Gerder innen 1Die Genderhysterie treibt seltsame Blüten

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Der zum Volkswagenkonzern gehörende Hersteller Audi machte jüngst wieder Schlagzeilen.

Dieses Mal nicht wegen einer verbotenen Abgasmanipulation, sondern wegen einer Sprachregelung. Das Unternehmen will seine Mitarbeiter zu einer geschlechtergerechten Sprache verpflichten und hat sich für das Gendern entschieden. Künftig soll ein Unterstrich die Wertigkeiten von Mann und Frau deutlich machen. Ein VW-Prozessmanager, der im Rahmen einer Querschnittsaufgabe an der Erstellung eines Leitfadens zur verbesserten internen und äußeren Kommunikation mitarbeitet, erhielt von Audi dazu einen Text, den er formal nicht akzeptieren wollte. Denn dieser würde ihn zum Gendern verpflichten, was er als Beeinträchtigung seiner Persönlichkeitsrechte ablehne und deshalb vor Gericht brachte. In der Verhandlung las der Kläger Exemplarisches aus dem Entwurf einer Stellenbeschreibung vor:

„Der_die BSM_Expert_in ist qualifizierte_r Fachexpert_in für die jeweilige BSM-Art und kennt die funktionalen und technischen Zusammenhänge im Fahrzeug.“ Der Richter im Ingolstädter Landgericht zeigte sich verwundert und regte einen Vergleich an, demzufolge der Kläger künftig in korrektem Deutsch angesprochen werden sollte. Doch Audi lehnte das ab. Darum kommt es am 29. Juni zu einer Urteilsverkündigung.

Stephan Hebel, Kolumnist der Frankfurter Rundschau, griff in der Rubrik „TIMES MAGER“ das Thema am 17. Juni auf und zeigte sich davon überzeugt, dass der VW-Manager an einer hypochondrischen Sprachsensibilität kränkeln müsse. Ja, dass ihm das Gendern anscheinend mehr aufs Gemüt schlüge als die Umweltvergiftung oder der Krieg gegen die Ukraine. Zu einer solchen Einschätzung kann man gelangen, wenn man alles andere um sich herum vergisst.

Für mich, der sich an der 68er-Revolte im Rahmen seiner damaligen Möglichkeiten aktiv beteiligt hat, ist das Gendern ein konterrevolutionärer Rückschritt in längst überwunden geglaubte autoritäre und reaktionäre Zeiten. Unser Aufbruch wandte sich gegen den „Mief aus 1000 Jahren“, insbesondere den des „1000-jährigen Reichs“, der sich in der Adenauer-Ära als extrem widerständig erwies. Und er schloss den Kampf gegen völkische Vorstellungen vom Stellenwert der Frau ein. Denn noch immer kursierten im kollektiven Bewusstsein der Deutschen Schlagworte wie „Frau und Mutter, Lebensquell des Volkes“ („Reichsfrauenführerin“ Gertrud Scholtz-Klink). Wobei die hoch gelobten „Lebensquellen“ ansonsten wenig zu bestimmen hatten. Denn sie mussten sich über Männer, in der Regel über ihre Ehemänner und Väter, definieren, blieben letztlich deren Anhängsel, was auch sprachliche Konsequenzen hatte. Die „Frau Direktor“ war die Gattin des Direktors, in seltenen Fällen übte sie selbst die Funktion eines Direktors aus, benutzte aber die männliche Form, obwohl „Direktorin“ im Regelwerk der Sprache verfügbar war. Als „*in“ und „*innen“ erlebt diese Abhängigkeit derzeit eine Wiedergeburt.

Darum hat es den Anschein, dass Geschichtsvergessenheit zu den Merkmalen der Genderer zählt. Ganz abgesehen davon, dass sie den hohen Standard, den die deutsche Sprache in ihrer dynamischen Entwicklung erreicht hat, darunter auch die Möglichkeit zur geschlechtsübergreifenden Abstraktion, für obsolet halten und dadurch die Bildungsferne zur Tugend erklären.

Mein persönliches Fazit: Ich bin ein selbstbestimmter Mensch, also gendere ich nicht. Falls andere es tun, mich aber nicht direkt ansprechen, mische ich mich nicht ein, denn ich fühle mich nicht angesprochen.

