Stolpersteine 2023 2Unsere Sorge um die neuen israelischen Freunde

Hanswerner Kruse / Clas Röhl

Schlüchtern (Weltexpresso) - Voller Sorge und Angst denken wir in diesen schrecklichen Tagen an unsere neuen israelischen Freunde, den Nachfahren der Familie Rosenbaum aus der Gegend von Tel Aviv. Es war einer der letzten warmen Sommertage, als wir mit ihnen und einigen weiteren Schlüchternern am 20. September in einem großen Garten im Bergwinkel zusammensaßen.



Die Besucher waren zur Verlegung der Gedenksteine für ihre vertriebenen oder ermordeten jüdischen Ahnen gekommen. Karola Rosenbaum gelang es 1935 - der Schwester Ottilie ein Jahr später - mühselig nach Palästina zu emigrieren. Ihr dort geborener Sohn Eli Stern, brachte seine zwei Töchter Dana und Orit, sowie die Enkelin Mika mit in den Bergwinkel. Bei der Verlegung der Stolpersteine für die Vorfahren, trug Orits Tochter Mika einen eindringlichen, selbst geschriebenen Text zur Flucht der Ur-Großmutter Karola vor (wir berichteten). Salomon und Ida Rosenbaum, die Eltern von Karola und Ottilie Rosenbaum, wurden von den Nazis deportiert und ermordet.

Beim Kaffeetrinken, Häppchenessen und der Übergabe kleinerer Geschenke, sprachen wir mit den Gästen über das einstige jüdische Leben in Schlüchtern, die aktuelle, scheinbar friedliche Situation in Israel und weitere Themen. Fotos und Dokumente wurden gezeigt, abends im Heideküppel setzten wir den Austausch fort. Es war wieder einmal der Beginn eines anhaltenden Dialogs, weit über die offizielle Verlegung der Stolpersteine hinaus. 

Jetzt gibt es in Schlüchtern 45 dieser Gedenkplatten, die an die Vertriebenen und Ermordeten - übrigens nicht immer Menschen mosaischen Glaubens - erinnern. Die Steine sind eine symbolische Rückkehr an deren letzten freiwilligen Wohnort. Viele Nachfahren ergreifen die Initiative für die Stolpersteine, reisen zur Verlegung an, lassen sich durch die Stadt ihrer Ahnen führen und vom Bürgermeister begrüßen. Doch die Kontakte werden vor allem in den persönlichen Begegnungen bei gemeinsamen Mahlzeiten, Spaziergängen und intensiven Gesprächen geknüpft. Oft folgen Mailwechsel, Gegenbesuche und erneute Reisen in den Bergwinkel. Max Wolf, der Enkel des Gründers der Dreiturm-Werke, war bereits mehrfach hier und besuchte auch die nach seinem Großvater benannte Schule. 

Die Stadt Schlüchtern begleitet und unterstützt offiziell die Initiative des Heimat- und Geschichtsvereins, Stolpersteine für ihre ehemaligen jüdischen Bürgerinnen und Bürgern zu verlegen und drückt damit ihre Verbundenheit aus. Wir haben mit Dana Ben Stern gesprochen, denn wir finden es wichtig, den israelischen Besuchern und Besucherinnen unser Mitgefühl über den privaten Kontakt hinaus zu bekunden.

  Wie Dana Ben Stern den Überfall der Hamas erlebte:

Stolpersteine 2023 4 Kopie„Am Morgen des 7. Oktober trank ich zuhause Kaffee. Ich dachte, es würde wieder ein ruhiger Samstag werden, es war auch Simchat Tora, ein jüdischer Feiertag, der eigentlich fröhlich sein sollte. Plötzlich hörte ich Sirenen, die anzeigten, dass Raketen auf unser Gebiet abgefeuert wurden. Mein Mann, unsere drei Kinder und ich gingen in den Schutzraum* und warteten dort eine Weile. 

Nachdem wir wieder herauskamen, schalteten wir den Fernseher ein, um zu sehen, was los war. Es dauerte einige Zeit, bis uns klar wurde, dass in unserem Land etwas wirklich Schlimmes passiert. Ich werde nicht sagen, was die Hamas-Terroristen taten, ich will Sie nicht schockieren. Aber - stellen Sie sich die schlimmsten Dinge vor, die Menschen widerfahren können. Die schlimmsten Dinge. Wirklich. Sie haben nicht nur 1400 Menschen ermordet, sie haben sie auch auf so viele brutale Arten gefoltert. Ich kann auch sagen, dass einige der Leichen bis heute nicht identifiziert wurden. 


Jetzt befinden wir uns also im Krieg. Wir versuchen, eine gewisse Routine zu bewahren - ich arbeite von zu Hause aus, die Kinder gehen zur Schule, aber nicht jeden Tag. Von Zeit zu Zeit heulen die Sirenen, wir gehen in den Schutzraum und hören die Raketen über uns explodieren. Vom Moment an, wenn ich aufwache, bis zum Moment, wenn ich schlafen gehe, denke ich an die Geiseln. Sie gehen mir immer wieder durch den Kopf. 

Am meisten denke ich an Avigail. Sie ist ein vier Jahre altes Mädchen. Ihre beiden Eltern wurden vor ihren Augen ermordet, und sie wurde als Geisel verschleppt, allein. Ich bin kein religiöser Mensch, aber ich bete jeden Tag für sie und für alle anderen Geiseln, dass sie bald nach Hause kommen. Die Hamas erlaubt dem Roten Kreuz nicht, die Geiseln zu besuchen. Wir haben keine Ahnung, wie es ihnen geht. Kinder, Babys, alte Menschen, die ihre Medikamente brauchen. Eine solche Tragödie. 

Unschuldige Zivilisten. Ich bin zutiefst besorgt über die Zunahme antisemitischer Vorfälle in der ganzen Welt. Es scheint, dass jüdische Menschen nirgendwo auf der Welt sicher sind. Nach dem Anschlag war ich mir sicher, dass die meisten Menschen an unserer Seite stehen würden, aber leider scheint es so, dass sich so viele in der Welt über den Anschlag freuen und ihn rechtfertigen. Es sollte doch klar sein, dass es für Terror keine Rechtfertigung gibt, niemals! 

Ich hoffe, dass alle Regierungen dies nicht auf die leichte Schulter nehmen und den Antisemitismus bekämpfen werden. Ja, wir stehen zusammen und lassen alle Streitigkeiten der letzten Monate beiseite. Mit jedem Tag, der vergeht, werde ich stolzer auf mein Land. Erlauben Sie mir, mit etwas Optimismus und Hoffnung zu schließen - wir werden dies überwinden. In der Geschichte gab es so viele Versuche, das jüdische Volk auszurotten - das antike Griechenland, das Römische Reich, die spanische Inquisition, Nazideutschland. Aber wir haben sie alle überlebt, und wir werden auch diesen Krieg überleben. Wir werden trauern und trauern, aber seien Sie versichert - wir werden auch gedeihen und aus dieser schrecklichen Krise herauswachsen.“

Fotos
© Hanswerner Kruse
Oben v.l.n.r. Eli Stern, Orit Stern Maman, Dana Ben Stern, Mika Maman
Unten Dana Ben Stern