Demo von Impfgegnern vor dem Brandenburger Tor in Berlin 1Im Internet tauchen bereits „Feindeslisten“ auf bzw. sind per „Telegram“ in Umlauf

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Das geschürte Unwissen über die Corona-Schutzimpfung erweist sich als von Rechtsradikalen initiiert.

Diese wollen gegen den demokratischen Staat putschen und halten die gegenwärtige Situation, die den Verantwortlichen zu entgleiten scheint, für eine ideale Gelegenheit zum Umsturz. Dabei nehmen sie das von vielen Politikern geäußerte Verständnis für Skeptiker als Steilvorlagen. Ebenso die Hilflosigkeit der Parteien der Ampel-Koalition sowie die einiger Länderregierungen, die nicht dazu in der Lage sind, das erste Impfgesetz durchzusetzen. Es wird immer deutlicher, dass „Querdenker“ keine besorgten Bürger sind, sondern Teil einer rechten Querfront, die sich von AfD und Identitären über Globuli-Fanatiker, Esoteriker und Bildungsferne bis hin zu bewaffneten Schlägertruppen erstreckt.

Derzeit verbreiten Impfgegner Landkarten mit den Adressen angeblicher Antifa-Mitglieder und rufen dazu auf, vor deren Wohnungen zu demonstrieren. Die „Jäger (gemeint sind die Geimpften) werden zu Gejagten“, heißt es auf der gekaperten Internetseite „Anonymus“ (die eigentlich das Organ internationaler Hackergruppen ist, die mit dem rechten Rand nichts zu tun haben). Gleichlautende Hetzaufrufe grassieren auf dem Messenger-Dienst „Telegram“, der mittlerweile zum „Völkischen Beobachter“ der Neonazi-Szene avancierte.
Die Adressliste stammt offenbar aus der vor sieben Jahren von Rechtsextremisten gehackten Kundendatenbank eines Versandunternehmens. Und sie wird laufend ergänzt durch eilfertige „Spaziergänger“, die ihre Nachbarn zu Feinden der Bewegung erklären.
Für den thüringischen Verfassungsschutzpräsidenten Stephan Kramer sind das eindeutig Versuche, Demokraten mit „Hausbesuchen“ einzuschüchtern und in breiten Teilen der Gesellschaft Angst zu verbreiten. Vor allem Personen, die öffentlich einen klaren Standpunkt für die Schutzimpfung einnähmen, erhielten Hinweise, dass man wisse, wo sie arbeiteten oder wo ihre Kinder zur Schule gingen. Insgesamt sei durch Aktionen dieser Art die Hemmschwelle zur Gewalt drastisch gesunken.

„In dieser Lage wäre eine eindeutige Haltung der politisch Verantwortlichen dringend geboten. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach warnt deswegen vor einer Unterschätzung der Risiken der häufig milde verlaufenden Omikron-Variante.“ Und er befürchtet bis zu deren vermutetem Höhepunkt in etwa drei Wochen täglich bis zu 500 Todesopfer. Vom 9. auf den 10. Februar waren es immerhin 238 Menschen, welche die Krankheit nicht überlebt haben. Doch ausgerechnet der Jurist Stephan Rixen fährt dem Minister in die Parade und wirft diesem vor, dass „Bedrohungsszenarien ins Blaue hinein Grundrechtsbeschränkungen nicht rechtfertigten“. Mit Bedrohungsszenarien kennt sich der Berater der katholischen Deutschen Bischofskonferenz vermutlich gut aus, denn er arbeitet dort an der Aufarbeitung oder Verdrängung (je nach Sichtweise) der Missbrauchsskandale mit. Die CDU/CSU hat ihn im Jahr 2020 für den Deutschen Ethikrat nominiert, wo er zu jenen Bedenkenträgern zählt, die den Fortbestand der herrschenden Verhältnisse über alles stellen, die Hoffnung der Menschen auf Gesundheit und Leben aber anscheinend den weniger hohen Gütern zuordnen.

Auch Christian Lindner, Bundesfinanzminister, sieht durch eine offensive Coronapolitik, die sowohl eine Impfpflicht für alle als auch einstweilen weitere Kontaktbeschränkungen (vor allem in der Gastronomie und bei Großveranstaltungen) beinhalten müsste, die Grundrechte infrage gestellt. Er und die anderen neoliberalen Ideologen in der FDP geben wieder einmal ihre ökonomischen Eigeninteressen als Anliegen der gesamten Gesellschaft aus. Ihr Dogmatismus bewegt sich jenseits eines ethisch motivierten Tun oder Lassens.

Bemerkenswert ist im Zusammenhang mit der unausweichlichen Impfpflicht, dass sich ausgerechnet die gesetzlichen Krankenkassen gegen eine von ihnen durchzuführende Kontrolle dieser Gesundheitsmaßnahme aussprechen. Doch wo wären die Impfdaten besser aufgehoben als dort, wo ohnehin alle Patientendaten künftig zusammenfließen sollen?
Ich erinnere mich noch sehr gut an die Kampagne, mit der vor einem Jahrzehnt für die elektronische Gesundheitskarte geworben wurde (deren Potential bis jetzt noch längst nicht ausgeschöpft ist). Damals wurde mit dem Slogan geworben: „Macht Gesundheit einfach sicher“. Und man stellte in Aussicht, dass die eGK technisch bald so ausgestattet sein würde, um eine Vielzahl von Anwendungen und Funktionen übernehmen zu können. Zum Beispiel die Speicherung von medizinischen Notfalldaten, Arztbriefen, Diagnosen oder Hinweisen zu einer chronischen Erkrankung, die allesamt im Ernstfall Leben retten könnten. Und der Datenschutz würde in absehbarer Zeit durch eine persönliche PIN gewährleistet sein.
Da stellt sich die Frage, warum in einem solchen sinnvollen und sicheren System nicht auch ein Impfausweis installiert werden kann. Anscheinend passt einigen Verbandsvertreterin die ganze Richtung nicht - und sie entfernen sich von denen, auf die es ankommt, nämlich von den Versicherten. Ähnliche nicht rational begründbare Vorbehalte kommen aus Richtung der Kassenärztlichen Vereinigung, die das Vertrauen zu den Hausärzten untergräbt. Es hat den Anschein, dass eine große Entfremdung um sich greift, nämlich die zwischen den Menschen und ihren vermeintlichen Interessensvertretern.

Foto:
Impfgegnerdemonstration vor dem Brandenburger Tor in Berlin
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