Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) - Die Sache entwickelte ihre eigene Dynamik. Der Oberstaatsanwalt in Bonn forderte den Vertriebenenminister auf, sich zu den Vorwürfen zu äußern und die Justizbehörden rückten nun auch damit heraus, dass ihnen Material einer Verfolgtenorganisation über die Lemberger Ereignisse vorlag. Gemeint war die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), von deren Vorstoß ich beim Abfassen meines Artikels nichts wusste. Sonst hätte ich ihn selbstverständlich erwähnt. Oberländer sah sich jedenfalls genötigt, vor der Presse zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen.
Dabei räumte er seine Tätigkeit als »Sachverständiger« des Bataillons »Nachtigall« ein, wies aber alle Beschuldigungen im Zusammenhang mit den Vorkommnissen in der ostgalizischen Stadt als unzutreffend zurück. Die öffentliche Diskussion über die NS-Vergangenheit des Ministers war aber nicht aufzuhalten. Wer es bis dahin nicht gewusst hatte, der erfuhr nun, dass Oberländer sich schon sehr früh für Hitlers Ideen erwärmt hatte. Er beteiligte sich 1923 am Münchner Putschversuch der Nazis, am Marsch zur Feldherrnhalle und schloss sich im Jahr der Machtübernahme Hitlers als »alter Kämpfer« auch formell dessen Partei an. Neben seiner Tätigkeit als Professor für Landwirtschaftspolitik in Danzig war er Amtsleiter im Gaustab Ostpreußen der NSDAP und leitete als Experte für osteuropäische Fragen den nationalsozialistischen »Bund Deutscher Osten«.
Seiner Nachkriegskarriere hat das nicht geschadet. Nun aber musste Adenauer sich sagen lassen, einen intellektuellen Urheber der deutschen Tragödie im Osten an seinem Kabinettstisch zu haben, dessen Verbleiben im Amt eine schwere Belastung für jede friedliche deutsche Ostpolitik darstelle. Die Opposition rief nach Rücktritt und die Presse stellte bohrende Fragen. Stimmte es wirklich, dass in der Bundesrepublik
Deutschland düstere Gestalten aus der Nazizeit in Führungspositionen saßen? Beunruhigt blickte das westliche Ausland auf Bonn, zumal da die DDR und ihre Verbündeten eine eigene Front in dieser Sache eröffnet hatten. Sieben Monate nachdem Oberländer mit seiner Fuldaer Beschlagnahmeaktion den Stein gegen sich selbst ins Rollen gebracht hatte, veranstaltete die DDR-Führung vor dem Obersten Gericht in Ostberlin einen Prozess gegen Theodor Oberländer, der am 29. April 1960 mit einem Schuldspruch endete.
Die weltweiten Reaktionen trafen die Bundesregierung wie der sprichwörtliche Blitz aus heiterem Himmel. War denn nicht alles in bester Ordnung? Aus dem Nichts heraus hatten die Deutschen eine blühende Wirtschaft aufgebaut. Im Jahr 1959 gab es erstmals mehr offene Stellen als Arbeitslose. Im Ruhrbergbau wurde die Fünf-Tage-Woche mit Lohnausgleich eingeführt. Auch außen- und sicherheitspolitisch schien alles im Lot. Längst hatte sich Bonn als verlässlicher Partner des Westens erwiesen. Und nun dies. Ganz offensichtlich hatte sich atmosphärisch etwas verändert. Im zehnten Jahr des Bestehens der Bundesrepublik hatten die meisten Menschen das Gröbste hinter sich und waren nun eher geneigt, einen Blick zurück in das unheilvolle Dunkel der jüngsten Vergangenheit zu riskieren. Mehr als gewohnt nahm die Öffentlichkeit von den scheußlichen Verbrechen Kenntnis, deretwegen sich ehemalige SS- und Polizeiangehörige 1958 im Ulmer Prozess gegen das »Einsatzkommando Tilsit« zu verantworten hatten. Erstmals gab es Kritik an der Systemlosigkeit bei der Verfolgung von Mordverdächtigen aus der Zeit des so genannten Dritten Reiches, bis schließlich der Stuttgarter Generalstaatsanwalt Erich Nellmann die Einrichtung einer zentralen Ermittlungsstelle empfahl. Sie sollte das Material über ungesühnte NS-Verbrechen sammeln