Ungehalten werde ich jedoch, wenn ich direkt oder indirekt gemeint bin. Entsprechende Briefe schicke ich mit dem Hinweis zurück: „Bitte gendern Sie nicht, wenden Sie bei der Kommunikation mit mir ausschließlich die deutsche Sprache korrekt an“. Etwa 60 Prozent derer, die etwas mit mir klären wollen oder müssen, entschuldigen sich und unternehmen einen zweiten Anlauf gemäß den „Regeln der deutschen Rechtschreibung“.

Anders verhält es sich mit der FRANKFURTER RUNDSCHAU, die ich seit 49 Jahren tagtäglich lese. Manche Redakteurinnen und Redakteure überbieten sich mittlerweile beim Gendern, Stephan Hebel ist dafür nur ein Beispiel. Wenn ich die Zeit habe, korrigiere ich Printausgabe und ePaper. Das führt zu grafisch interessanten Gestaltungen in Rot und Schwarz auf weißem Grund, obwohl dadurch die Lesbarkeit gegen null tendiert. In regelmäßigen Abständen tausche ich mich mit Freundinnen und Freunden sowie mit ehemaligen Kolleginnen und Kollegen aus, die, ähnlich wie ich, überwiegend in Bereichen der Publizistik tätig waren und – herausgefordert durch das Gendern - zu Hobby-Korrektoren wurden. Einhelliges Resümee: „Ach, die von der FR sind mal wieder auf der Suche nach dem Zeitgeist.“ Wir lachen dann herzlich.

Und Hans-Georg, der mal Journalist bei einer konfessionellen Nachrichtenagentur war, schlägt regelmäßig eine Fürbitte nach dem Beispiel des 1. Briefs an Timotheus, Kapitel 2, Vers 4, vor: „Gott will, dass alle Menschen gerettet werden und sie zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen, auch die Mitarbeiter der FR.“

Doch eigentlich müsste man bei frommen Christen vorsichtig sein. Denn ein Schlüsseltext im Alten Testament weist der Frau jene Rolle zu, die von den Genderern als die einzig mögliche heiliggesprochen wird. Ich meine die ältere der beiden Schöpfungserzählungen (die jahwistische in Genesis 2, Verse 4b bis 25, entstanden um 900 vor der Zeitenwende, Endredaktion um 400 bis 500 v.d.Z.), die auf die jüngere (die Priesterschrift in Genesis, Kapitel 1 bis Kapitel 2, Vers 4a) folgt. Dort heißt es: „Da ließ Gott der Herr einen tiefen Schlaf fallen auf den Menschen (Adam), und der schlief ein. Und Gott nahm eine seiner Rippen und schloss die Stelle mit Fleisch. Und Gott der Herr baute ein Weib aus der Rippe, die er von dem Menschen nahm, und brachte sie zu ihm. Da sprach der Mensch (Adam): Das ist doch Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch; man wird sie Männin nennen, weil sie vom Manne genommen ist.“

Den Experten, vor allem den Religions- und Sprachwissenschaftlern, gilt die Stelle als eine von mehreren Quellen des Anhängselsyndroms, eines archaischen Menschenbilds, das die Vorherrschaft des Mannes in Familie und Gesellschaft betont. Es bedeutet auch, dass sich Frauen grundsätzlich über Männer definieren. Bei der gegenwärtigen Restauration überkommener Geschlechterrollen, einer Phase, in der wir uns aktuell besonders in Deutschland befinden, bedarf es keines eigenständigen Begriffs für das Weibliche, es reicht ein Sternchen, ein Doppelpunkt oder ein Unterstrich aus, der mit der vorangehenden männlichen Form verbindet. Die Gender-Feministen*innen nehmen in Demut und dennoch voller begeisterter Überzeugung diese Rolle an.

Ich kann mich noch gut an Theologenstammtische in den 80er und 90er Jahren erinnern, zu denen ich eingeladen war. Die Herren sprachen teils mit Hochachtung, teils mit leichter Herablassung von ihren „Rippen“, die den Haushalt organisierten und ihnen den Rücken freihielten.
Darauf nachträglich ein Rippchen mit Asterisk und einen Sauergespritzten, Prost und guten Appetit!

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Gender*innen
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