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GAZA-KRIEG: Blinken fordert Schutz, Baerbock für Feuerpausen, Cameron besorgt

Redaktion

Tel Aviv (Weltexpresso) - Die USA und Deutschland als wichtige Verbündete Israels dringen im Gaza-Krieg auf mehr Anstrengungen zum Schutz und zur Versorgung von Zivilisten. US-Ausßnminister Antony Blinken forderte bei Gesprächen mit dem israelischen Regierungschef Binyamin Netanyahu und dem Kriegskabinett in Tel Aviv gestern Dienstag die Vermeidung weiterer Opfer unter der Zivilbevölkerung des Gazastreifens und mehr humanitäre Hilfe.


Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock verlangte eindringlich neue humanitäre Feuerpausen zur Versorgung der Palästinenser im Gazastreifen - sowie die Freilassung der noch etwa 130 aus Israel entführten Geiseln, die in der Gewalt der islamistischen Hamas sind. Die beiden Minister sind derzeit auf mehrtägigen Vermittlungsreisen im Nahen Osten unterwegs.

«Die israelische Armee muss mehr tun, um die Zivilistinnen und Zivilisten in Gaza zu schützen», sagte die Grünen-Politikerin bei einem Besuch in Ägypten. Baerbock forderte eine deutlich weniger intensive, gezieltere Anti-Terror-Operation. «Und wir brauchen mehr humanitäre Pausen, damit deutlich mehr Hilfe an die Menschen verteilt werden kann», sagte sie bei einem Treffen mit dem ägyptischen Außenminister Samih Schukri in der neuen Hauptstadt östlich von Kairo. Baerbock, die zuvor bereits in Israel war, besuchte auch die Grenze zum Gazastreifen.

Blinken betonte nach einer Mitteilung des US-Außenministeriums zugleich das Recht Israels, alles zu tun, damit sich ein terroristischer Angriff wie der durch die Hamas am 7. Oktober nicht wiederhole. Zuvor hatte der US-Minister am Montag Saudi-Arabien besucht und dort laut einem Bericht der «Times of Israel» dargelegt: «Wir wollen zusammenarbeiten und unsere Bemühungen koordinieren, um Gaza bei der Stabilisierung und Erholung zu helfen, einen politischen Weg für die Palästinenser festzulegen und auf langfristigen Frieden, Sicherheit und Stabilität hinzuarbeiten.»

Die USA wollen auch ein Übergreifen des Konflikts auf benachbarte Staaten - insbesondere den Libanon - verhindert. Im Libanon war am Montag ein wichtiger Kommandeur der Schiitenmiliz Hizbollah, Wissam al-Tauil, bei einen Drohnenangriff getötet worden. Der israelische Außenminister Israel Katz sagte, sein Land stehe hinter dem Angriff. Seit Beginn des Gaza-Kriegs kommt es an der Grenze zwischen Israel und dem Libanon immer wieder zu Konfrontationen zwischen der israelischen Armee und der Hizbollah. Am Dienstag wurde bei einem mutmasslich israelischen Angriff im Süden des Libanons ein weiteres wichtiges Mitglied der Hizbollah getötet.

Auslöser des Gaza-Kriegs war der Terrorangriff der islamistischen Hamas und anderer extremistischer Palästinensergruppen auf Israel am 7. Oktober, bei dem rund 1200 Menschen getötet wurden. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen und einer Bodenoffensive. Angesichts der katastrophalen humanitären Lage in dem abgeriegelten Küstengebiet und der hohen Zahl ziviler Opfer geriet Israel zuletzt international immer mehr in die Kritik.

Die deutsche Außenministerin übergab fast zehn Tonnen Hilfsgüter für die palästinensische Bevölkerung im Gazastreifen an den Ägyptischen Roten Halbmond. Es handelt sich um Isomatten, Decken, Feldbetten, und Kinderschlafsäcke für Menschen, die in provisorischen Unterkünften leben. Baerbock flog von Kairo in einem Luftwaffen-Transporter vom Typ A400M in die Hauptstadt des ägyptischen Gouvernements Nordsinai am Mittelmeer, Al-Arisch. Von dort aus besuchte sie die rund 50 Kilometer westlich liegende Grenzstadt Rafah.
Anschliessend zeigte Baerbock sich über die Not der Menschen im Gazastreifen erschüttert und sprach von einem «medizinischen Desaster». Sie forderte einen besseren Zugang zu medizinischer und humanitärer Hilfe.