und den zuständigen Staatsanwaltschaften zur weiteren Behandlung zuleiten. Nellmann begründete seinen Vorschlag mit den Worten, es dürfe nicht zugelassen werden, dass Mörder und ihre Gehilfen, die durch planvolles Vorgehen belangt werden könnten, straflos blieben und zum Teil sogar als Beamte oder Angestellte im Staatsdienst tätig seien. Noch im selben Jahr riefen die Länderjustizminister und -senatoren eine solche zentrale Stelle mit Sitz in Ludwigsburg ins Leben. Ihre Leitung übernahm der Ankläger aus dem Ulmer Einsatzkommandoprozess, Oberstaatsanwalt Erwin Schüle. (Fortsetzung folgt)
Seiner Nachkriegskarriere hat das nicht geschadet. Nun aber musste Adenauer sich sagen lassen, einen intellektuellen Urheber der deutschen Tragödie im Osten an seinem Kabinettstisch zu haben, dessen Verbleiben im Amt eine schwere Belastung für jede friedliche deutsche Ostpolitik darstelle. Die Opposition rief nach Rücktritt und die Presse stellte bohrende Fragen. Stimmte es wirklich, dass in der Bundesrepublik
Deutschland düstere Gestalten aus der Nazizeit in Führungspositionen saßen? Beunruhigt blickte das westliche Ausland auf Bonn, zumal da die DDR und ihre Verbündeten eine eigene Front in dieser Sache eröffnet hatten. Sieben Monate nachdem Oberländer mit seiner Fuldaer Beschlagnahmeaktion den Stein gegen sich selbst ins Rollen gebracht hatte, veranstaltete die DDR-Führung vor dem Obersten Gericht in Ostberlin einen Prozess gegen Theodor Oberländer, der am 29. April 1960 mit einem Schuldspruch endete.
Die weltweiten Reaktionen trafen die Bundesregierung wie der sprichwörtliche Blitz aus heiterem Himmel. War denn nicht alles in bester Ordnung? Aus dem Nichts heraus hatten die Deutschen eine blühende Wirtschaft aufgebaut. Im Jahr 1959 gab es erstmals mehr offene Stellen als Arbeitslose. Im Ruhrbergbau wurde die Fünf-Tage-Woche mit Lohnausgleich eingeführt. Auch außen- und sicherheitspolitisch schien alles im Lot. Längst hatte sich Bonn als verlässlicher Partner des Westens erwiesen. Und nun dies. Ganz offensichtlich hatte sich atmosphärisch etwas verändert. Im zehnten Jahr des Bestehens der Bundesrepublik hatten die meisten Menschen das Gröbste hinter sich und waren nun eher geneigt, einen Blick zurück in das unheilvolle Dunkel der jüngsten Vergangenheit zu riskieren. Mehr als gewohnt nahm die Öffentlichkeit von den scheußlichen Verbrechen Kenntnis, deretwegen sich ehemalige SS- und Polizeiangehörige 1958 im Ulmer Prozess gegen das »Einsatzkommando Tilsit« zu verantworten hatten. Erstmals gab es Kritik an der Systemlosigkeit bei der Verfolgung von Mordverdächtigen aus der Zeit des so genannten Dritten Reiches, bis schließlich der Stuttgarter Generalstaatsanwalt Erich Nellmann die Einrichtung einer zentralen Ermittlungsstelle empfahl. Sie sollte das Material über ungesühnte NS-Verbrechen sammeln
und den zuständigen Staatsanwaltschaften zur weiteren Behandlung zuleiten. Nellmann begründete seinen Vorschlag mit den Worten, es dürfe nicht zugelassen werden, dass Mörder und ihre Gehilfen, die durch planvolles Vorgehen belangt werden könnten, straflos blieben und zum Teil sogar als Beamte oder Angestellte im Staatsdienst tätig seien. Noch im selben Jahr riefen die Länderjustizminister und -senatoren eine solche zentrale Stelle mit Sitz in Ludwigsburg ins Leben. Ihre Leitung übernahm der Ankläger aus dem Ulmer Einsatzkommandoprozess, Oberstaatsanwalt Erwin Schüle. (Fortsetzung folgt)
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