Die Ordensaffäre Bütefisch, Teil 3/3
Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) - Verlegen erläuterte das Präsidialamt den peinlichen Missgriff gegenüber der Öffentlichkeit mit dem Hinweis, die Unterlagen seien nicht vollständig gewesen. In Wirklichkeit waren alle Beteiligten über die eigene Unlust zur ernsthaften Auseinandersetzung mit der Vergangenheit gestolpert. Seit Konrad Adenauer 1952 die Parole „Schluss mit der Naziriecherei!“ ausgegeben hatte, war die Bekämpfung der Kommunisten wichtiger als alles andere. Wer – wie die alten Nazis – diesbezüglich über einschlägige Erfahrung verfugte, war als Mitstreiter willkommen.
Fur den Düsseldorfer Bundesverband der deutschen Industrie, der Bütefisch zur Auszeichnung vorgeschlagen hatte, spielte dessen Vergangenheit anscheinend überhaupt keine Rolle Die für den Antrag zuständige Landesregierung unter dem CDU-Ministerpräsidenten Franz Meyers gab sich mit der Auskunft ihres Ordensreferates zufrieden. Auch Verfassungsschutz und Polizei hatten keine Bedenken. Bütefischs sechsjährige Freiheitsstrafe aus dem Nurnberger Prozess war nach geltendem Recht inzwischen aus dem Strafregister gestrichen worden. Sein kompromittierender Umgang mit dem obersten SS-Führer Himmler spielte augenscheinlich ebenfalls keine Rolle. Jedenfalls gelangte ein blitzsauberer Vorgang auf den Tisch des Bundespräsidenten, der die Verleihungsurkunde ohne weitere Nachforschungen arglos unterschrieb.
Das Donnerwetter des deutschen Staatsoberhauptes nach dem Anruf der jüdischen Zeitung muss gewaltig gewesen sein. Lübkes Zorn bekam anscheinend auch die Regierung des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen zu spuren. Jedenfalls gab Innenminister Willy Weyer (FDP) unverzüglich die Anweisung, ehemaligen Angeklagten des Nürnberger IG-Farben- Prozesses fortan generell keine Unbedenklichkeitsbescheinigung mehr auszustellen. Die Durchsicht alter Unterlagen hatte nämlich ergeben, dass dem Bundespräsidenten vier Jahre davor bereits ein ähnlicher Fall untergejubelt worden war. Damals hatte ein ehemals leitender Angestellter der IG Farben sogar das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern erhalten.
Geehrt worden war Dr. Friedrich Jähne, der in Nürnberg wegen des „Verbrechens der Plünderung fremden Eigentums in den besetzten Gebieten“ eineinhalb Jahre Gefängnis bekommen hatte.(7) Fur ihn blieb die Diskussion über den Fall Bütefisch ohne Folgen, aber die öffentliche Empörung über das Fehlverhalten staatlicher Stellen verfehlte ihre Wirkung nicht ganz. Der CDU-Abgeordnete Dr. Hermann Conring gab sein Verdienstkreuz freiwillig zurück, nachdem in Holland Proteste gegen seine Ehrung laut geworden waren. Ihm wurde vorgeworfen, wahrend des Krieges im Bezirk Groningen als Stellvertreter des Nazi-Reichskommissars fur die Niederlande, Seys-Inquart, den beschleunigten Abtransport holländischer Juden in Vernichtungslager angeordnet zu haben. Seiner politischen Karriere tat dies keinen Abbruch.(8) Dr. Heinrich Lubke, Bundesprasident von 1959 bis 1969, der in der Ordensaffäre Butefisch prompt reagiert hatte, sah sich keine zwei Jahre später mit Bauzeichnungen fur KZ-Lager konfrontiert, die seine Unterschrift trugen.(9)) Als stellvertretender Leiter der „Baugruppe Schempp“, so hieß es aus der DDR, sei Lübke an der Planung und am Bau der Konzentrationslager Neustaßfurt, Peenemunde und Leau sowie des Zwangsarbeitslagers Wolmirsleben beteiligt gewesen. Auch die schlechte Behandlung und den Hungertod von KZ-Häftlingen in den unterirdischen Produktionsstatten von Leau bei Bernburg habe er mit zu verantworten.(10) Die SPD-Bundestagsfraktion sah – falls die Vorwurfe sich als zutreffend erweisen sollten – eine „unselige Verstrickung in das System des Unrechtsstaates, der so viele deutsche Staatsbürger unterlegen“ seien.(11) Soweit mir bekannt ist, hat Lübke von sich aus niemanden wegen dieser Anschuldigungen gerichtlich belangt. Ein von Amts wegen eingeleitetes Verfahren wegen Beleidigung des Bundespräsidenten im Zusammenhang mit den Vorgängen in Leau wurde eingestellt. (12)
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7) Associated Press, 17. 12. 1964
8) Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17. 8. 1965
9) Deutsche Presse-Agentur 10. 2. 1966
10) Frankfurter Rundschau, Die Tat, 5. 3. 1966
11) Stimme der Gemeinde, 15. 10. 1966, Frankfurter Rundschau, 3. 12. 1966
12) Die Tat,5. 3. 1966
Info:
(Erstveröffentlichung 2003)