Bildschirmfoto 2022 04 06 um 07.06.12Twitter-Thread des Völkermord-Forschers Eugene Finkel

Andreas Mink

New York (Weltexpresso) - Eine ebenso knappe wie prägnante Analyse des Genozid-Experten Eugene Finkel findet derzeit breite Beachtung auf Social Media. Finkel lehrt an der renommierten «School for Advanced International Studies» der Johns Hopkins University, stammt aus der Ukraine, ist in Israel aufgewachsen und hat an der Hebrew University und der University of Wisconsin-Madison studiert.


Auf Twitter erklärte Finkel gestern Montag: «Als Genozid-Forscher bin ich Empiriker, lehne Rhetorik ab und betrachte Behauptungen über angebliche Völkermorde mit grösster Skepsis, weil Aktivisten diesen Vorwurf ständig erheben.» Aber in der Ukraine habe er keinerlei Zweifel: «Da gibt es die Handlungen und die Absicht. Wenn denn Genozide existieren, dann liegt hier einer vor. Schlicht, einfach, für Jedermann sichtbar.»

Finkel zitiert die bekannte UN-Definition zum Genozid als «mit der Absicht begangene Handlung, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise als solche zu zerstören.» Die russischen Massaker in Bucha seien Teil einer grösseren Kampagne von Massenmorden. Und obwohl das russische Militär beim Einmarsch dies vermutlich noch nicht geplant habe, sei die Invasion zu einer Völkermord-Kampagne eskaliert. Daneben zeige ein (ebenfalls vielzitierter) Beitrag auf dem russischen Staatsender RIA Novosti eindeutig die Absicht hinter den Massakern. Demnach müsse die Ukraine über ein Vierteljahrhundert bestraft und «denazifiziert» werden, was praktisch die «Eliminierung der Eliten» und «sämtliche Gräuel des Krieges» für die Bevölkerung zu bedeuten habe (Link).

Der Experte setzt hinzu: «Ich habe nationalistische Rhetorik aus Russland mein ganzes Leben lang gelesen. Es handelt sich hier nicht um irgendeine wilde, intellektuelle Fantasie. Hier liegt eine klare Absichtserklärung einer staatlichen Agentur vor, die praktisch anwendbar ist. Die UN-Definition (zu Genozid) mag ihre Probleme haben – hier passt sie wie ein Handschuh» (Link).

In diesem Zusammenhang wird aber auch die Frage gestellt, wie Präsident Joe Biden eigentlich Putin den Prozess als Kriegsverbrecher machen will. Erstens müsste Putin dazu vermutlich besiegt und verhaftet werden. Und zweitens sind die USA nie Mitglied des International Criminal Court geworden. Unter Trump hat Washington sogar Sanktionen gegen den ICC verhängt.

Foto:
Leichen in einem Massengrab in Bucha.
©tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 5. April 2022