Kurzer Blick in die lange Vorgeschichte des Antisemitismus
Conrad Taler
Bremen (Weltexpresso) – Als Mitte der achtziger Jahre abermals eine Welle antisemitischer Exzesse über die Bundesrepublik schwappte, konnte das politische Bonn nicht mehr in Schweigen verharren. Die Vizepräsidentin des Bundestages, Annemarie Renger (SPD) wollte wissen, „welches geistige und politische Klima solche Sumpfblüten gedeihen“ lasse; aber das Interesse an einer gründlichen Erörterung des Themas war nicht sonderlich groß. Vor fast leerem Haus wandte sich Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) am 27. Februar 1986 gegen Gedankenlosigkeit und appellierte an die Öffentlichkeit, die NS-Verbrechen niemals zu vergessen. Aber man müsse auch die Proportionen wahren, verlangte er. Es gehe entschieden zu weit, von aufkeimendem Antisemitismus zu sprechen.
In einem Kommentar zur Bundestagsdebatte räsonierte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ tags darauf, es sei zu fragen, ob das offizielle Reden über den Antisemitismus nützlich gewesen sei. „Redensarten . . .von Nachgeborenen“ seien „nicht Anzeichen eines neuen Antisemitismus, über den der Bundestag…überflüssigerweise…diskutiert“ habe.. Je mehr darüber geredet werde, umso mehr wachse die Gefahr eines neuen Antisemitismus. Demgegenüber meinte Robert Leicht in der Wochenzeitung „Die Zeit“, ein Tabu sei zerbrochen; neu sei nicht der „Vorrat an antisemitischen Tendenzen, sondern die Schamlosigkeit, mit der dieses Repertoire wieder aufgenommen“ werde.
Auf der Suche nach den Ursachen antijüdischer Affekte machte der damalige Bundesgeschäftsführer der SPD Peter Glotz Helmut Kohl als Verantwortlichen aus. Er habe einen Bann gelöst, so dass man heute wieder „antisemitisch plappern“ könne. Der Kanzler verfüge über die „geschichtslose Seelengesundheit des kleinen Bürgertums“, die man im Faschismus als „gesundes Volksempfinden“ bezeichnet habe (Süddeutsche Zeitung , 23. August 1986.) Angeregt durch die Debatte veranstaltete die Illustrierte „Stern“ eine Umfrage, bei der das Allensbacher Institut für Demoskopie ermittelte, dass fünfzehn Prozent der Deutschen den Juden gegenüber feindlich eingestellt waren; der Antisemitismus sei damit auf dem Stand früherer Erhebungen verblieben. Allerdings habe eine zunehmende Bereitschaft der Gesellschaft festgestellt werden können, antijüdische Stellungnahmen zu tolerieren. 66 Prozent der Befragten erklärten, es müsse endlich ein Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit gezogen werden.
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Entnommen dem 1996 im Bremer Donat-Verlag erschienenen Buch „Die Verharmloser“ von Conrad Taler, dessen Manuskript der C.H.Beck Verlag in München Verlag nicht veröffentlichen wollte, obwohl –wie der zuständige Lektor einräumte – alle Fakten stimmten, der Verfasser daraus aber die falschen Schlüsse zöge