Zum Tod des beliebtesten Russen der Gegenwart
Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) - Wenn es Michail Gorbatschow in jüngster Zeit noch einmal nach Berlin geführt hätte, wäre ihm die Einreise ganz gewiss nicht verweigert worden, obwohl er sich in einem gravierenden Fall als Putin-Versteher zu erkennen gab: Ungeachtet aller Kritik an der völkerrechtlich umstrittenen Abtrennung der Krim von der Ukraine, bestand die Wahrheit für ihn darin, „dass man die Krim nicht von Russland losreißen darf.“
Es ist schon eine Weile her, seit der Nachrichtenkanal ntv am 19. November 2014 an der Ausspruch Gorbatschows erinnert hat. In seiner Heimat waren nicht alle von dem begeistert, was der Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion seinen Landsleuten unter den Stichworten „Glasnost“ und „Perestroika“ verordnet hatte. Gemeint war damit das Recht auf freie Rede und die Umgestaltung der Arbeit nach modernen Kriterien. Mit anderen Worten: dem sozialistischen Schlendrian sollte es an den Kragen gehen.
Die Menschen in den verbündeten Ländern verbanden damit die Hoffnung auf ein freieres Leben und einen höheren Lebensstandard. Als Gorbatschow bei einem Besuch der DDR mit entsprechenden Fragen bedrängt wurde, antwortete er mit dem zum geflügelten Wort gewordenen Satz: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ Viele verstanden den Spruch als versteckte Kritik an der verknöcherten Denkweise der regierenden SED. Die daraus resultierende Aufbruchstimmung führte schließlich zum Fall der Mauer. Es wuchs zusammen, was zusammengehört, wie Willy Brandt sich ausdrückte.
Bei den Verhandlungen der vier Siegermächte mit Vertretern der beiden deutschen Staaten kamen die Beteiligten überein, „sich gegenseitig nicht als Gegner zu betrachten, sondern auf ein Verhältnis des Vertrauens und der Zusammenarbeit hinzuarbeiten“. Die Zusicherung, dass das vereinigte Deutschland ein „demokratischer und friedlicher Staat“ sein werde, bewog Gorbatschow zu einem Vertrauensvorschuss gegenüber dem neuen Deutschland. Er knüpfte, wie es in den „Blättern für deutsche und internationale Politik“ ( Heft 4/2014) heißt, die russische Einwilligung in die Nato-Mitgliedschaft des vereinten Deutschland an die Bedingung, dass die Nato sich nicht noch weiter nach Osten ausdehnen werde.
Aber es kam anders: Von der Elbe verschob sich die Ostgrenze der Nato durch die Mitgliedschaft des vereinten Deutschland an die Oder. Mit dem Nato-Beitritt Polens wurde der Bug zur neuen Ostgrenze der Militärallianz. Das geschah bereits gegen den entschiedenen russischen Protest. Mit dem Beitritt der Ukraine würde sich die Ostgrenze der Nato bis an den Dnjepr verschieben – eine Vorstellung, die den Verantwortlichen im Kreml die Haare zu Berge stehen lässt. Wahrscheinlich ist das einer der Hauptgründe für die „militärische Spezialoperation“ Wladimir Putins gegen die Ukraine.
Hier sei allerdings zu bezweifeln, heißt es in den „Blättern“, ob tatsächlich die ukrainische oder nicht vielmehr die amerikanische Regierung als treibende Kraft hinter dem Kiewer Aufnahmeantrag vom Januar 2008 gestanden habe. Die ukrainische Ministerpräsidentin Timoschenko sagte damals, dass die Bevölkerung einen Nato-Beitritt zu drei Vierteln ablehne. Interessanter Weise gehörte Helmut Kohl seinerzeit zu denen, die das Verhalten des Westens im Hinblick auf die Ukraine und Russland beanstandeten. Seiner Ansicht nach hat es, derselben Quelle zufolge, „an Sensibilität im Umgang mit unseren russischen Nachbarn gemangelt, insbesondere mit Präsident Putin“. Wie Gorbatschow über seine wortbrüchigen Gesprächspartner von einst gedacht hat – werden wir es jemals erfahren?
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