„Wie ich lernte, die Welt im Radio zu erklären“
Klaus Jürgen Schmidt
Norddeutschland (Weltexpresso) – Im April 2020 kam die Nachricht, dass Ulrich Kienzle gestorben sei, Fernseh-Journalist und Nahost-Experte. Von ihm hatte ich einst aus Erster Hand bestätigt erhalten, was mir schon Freund Michael Geyer anvertraut hatte: Dass unsere Zunft der „Welt-Erklärer“ an prominenter Position längst verraten worden war.
Michael war zeitweise beim Radio Bremen-Fernsehen redaktionell auch für die Talkshow „3 nach 9“ zuständig und hatte bei der Vorbereitung für einen Gast dessen journalistische Mauschelei entdeckt. Nahost-Korrespondent Gerhard Konzelmann hatte für Berichte von geografisch weit auseinander liegenden Örtlichkeiten, so war es Michael beim Sichten verschiedener TV-Beiträge aufgefallen, immer dieselbe alte, orientalisch anmutende Brettertür als Hintergrund verwendet. In einem Telefonat mit mir in Harare vermutete Michael, möglicherweise sei Konzelmann gar nicht vor Ort gewesen, die Tür habe das nur vortäuschen sollen.
Das erzählte ich Konzelmanns Nachfolger Ulrich Kienzle, der von 1974 bis 1977 ARD-Korrespondent für die Arabische Welt war – erst mit Sitz in Beirut, nach dem syrischen Einmarsch im libanesischen Bürgerkrieg ab 1976 dann in Kairo. Anschliessend wechselte er in das ARD-Auslandsstudio in Pretoria, das er bis 1980 leitete und das für das Berichtsgebiet Südliches Afrika zuständig war. Kienzle war aus Bremen nach Harare gekommen, wo ich ihm helfen sollte, ein Interview mit dem seinerzeit noch als „Dissident“ geltenden ZAPU-Führer Joshua Nkomo zustande zu bringen. Das gelang nach einem Interview mit ZANU-Führer Robert Mugabe, das ich Kienzles ARD-Team vermitteln konnte.
Kienzle kam mit seinem Kameramann zur Abschiedsfete eines deutschen Projekt-Kollegen, und dort bestätigte er mir nicht nur, was Freund Michael über Konzelmanns Hintergrund-Tür herausgefunden hatte. In zwei Publikationen machte er es später sogar öffentlich:
2011 in seinem Buch „Abschied von 1001 Nacht – Mein Versuch, die Araber zu verstehen“, und schon 1995 in „Noch Fragen Kienzle“ bezeichnete er Konzelmann als einen journalistischen Freibeuter, der eine ganze Fälscherwerkstatt ersetze. Der „Kujau unter den Korrespondenten“ habe sich früh entschieden, präzise die Unwahrheit zu sagen. Als Beispiel schilderte Kienzle, wie Konzelmann Filmaufnahmen aus dem Heizungskeller des Süddeutschen Rundfunks (SDR) benutzte, um die Kommandozentrale eines Öltankers darzustellen, von der aus Konzelmann Dramatisches über die Ölkrise berichtete.
Interessant bleibt, dass seit der Aufdeckung des Fälscher-Falles Claas Relotius weder bei der ARD noch beim ZDF selbstkritische Verweise auf eigenes Kontroll-Versagen aufgefallen sind.
Relotius war für renommierte Printmedien im deutschsprachigen Raum tätig, vorwiegend beim SPIEGEL, und wurde für seine Reportagen vielfach ausgezeichnet. Im Dezember 2018 wurde aufgedeckt, dass viele seiner Reportagen in Teilen oder zur Gänze erfunden sind.
Und auch Gerhard Konzelmann war ein vielfach öffentlich Geehrter: Neben dem Bambi-Fernsehpreis erhielt er 1975 den Adolf-Grimme-Preis in Bronze für die Sendung „Das Testament des Zaren – Russisch-sowjetische Politik am Golf“. 1977 wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz für seine unerschrockene Berichterstattung während des libanesischen Bürgerkriegs ausgezeichnet, 1989 folgte das Verdienstkreuz 1. Klasse. 2003 erhielt er die Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg. „Wir haben Ihre seriöse Recherche sowie Ihr differenziertes Urteil sehr geschätzt – sie waren ein solides und kompetentes Fundament für die eigene Meinungsbildung“, sagte Ministerpräsident Erwin Teufel in seiner Laudatio.
Ulrich Kienzle war von 1980 bis 1990 Chefredakteur beim Fernsehen Radio Bremens. Als solcher hatte er mitgeholfen, ein bemerkenswertes Regionalprogramm aus der Taufe zu heben: „buten un binnen“.
Das fiel anfangs vor allem dadurch auf, dass die Moderatoren im Studio keine Schlipse mehr trugen. Was darüber fast vergessen ist, schrieb mir seinerzeit „buten un binnen“-Mitbegründer Michael Geyer nach Afrika:
„Wir wollen uns nicht mehr von Presskonferenzen abhängig machen. Stattdessen werden wir den Schwerpunkt auf eigene Investigation legen.“
Als dies immer weniger Schwerpunkt öffentlich-rechtlicher Rundfunk- und Fernsehaufgabe wurde, gab mein Freund Michael auf. Das Angebot, als Direktor für eine solchermaßen heruntergeschnittene Programmstruktur zu übernehmen lehnte er ab.
Ulrich Kienzle lebt nicht mehr, Michael Geyer lebt nicht mehr.
Foto:
©Radio Bremen
Info:
https://www.kellnerverlag.de/wie-ich-lernte-die-welt-im-radio-zu-erklaren.html
Quelle: