagen und 9 aus Wiedensahl. Die Herkunft der anderen bleibt unbekannt. Die meisten Verurteilten wurden auf dem ‚Rosenbraken‘ verbrannt, einem Flurstück zwischen Klosterforst und Bundesstraße 441, nachdem man zuvor mit ihnen die ‚Wasserprobe‘ durchgeführt hatte. Sie bestand darin, dass die Angeklagte dreimal in einen Teich geworfen wurde, zweimal gebunden und einmal ungebunden. Schwamm sie jedesmal oben, so galt sie als schuldig und wurde der Tortur zur Erpressung des Geständnisses unterzogen. In der Loccumer Überlieferung gilt der kleine Teich am Hang oberhalb von Bachteich und Fulde als sogenannter Hexenteich, an dem die Wasserproben stattgefunden haben sollen. Dass diese Prozedur an irgendeinem Loccumer Gewässer vorgenommen wurde, ist aktenkundig, nicht jedoch der Ort. Der ehemalige Loccumer Konventual-Studiendirektor und spätere Landesbischof Horst Hirschler schrieb in seinem Buch ‚Geschichten aus dem Kloster Loccum‘: ‚Die hochgesteigerte Hexenfurcht des Mittelalters ist leider zu einem wesentlichen Teil dem Verhalten der Offiziellen jener Zeit zuzuschreiben: Der Kirche, den Landesherren und den Juristen.‘ <
Ich bin mir nicht sicher, ob der ehemalige Loccumer Konventual-Studiendirektor und spätere Landesbischof Horst Hirschler das Versagen auf Autoritäten „jener Zeit“ hätte eingrenzen sollen. Aus derselben Quelle im Internet erfahre ich, wie Autoritäten unserer Zeit mit Versuchen umgingen, den letzten Hexenprozess des Loccumer Stiftsgerichtes für unsere Zeitgenossen aufzuarbeiten. Dieser war auf Betreiben eines Nachbarn gegen Gese Köllars aus Wiedensahl angestrengt worden. Nach schrecklicher Folter endete das Verfahren mit dem Todesurteil, das am 2.6.1660 vollzogen wurde. In meiner Quelle heisst es dazu:
Mit dem Namen Gese Köllars bleibt einer der letzten Hexenprozesse des Loccumer Stiftsgerichtes verbunden. Frauen aus Rehburg-Loccum und Wiedensahl haben 1987 das Schicksal der Gese Köllars zum Anlass genommen, sich mit der Rolle der Frau und den Hexenverfolgungen auseinanderzusetzen. Dabei wurde es als besonders positiv bewertet, dass die Evangelische Heimvolkshochschule in Loccum damals das Thema aufgriff und sich dieser dunklen Seite der beginnenden Neuzeit selbstkritisch stellte. Damals wollte die Loccumer Frauengruppe am Jahrestag der Anklage gegen Gese Köllars mit der Erinnerung an sie und ihre Leiden auch ein Zeichen der Versöhnung setzen. Die gleiche Absicht verfolgte 1985 die Frankfurter Künstlerin Eva-Gesine Wegner mit ihrem Versuch, den kleinen Teich in der Nähe des neuen Friedhofs als Mittelpunkt einer Gedenkstätte für ‚die vielen bekannt und unbekannten getöteten Frauen‘ während der Hexenverfolgungen zu gestalten. Dort, so war es die Vorstellung der Künstlerin, könnte die von ihr als Geschenk angebotene Plastik ‚Die Segnende‘ stehen. Gegen diesen Wunsch machte Abt Eduard Lohse erhebliche Bedenken geltend und teilte der Künstlerin abschließend mit, ‚dass das Kloster jener Frauen und Männer, die der Hexenjagd der damaligen Zeit zum Opfer gefallen sind, auf die einzig mögliche Weise gedacht hat, nämlich so, dass der Aufsatz von Herrn Hirschler in den ‚Geschichten aus dem Kloster Loccum‘ abgedruckt wurde. Was damals wirklich geschehen ist, welche Zusammenhänge da bestanden, wie differenziert man von Richtern, der Dorfbevölkerung und der Sachverständigen reden muss, das lässt sich nur in einem sorgfältigen Aufsatz beschreiben, aber nicht mit einem Denkmal darstellen.‘
Zitat-Ende
Auch die Vorstellung der Künstlerin, entweder im kommunalen Bereich oder auf einem anderen Gelände der Loccumer kirchlichen Einrichtungen mit einem Denkmal an die Opfer der Loccumer Hexenverfolgungen erinnern zu können, wurde nach längeren Diskussionen in den betroffenen Gremien ablehnend beschieden.