Vertreter der Weltgesundheitsorganisation (WHO) verlangten erneut eine Feuerpause zur besseren Versorgung der Menschen. Nach ihren Angaben müssen im Gazastreifen zahlreiche Amputationen vorgenommen werden, obwohl die Gliedmassen eigentlich gerettet werden könnten. Oftmals kämen die Verletzten zu spät an, weil sie die Krankenhäuser wegen andauernder Kämpfe nicht früher erreichen könnten, sagte der Koordinator der WHO-Notärzteteams, Sean Casey. Dort fehlten Spezialisten, etwa Gefässchirurgen. Nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums wurden im Gazastreifen bislang mehr als 23'000 Menschen getötet.

US-Außenminister Blinken erkennt trotz des Gaza-Kriegs «echte Gelegenheiten» für eine künftige Annäherung Israels an arabische Staaten in der Region. Das sagte er bei einem Treffen mit seinem israelischen Amtskollegen Katz. Am Montag hatte Blinken bereits gesagt, es gebe weiterhin ein klares Interesse Saudi-Arabiens an einer Annäherung an Israel. «Aber dafür muss der Konflikt in Gaza enden, und es wird auch ein praktischer Weg zu einem palästinensischen Staat notwendig sein», sagte er.

Vor dem Gaza-Krieg hatte Saudi-Arabien unter US-Vermittlung Gespräche über eine mögliche Normalisierung der Gespräche mit Israel geführt. Aus der Sicht der islamistischen Hamas, der libanesischen Hizbollah-Miliz sowie ihrem wichtigsten Unterstützer Teheran wäre ein solches Bündnis zu ihrem Schaden. Das Massaker am 7. Oktober war daher von Beobachtern auch als Versuch der Hamas gesehen worden, die Annäherung zu torpedieren.

Vizekanzler Robert Habeck sieht angesichts der engen Beziehungen zu Israel eine besondere Rolle Deutschlands im Umgang mit dem Gaza-Krieg. «Man redet aus einer Solidarität heraus natürlich auch klar miteinander», sagte der Grünen-Politiker in Maskat, der Hauptstadt des Golfstaats Oman. Man dringe etwa darauf, dass Israel keine Flächen bombardiere, dass die humanitäre und medizinische Versorgung der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen sichergestellt sei und es nicht zu Hungersnöten komme. Auch Habeck bereist in dieser Woche mehrere Länder des Nahen Ostens.

Der britische Außenminister David Cameron ist besorgt über mögliche Verstösse Israels gegen humanitäres Völkerrecht im Gaza-Krieg. «Wenn Sie mich fragen, ob ich besorgt darüber bin, dass Israel Internationales Recht gebrochen haben könnte, weil ein bestimmtes Gebäude bombardiert wurde, ja natürlich bin ich darüber besorgt», sagte der konservative Politiker am Dienstag im Auswärtigen Ausschuß des britischen Parlaments in London. Er könne sich aber nicht an eine juristische Einschätzung seines Ministeriums erinnern, die einen Rechtsbruch ausdrücklich feststellte, betonte Cameron.
Israel müsse mehr tun, um Hilfslieferungen nach Gaza hineinzulassen, sagte Cameron in der Ausschusssitzung. London setze sich auch dafür ein, dass das Wasser im Norden des Gazastreifens wieder angestellt werde. Ob es sich dabei um Verstösse gegen Internationales Recht handelt, wollte Cameron aber nicht beantworten.

Zu den militärischen Fortschritten der israelischen Armee sagte Cameron, die Hamas habe weit mehr als die Hälfte ihrer Fähigkeiten und Kapazitäten zum Abfeuern von Raketen verloren. Unter den seit dem 7. Oktober aus Israel verschleppten Geiseln in Gaza seien noch zwei britische Staatsbürger, für deren Freilassung sich London einsetze, so Cameron weiter.

Foto: 
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock verlangt Feuerpausen für humanitäre Hilfe
©tachles
 
Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 9. Januar  2024