YouTubeDAS JÜDISCHE LOGBUCH zur Frankfurter Buchmesse

Yves Kugelmann

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Es war der Žižek-Moment an der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse, der symptomatisch ist für eine Debatte, die seit Jahrzehnten andauert und nochmals in eine neue Phase gehen wird: Der slowenische Philosoph Slawoj Žižek spricht über die Verbrechen der Hamas und ebenso über den Schutz der Zivilbevölkerungen in Gaza. Der Antisemitismusbeauftragte  sieht darin Antisemitismus und verlässt den Saal, der Buchmessedirektor macht ein gewichtiges Grundsatzstatement zur offenen Debatte.

Bildschirmfoto 2023 10 24 um 07.32.57Die Republik debattiert Wortwahl, den passenden oder unpassenden Moment von Žižeks Einlassungen. War das Antisemitismus? Ist eine neue Antisemitismuswelle in der gehobenen Elite im Anmarsch oder schon immer da gewesen? Was ist mit den Bildern von antiisraelischen Protesten weltweit? Die Eigendynamiken solcher Entwicklungen sind nicht absehbar. Das Drehbuch der Islamisten geht auf. In Frankreich gibt es Bombendrohungen, in Belgien Morde. Wie nach 9/11, Karikaturenstreit, Koranverbrennungen folgen Drohungen, Terror, statt Debatte, Diskussion und Streit in Worten.

Die barbarischen Massaker, die verheerenden Geiselnahmen und die drohende Eskalation des Konflikts sind mehr als die Eskalation in einem ermüdenden alten, von so vielen nicht gelösten Konflikt – und doch bleiben sie auch Teil einer Debatte voll von Asymmetrien, Diskrepanzen, Missverständnissen. Die einen sehen die apokalyptische Verheißung im Vollzug, die anderen verweisen auf Kausalitäten, Ursache und Wirkung, andere wiederum sehen dies alles mit anderen Vorzeichen konnotiert. Die Grenze zwischen Emotionen, Ratio, verzweifeltem Ringen um die bessere Antwort oder Missbrauch der Ereignisse, ist oft schmal. Im Netz verkommt der Krieg in Israel zum Event, wird von vielen Seiten missbraucht für Propaganda aller Seiten und eskaliert bisweilen in triefende Verschwörungstheorien, Antisemitismus, Rassismus, Muslimhass, Stigmatisierungen und Hetze.

Die offene, demokratische Gesellschaft kann das ebenso wenig zulassen wie die Verweigerung der offenen, oft für alle Seiten schmerzhaften, aber unerlässlichen Debatte über alles. Žižek hat gesagt, was viele Jüdinnen und Juden auch in Israel immer wieder fordern. Er sagte es im falschen Land – im Deutschland, das diskussionslos Staatsdoktrinen und Staatsräson durchexerziert und die anderen Stimmen im öffentlichen Raum kaum mehr toleriert. Die elimatorische Ideologie von Hamas und Co. kann töten, aber nicht die Selbstaufgabe dessen einfordern, was Demokratien – und somit auch Israel – ausmacht.

Das mag man in diesen Zeiten als elitäre Debatte abtun, doch mit Blick ins Netz sollte es ein Mahnruf auch an die eigenen Stammesgenossen sein, die mit gutem Grund in Angst, Sorge, Tränen durch diese Tage gehen. Doch Radikalisierung ist keine Antwort.

Dass ein Frankfurter Antisemitismusbeauftragter nicht weiß, was Antisemitismus ist, macht die Sache nicht besser. Er soll dort auf die Bühne treten, wo tagtäglich richtiger Antisemitismus und Judenmorde stattfinden. Auch in Deutschland. Er soll den vielen Jüdinnen und Juden, Israeli, die am Dienstag im Saal saßen, nicht vorgreifen, und zuhören, was Buchmessedirektor Jürgen Boos sagte: «Es ist die Freiheit des Wortes. Und die müssen wir hier stehen lassen, das ist mir wichtig.» Die Buchmesse verurteile den Terror. «Wir sind Menschen und wir denken menschlich. Menschlich auf israelischer Seite, auf palästinischer Seite.» Es sei wichtig, dass sich alle einig seien in der Verurteilung der Unmenschlichkeit und Terrors. «Ich bin froh, dass wir die Rede zu Ende gehört haben, auch wenn sie uns nicht gefallen mag. Auch wenn wir sie sogar verurteilen, es ist wichtig, dass wir uns zuhören.» Das Gegenteil von Terror, Hamas, Fundamentalismus.

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Der Antisemitismusbeauftragte (links) hatte die Bühne betreten und einen kurzen Wortwechsel mit dem Redner 
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Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 20. Oktober 2023 
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.