Die Evangelische Akademie Loccum hat im Juni 2013 eine Tagung zu den Loccumer Hexenprozessen ausgerichtet, bei der noch deutlicher wurde, wie sich christliche Kirchenführer – egal ob katholisch oder evangelisch – vor rechtlicher Verantwortung drücken. Beate Ney-Janßen berichtete darüber in der Syker "Kreiszeitung" am 25. Juni 2013:
„Wie es um die Verantwortung des Klosters bei diesen Prozessen bestellt war, erläuterte Dr. Peter Beer, der seine Dissertation über die Loccumer Hexenprozesse aus rechtshistorischer Sicht geschrieben hat. Das peinliche Halsgericht, also die Verantwortung für Strafverfahren, habe bei Abt und Konvent gelegen. Das sei dem geschuldet, dass das Kloster als freies Reichsstift zum einen die kirchliche Obrigkeit war, zum anderen aber die Äbte als Fürstbischöfe im Stiftsbezirk die weltliche Macht hatten. Wer sich in Loccum, Wiedensahl und Münchehagen – den drei Dörfern, die zum Stiftsbezirk gehören – etwas zuschulden kommen ließ, dem wurde im Kloster der Prozess gemacht.
Worauf Beer pochte, war die Trennung zwischen dieser weltlichen und der geistlichen Macht. Als weltliche Oberhäupter, als Fürsten des Gebietes, hätten die Äbte die Prozesse durchgeführt. Der Kirche komme in diesem Sinne folglich keine „Schuld“ zu. Und als Fürsten hätten sich die Äbte in der Führung der Prozesse strikt an die gesetzlichen Vorgaben gehalten. Wie solche Prozesse abzuhalten waren, das war in jener Zeit haarklein festgelegt – von der Anklage über die Fragen, die bei Verhören gestellt werden sollten, bis zu dem, nach welchem Muster die Folter zu verlaufen hatte.
Unterstützt wurde Beer in seinen Ausführungen zu Loccum durch den Vortrag von Johannes Dillinger, der an der Universität Mainz lehrt und Experte für Hexenglaube und Hexenverfolgungen ist. Ab dem 16. Jahrhundert seien 90 Prozent der Hexenprozesse von weltlichen Gerichten geführt worden, sagte er. In Loccum hätten etliche der Äbte zudem die Gerichtsbarkeit nicht selbst ausgeübt, sondern an andere wie etwa Ortsvorsteher übertragen. Sprach Dillinger auch den Kirchen weitestgehend die Schuld ab, so räumte er dennoch ein, dass sie nicht dagegen protestiert hätten.
An diesem Punkt der Tagung kam zum ersten Mal die Frage aus dem Publikum, ob weltliche und kirchliche Macht, wenn sie denn in einer Hand lagen, tatsächlich so strikt voneinander getrennt gesehen werden konnten – oder ob die kirchliche Verantwortung nicht auch dann hätte greifen müssen, wenn sie als weltliche Herren über Leben und Tod zu entscheiden hatten. Jene Zeit sei nicht mit der heutigen kompatibel, meinte Beer. Die Menschen damals hätten mit ihren Geistern, Gespenstern und Hexen gelebt – tief verwurzelt sei der Glaube daran gewesen.
Die Verantwortung seiner Vorgänger für die Hexenprozesse wies auch Loccums Abt Horst Hirschler von sich. Erinnern an die Verfolgungen sei wohl nötig und mit regelmäßigen Tagungen und Publikationen möglich. Das jedoch ging so manchem Gast im Publikum nicht weit genug.“
ACHTUNG! KEIN SATIRE-ALARM!