Bildschirmfoto 2023 11 06 um 02.06.27Im Gespräch mit Olaf Ossmann

Yves Kugelmann

Zürich (Weltexpresso) - Olaf Ossmann ist internationaler Experte für Provenienz und vertritt als Anwalt die Familie Emden bei Rückforderungen aus der dort ausgestellten Sammlung Bührle – eine Verortung der Causa Bührle zur neuen Ausstellung im Kunsthaus Zürich.


tachles: Das Kunsthaus Zürich hatte eine Umhängung der Sammlung Bührle in Verbindung mit einer Ausstellung zum Thema Provenienz angekündigt. Wie sehen Sie das als Rechtsvertreter von Opferfamilien?

Olaf Ossmann: Niemand konnte mir erklären, was das Haus nun der ja extern vergebenen Überprüfung der Provenienzforschung gegenüberstellen will. Wie mir vom neuen Leiter der Provenienzforschung des Kunsthauses bestätigt wurde, ist das Anliegen offenbar nicht, auf die Provenienzforschung einzugehen, sondern eher auf den Gesamtkontext Bührle. Es soll eine mehr auf die Sicht des Museums und nicht der Bührle-Stiftung ausgerichtete Hängung stattfinden, die aber mit den Provenienzen erst mal nichts zu tun hat.

Die ganze Debatte folgt ja einer ungeschriebenen Dramaturgie, die nichts auslässt. Die neue Direktorin löst das Problem nicht, sondern wird zur Alliierten der alten Truppe, worauf die Beraterkommission letzte Woche den Rücktritt gab und nun weiter gewurstelt wird, wie beim Tanz ums Goldene Kalb: Restitution wurde einst negiert, dann aufgeschoben und der Fokus des Hauses täter- und nicht opferzentriert weitergezogen. Wie sehen Sie die Entwicklungen?
Es ist eine traurige «Scheinentwicklung», die das Grundproblem, sich der Verantwortung zu stellen, unangetastet bleiben lassen will. Die neue Direktorin kann in ihrer Funktion das Problem nicht lösen. Aber wo bleiben die Kunstgesellschaft Zürich, wo deren Direktor Hildebrand? Wo die Vertreter von Stadt und Kanton Zürich mit massgeblicher Stimme? Man will sich zwar «die Sammlung Bührle», aber nicht das «Problem Bührle» zu eigen machen. Deshalb kommen offenbar auch jetzt die Opfer nicht vor, diese gehören ja in ein Holocaust-Museum, was man nicht sein wolle.

Wo verorten Sie heute das Kunsthaus in den grundsätzlichen Fragestellungen von Provenienz?
Offenbar gibt es nun die frühere Einstellung, dass Leihgaben Sache des Eigentümers und nicht des Museums sind, nicht mehr. Aber es gibt eben auch keine Lösung für damit verbundene Konflikte. Im Juni etwa bin ich vom Museum freundlich angefragt worden, ob man seitens der Anspruchsteller allenfalls bereit wäre, das Werk im Museum zu belassen, falls die neue Kommission um Raphael Gross zum Schluss käme, dass mit der früheren Provenienzforschung etwas nicht stimme. Aber bevor ich antworten konnte, erklärte die Bührle-Stiftung schon, dass sie sich an solchen Spekulationen zum jetzigen Zeitpunkt nicht beteiligen wolle. Das Absurde daran ist indessen, dass aus allen Vereinbarungen des Kunsthauses mit Leihgebern hervorgeht, dass das entsprechende Bild abgehängt wird, wenn es ein Problem mit der Provenienz gibt. Sonst geschehe aufseiten des Museums nichts.

Was wäre denn State of the Art im Umgang mit solchen Fragen?
Dass sich einerseits das Museum mit all seinen zur Verfügung stehenden Ressourcen selbst an diesen Recherchen beteiligt und in der Regel auch den Standard vorgibt, den Privateigentümer, die nicht öffentlich ausstellen, eben nicht haben. Und andererseits sieht ein Museum seine Rolle darin, einen Fall aktiv zu begleiten und nicht nur auf ein Resultat zu warten. In Zürich betrachtet man die Sache als ein aussenstehendes Problem, international ist es ein direktes Problem des Museums bis hin etwa dazu, dass man heute auch miteinbezieht, mit welchem Geld ein Werk vom Leihgeber erworben worden war und ob die Gesellschaft von dessen Geschäften profitierte.

Ist in Zürich nicht auch die Konstellation mit einem runden Tisch nebst der Expertenkommission etwas eigenwillig?
Für mich ist das nicht eigenwillig, sondern unsinnig. Es geht ja nur um die eine Frage, nämlich ob die Gloor’sche Provenienzforschung den heutigen Standards entspricht. Die heutige Berner Schule der Provenienzforschung bezieht neben dem individuellen auch den kollektiven Kontext in Beziehung zu den ermittelten Fakten und schliesst so auch Lücken, die in Basel und Zürich noch immer durch Spekulationen oder gleich direkt als «fehlende Fakten» gegen die Anspruchsteller verwendet werden. Für diese kontextbasierte Forschung gibt es in der Gloor’schen Forschung keinen Anhaltspunkt. Aus dem Ansatz von Herrn Gloor, der auf zufälligen Erkenntnissen meist aus anderen Fällen beruht und nicht selbst systematisch in Archiven forschte, kann ich mir nicht vorstellen, wie dies den aktuellen Anforderungen entsprechen könnte.

