Eine neue Ära?

Der erste Teil des Angriffs auf die Unabhängigkeit der Justiz ist vollzogen. Das Oberste Gericht entscheidet im September, ob dies zulässig ist

Redaktion tachles

Tel Aviv (Weltexpresso) - Nach der Verabschiedung des neuen Grundgesetzes, das die Kontrollfunktion des Obersten Gerichts über die Regierung in vielen Bereichen ausgehebelt hat, ist dieses Gesetz am Mittwoch offiziell in Kraft getreten. Premier Netanyahu kann nun sogar den mehrfach vorbestraften Schas-Führer Arye Deri in die Regierung zurückholen. Das Oberste Gericht hatte das untersagt, da Deri nicht nur vorbestraft war, sondern bei seinem letzten Prozess gegenüber dem Gericht, um eine mildere Strafe zu erhalten, erklärt hatte, er würde sich von öffentlichen Positionen zurückziehen.

Das aber tat er nicht, sondern bekam von Netanyahu in der neuen Regierung Anfang Januar gleich zwei Ministerposten, woraufhin das Gericht genau dieses Gesetz anwandte, das nun ausser Kraft gesetzt ist: Das Gesetz der Verhältnismässigkeit, beziehungsweise der Vernunft. Deri musste seine gerade angetretenen Posten gleich wieder verlassen. Diesmal, wenn Netanyahu ihn zurückholt, wird er das nicht tun müssen, zumindest nicht sofort.

Das Oberste Gericht erklärte am Mittwoch, dass es das Gesetz erst einmal in Kraft lassen werde und setzte für September die Anhörung zu den Petitionen gegen das neue Grundgesetz, die in den letzten beiden Tagen eingereicht wurden (und es werden noch mehr Petitionen kommen), an.

Dann wird sich entscheiden, welches Urteil das Oberste Gericht verhängen wird. Wenn es das neue Gesetz als verfassungswidrig deklarieren wird, dann müsste die Regierung dies eigentlich akzeptieren. Doch niemand weiss, ob Netanyahu und seine extremistischen Koalitionäre und Partner ein solches Urteil annehmen würden. Und ebenso ist noch nicht klar, ob dies das Urteil sein wird. Denn noch nie hat ein Oberstes Gericht in Israel ein Grundgesetz abgelehnt. Die Richter betreten damit jetzt juristisches Neuland. Alles ist möglich.

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Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 26. Juli 2023