»Nur wer sich aufgibt, ist verloren«. Alfred Hausser - Porträt eines Antifaschisten, Teil 4
Conrad Taler
Bremen (Weltexpresso) - Alfred Hausser: »Es war Ende April 1945. Wir wurden Hals über Kopf noch einmal evakuiert, vom Zuchthaus Celle nach dem Gefängnis in Wolfenbüttel. Eines Morgens ist plötzlich eine ungewohnte Stille. Dann hört man etwas rattern. Einige Kameraden ziehen sich hoch am Gitter und sagen: Da draußen fahren die Amerikaner. Und dann ging ein Jubel los, und bald darauf wurden die Zellen aufgeschlossen und wir konnten uns dann wenigstens in der Anstalt frei bewegen. Es hat dann Wochen gedauert, bis wir dann tatsächlich freie Menschen waren. Das war natürlich ein tiefes Aufatmen; denn zehn Jahre Haft, davon die überwiegende Zeit in Einzelhaft, bedeutet, dass man sehr weit weg vom Leben gekommen ist. Kleine Dinge, also Umgang mit anderen Menschen, das, was man so Sitte und Anstand im bürgerlichen Sprachgebrauch nennt, das alles musste man wieder lernen.«
Alfred Hausser und die anderen politischen Gefangenen stürzen sich nicht Hals über Kopf in die Freiheit; sie klettern nicht mit Hilfe einer Leiter über die Mauer, sondern sagen sich: Wir wollen da raus, wo wir rein gekommen sind, also durch das Tor, und mit einem Papier, in dem drinsteht, dass wir politische Häftlinge gewesen sind. In der Tat bleiben die Politischen solange freiwillig hinter Gefängnismauern, bis sie diese Bestätigung in der Hand haben. Erst dann fühlt sich Alfred Hausser wirklich frei. Im zerbombten Stuttgart findet er die elterliche Wohnung unversehrt vor, trifft alte Freunde wieder und lernt Stück für Stück, sich im normalen Leben wieder zurechtzufinden. Das Hochgefühl, den Terror der Nazizeit im Gegensatz zu vielen anderen überlebt zu haben, geht einher mit der festen politischen Überzeugung, dass – wie Hausser formuliert – »nach diesem tiefen Sturz Deutschlands in die Barbarei die Nazi-Ideologie mit allem Drum und Dran für immer der Vergangenheit angehört.« Aber da gibt es noch eine Geschichte, die erzählt werden will:
Alfred Hausser: »Aus meiner Haft in Celle kann ich mich noch an eine Begebenheit erinnern, die sich im Nachhinein als ein sehr bedeutendes Ereignis abgezeichnet hat. Ich wurde dort bei der Ankunft einem Mitarbeiter der Firma Bosch zur Verfügung gestellt, um ihm zu helfen. Er sagte zumir: Du bist sicher auch ein Schwabe. Ja, sag’ ich. Weshalb bist Du da? Politisch, na, sagt er, also pass’ auf: Ich leg’ morgen irgendwo in einer Ecke ein Stück Brot hin, Vesperbrot, das nimmst Du dann. Das hat er dann auch gemacht, und das Vesperbrot habe ich als zusätzliche Nahrungsquelle gerne gegessen. – Und lange nach der Befreiung, ich bin wieder in Stuttgart, ich komme zum ersten Mal wieder zu einer Maikundgebung der Gewerkschaften, seh’ mich ein bisschen um, und sehe dort einen Mann stehen und denke, das Gesicht kennst du doch. Dann zündet’s bei mir. Ich geh’ auf ihn zu und sage: Kollege, warst Du im Dezember 1943 für den Bosch in Celle? Nachher sagt der: Jawoll. Han ich g’sagt: also gut, ich bin der, der Dir damals geholfen hat, und ich dank’ Dir noch im Nachhinein für das Stückchen Brot, das Du für mich hinterlegt hast. Das war eine solche Freude, und die Freude hat dann dazu geführt, dass wir unseren 75. Geburtstag gemeinsam gefeiert haben, ein großes Fest mit 200 Gästen von
beiden Seiten.«
Mehr als 40 Jahre währte die Freundschaft mit Ernst Rohm, jenem »Mann von Bosch«, der lange Zeit als stellvertretender Vorsitzender des Touristenvereins »Die Naturfreunde« tätig war und dafür mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt wurde. Alfred Hausser findet leicht Kontakt zu anderen Menschen. Als heimgekehrte Widerstandskämpfer und andere unbelastete Personen unmittelbar nach Kriegsende Arbeitsausschüsse gründen, um die Verwaltung der zerstörten Städte wieder in Gang zu bringen und die Bevölkerung mit dem Notwendigsten zu versorgen, stellt er sich gleichfalls ohne langes Überlegen zur Verfügung. Sein Tun ist nach seinen Worten geprägt von den Erfahrungen aus der Niederlage im Kampf gegen die Nationalsozialisten.
Viel geht ihm dabei durch den Kopf und die Erinnerung ist noch sehr lebendig:
Alfred Hausser: »Alle Nazigegner haben ja mit der Machtübertragung an die Nazis am 30. Januar 1933 eine entscheidende politische Lehre empfangen: dass sie zwar aus verschiedenen Motiven Gegner der Nazis gewesen sind, sich aber nicht auf gemeinsame wirksame Aktionen einigen konnten. So konnten die Nazis ihre uneinigen Gegner einzeln schlagen, kaputtmachen, verbieten, in die KZ-Lager stecken, ohne dass es einen nennenswerten Widerstand gegeben hat. Dann in den Konzentrationslagern sind die politischen Gegensätze, für die man sich noch Wochen zuvor gestritten und geprügelt hatte, verblasst, so dass damals unter bitterem Zwang eine Harmonie entstanden ist, von der man eigentlich annehmen konnte, dass daraus ein tragendes Element wird, wenn die Nazis weg sind. Eine Lehre, die die entlassenen KZ-Häftlinge und Strafgefangenen mit nach Hause gebracht hatten, war eben die: wir waren zerstritten und haben deshalb verloren; das darf sich unter veränderten politischen Bedingungen nicht mehr wiederholen. Und so hofften wir eigentlich auf eine Gemeinsamkeit der Antifaschisten, ungeachtet wo sie sich nun politisch organisieren: Bei der Sozialdemokraten, bei der CDU oder bei der KPD. Es gab ja überall Antifaschisten, echte Verfolgte, mit denen man per Du und kameradschaftlich verbunden war. Und nun ist das leider alles weithin Theorie geblieben. Man darf natürlich nicht vergessen, dass auch sehr bald der Kalte Krieg inszeniert wurde und dass eben für viele Antifaschisten in den verschiedenen Lagern die gemeinsame Erkenntnis – Antifaschisten müssen zusammenstehen über Parteigrenzen hinweg – dass die Parteiräson ihnen höher stand als dieses Bekenntnis. Und damit haben sie als Antifaschisten wichtige Positionen preisgegeben.«
Forsetzung folgt
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Info:
Text einer Radio-Bremen-Hörfunksendung vom 31. März 1995