Letztlich geht es ja um die Entschädigung der Opfer zumindest moralischer oder finanzieller Natur. Ist der Bührle-Stiftung bewusst, dass dies Geld kosten kann?
Ja. Aber der Ansatz, über den man hier eigentlich spricht, ist Gegenstand der Überprüfung. Das hat Relevanz. Man kann jetzt nicht zu Ergebnissen kommen oder präsentieren.

Ist Abhilfe in Sicht?
Ich hoffe ja, dass die Diskussion um die auf Bundesebene geplante unabhängige Kommission mal ans Licht bringt, was die Divergenzen immer noch sind. Also die immer noch vorhandene Hoffnung der Bührle-Stiftung, dass für Fälle, die nicht im Herrschaftsgebiet der Nazis abgewickelt wurden, andere Kriterien gelten müssen – also auch für Entschädigungen und faire, gerechte Lösungen. Ich gehe davon aus, dass das nicht so passieren wird, wie damals beim Fall Glaser in Basel. Aber das wird wesentlich von der Konstellation der unabhängigen Kommission, von deren Gegenstand, Spielräumen und Definitionen abhängen.

Die Schweiz als eine der damals grössten Handelsplattformen für solche Kunst hinkt offenbar auch punkto Gesetzgebung hintennach. Was heisst das?
Schaut man sich die Zahlen nach zwei Kriterien an, nämlich den Zeitraum 1933 bis 1945 und die Beteiligung eines Verfolgten, ist das Land tatsächlich sehr weit vorne in den Umsatzzahlen. Es wird in der Schweiz die einseitige Anrufbarkeit der Kommission diskutiert, und gleichzeitig wissen wir, dass die Verbindlichkeit einer Entscheidung hier für den Moment gar nicht zur Diskussion steht, weil das nicht durchsetzbar sei. Zudem gab es in der Schweiz nie eine andere Grundlage als die zwei Jahre der Bundesratsbeschlüsse bis 1947, und auch dies nur für Werke, die tatsächlich vom deutschen Staat direkt eingezogen worden waren. Für alles andere gab es nie eine Basis, weil eben die Verjährungsfristen so kurz und die Nachweiskriterien so hoch angesetzt sind. Umso mehr ist es absonderlich, dass die Schweiz nie ein entsprechendes Gremium geschaffen oder in den letzten 25 Jahren wenigstens darüber nachgedacht hat.

Verschleppungstaktik? Oder worum geht es hier?
Es geht um eine ziemlich gute Lobby der Museen und Sammlungen und um das etablierte Angstbild, dass dann die Hälfte der Museen mindestens ein Drittel ihrer Bilder loswerden könnte. Dagegen muss die Politik erst mal antreten.

Wobei es ja eigentlich gar keine Unterschiede zwischen NS-Raubkunst und dem Rest der Kunst, etwa aus der Kolonialzeit, gibt.
Ein Vergleich der Bestände der Museen vor 1933 und nach 1945 zeigt, was es da an namhaften Zuwächsen gab, die zuvor nicht denkbar waren, weil die Schweiz und die Sammler diese Mittel gar nicht besessen hätten. Es gibt ja auch die späteren Schenkungen von ganzen Sammlungen von Privatleuten an die öffentlichen Museen, die ebenfalls aus diesen Ressourcen gekauft hatten. Die Schweiz hat über lange Zeit auch in anderer Hinsicht vom Krieg und von den Verfolgungen profitiert; sie reagiert aber jeweils nur, wenn der Druck so stark wird, dass sie nicht anders kann, ohne anderweitig Verluste fürchten zu müssen. Aber das sehen wir in anderen Ländern ebenso – es gibt derzeit fünf Kommissionen in 41 Unterzeichnerstaaten. Dabei verbessert die Existenz einer solchen Kommission die Position der Anspruchsteller ganz erheblich, Vergleiche auch ohne die Kommission finden zu können.

Was wird in jedem Fall der nächste Schritt sein müssen, wenn die Kommission unter Raphael Gross mit einem Resultat ankommt, egal, wie es aussieht?
Der Bericht wird als positive Eigenschaft Kriterien für Provenienzforschung benennen – was ist angemessen? Das ist immer der erste Schritt, und wenn sich die Grundlagen dafür ändern, wird eine Gesprächsgrundlage möglich. Das ändert jedoch nichts daran, welche Möglichkeiten ich als Anspruchsteller habe, die Erkenntnisse aus einer solchen Provenienzforschung irgendwo durchzusetzen. Die Position der Anspruchsteller wird sich also durch den Bericht von Raphael Gross erst mal nicht ändern. In Bern wird nach der Motion von Jon Pult jetzt diskutiert, ob man auf den jetzigen gesetzlichen Grundlagen eine Kommission aufbauen könne. Ich denke, dass dies mit Einschränkungen, die man auch später gesetzlich beseitigen kann, möglich ist. Aber wenn dies abgelehnt wird, reden wir von einem Zeitraum von mindestens nochmals drei bis fünf Jahren. Damit würde die Schweiz ganz aus dem Raster fallen.

Die meisten Museen sind seit vielen Jahren dem ICOM-Regulativ angeschlossen. Erstaunt es nicht, dass diese Konvention nicht besser greift?
Leider ist dies so, weil eben keine Kriterien für eine angemessene Provenienzforschung, die unabhängig vom Museum arbeitet, existieren. Das ist ja auch eine Forderung, die über die Schweiz hinausgeht. Jeder Provenienzforscher sagt natürlich, dass er in seiner Meinung unabhängig sei, egal wer ihn bezahle. Das ist aber, gelinde gesagt, nicht Realität. Das betroffene Museum soll, das ist ja klar, in diesem Prozess vertreten sein, aber der Vertreter darf eben nicht der Provenienzforscher sein. Die Forschungsebene muss vom Museum getrennt sein, muss Fakten von Vermutungen trennen und diese dem kollektiven und persönlichen Kontext des ursprünglichen Eigentümers gegenüber gestellt werden. So ist es die erste Aufgabe und nach Vorliegen des Berichts von Raphael Gross meines Erachtens auch die einzig sinnvolle Reaktion des Bundesamts für Kultur, bei sich eine Stelle zu schaffen, die unabhängige Provenienzrecherchen ermöglicht und finanziert. Ohne das hat die ICOM keine Zähne.

Der Vorgang um den Monet im Kunsthaus steht ja nun bis zum Vorliegen des Berichts der Kommission still. Wie lange haben die Erben Emden noch Geduld?
Die Sache liegt nun in den Händen der Enkelgeneration, die nach dem positiven Entscheid in Berlin klargemacht hat, dass es nicht passieren darf, dass es noch auf eine nächste Generation überspringt. Im Moment besteht aber durchaus die Möglichkeit, dass es sich so weiter hinauszögert. Wenn es keine Handlungsmöglichkeit gibt, bleibt einem ja nichts übrig als zu warten. Wir haben kein Druckmittel, um gegen den Eigentümer vorzugehen, weil das Zivilrecht nicht auf unserer Seite steht. Aber das ist eben seit 1945 so.

Die Opfer sind also noch heute in der Bringschuld?
Nicht nur das. Wir haben das Phänomen, dass die Wahrnehmung in der Gesellschaft so ist: Je weiter wir im Prozess kommen, desto weniger erinnern wir uns an Fakten und Zusammenhänge, die in der Nachkriegszeit vollständig präsent waren und niemals infrage gestellt worden wären. Heute erscheinen diese in Vergessenheit geratenen Fakten als Erweiterungen und neue Hinzufügungen, was diese aber nicht sind. So beispielsweise die kollektive Verfolgung der Juden an sich, die in den Provenienzberichten in der Schweiz unter «ferner liefen» erwähnt wird. Was dies für den vorliegenden Fall heisst, kommt nicht vor, sondern nur, wie verfolgt diese individuelle Person war. Es gibt Verfolgungen verschiedener Grade, wie man auch zwischen verschiedenen Vermögenssituationen unterscheidet, und die Frage einer «Verfolgungsbedingtheit» aus den Augen verliert. In diesem Kontext gibt es dann unerträgliche Auswüchse wie etwa, dass jene, die flüchten konnten, gegenüber den anderen privilegiert waren und in Lateinamerika ihren Geschäften nachgehen konnten, um nach dem Krieg zurückzukehren und ihr Eigentum zurückzufordern, und dass man selbst ja auch Opfer des Kriegsgeschehens war.

Ist das historische Schamlosigkeit, Selbstverkennung oder Antisemitismus?
Aus meiner Sicht ist es klarer Antisemitismus, weil das ohne die Vorurteile, die da alle drinstecken und quer durch die Schichten gehen, gar nicht möglich wäre. Darüber hinaus aber ist es für mich noch ein Ausdruck eines seltsamen Geschichtsbildes der eigenen Rolle während der Verfolgung der Juden, danach und bis heute. Man braucht ja eine Rechtfertigung, warum man sich so verhält, wie man es tut. Und dazu ist natürlich die Opferrolle, die man sich selbst zuspricht, sehr nützlich. Das klingt ganz finster nach den Wiedergutmachungsverfahren in Deutschland aus den Fünfzigerjahren, wo genau das aufkam: Wir haben alle gelitten, und es gibt nicht Flüchtlinge erster und zweiter Klasse.

Foto:
Der Provenienzexperte und Opfer-Anwalt Olaf Ossmann
©tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 3. November 2023 
www.kunsthaus.ch