Dramatische Aussagen von Deborah Lipstadt
Andreas Mink
Paris (Weltexpresso) - In einem Interview mit dem Jewish Insider (JI) schlägt Deborah Lipstadt Alarm in Bezug auf die Lage der jüdischen Gemeinschaft in Frankreich – aber auch den USA. Seit Emmanuel Macron letzten Monat Neuwahlen ausgerufen hat, stünden die französischen Juden vor einer qualvollen Entscheidung: Entweder sie unterstützen eine rechtsextreme Partei mit historischen Verbindungen zu Holocaust-Leugnern oder sie stimmen für den Präsidenten. Dieser habe eine linksextreme Partei mit zumindest einem Exponenten unterstützt, der den Hamas-Terror vom 7. Oktober als «legitime Aktion» bezeichnet habe. Die US-Sondergesandte zur Beobachtung und Bekämpfung von Antisemitismus spricht von einem «Dilemma» der französischen Juden, das ein «Mikrokosmos … für so vieles ist, was wir hier sehen: Wohin gehe ich? Wenn ich studiere, wo finde ich dann mein Zuhause? Was ist ein sicherer Ort?»
Lipstadt ist als Mitglied des Außenministeriums nicht für die Innenpolitik zuständig. Und doch betont sie: «Vermutlich sehen etliche Leute keinen so grossen Unterschied zu Debatten in den USA.» Die Anschläge vom 7. Oktober hätten ihre Aufgabe dramatisch erschwert, Fortschritte schwieriger, aber deshalb auch um so wichtiger gemacht: «Die Situation ist schlimm. Aber es gibt immer mehr Einzelpersonen, Länder [und] politische Führer, welche die Gefahr ernst nehmen.» Sie erreiche im Ausland wichtige Medien und hat seit April habe acht Länder besucht, für den Juli seien zwei weitere geplant. Allerdings würden Regierungsvertreter sie nicht immer ernst und mitunter als Vertreterin jüdischer Gemeinden in den USA nehmen: «Doch erkläre ich dann bestimmt: Nein, ich vertrete die Regierung der USA und bin direkt Aussenminister Blinken unterstellt.»
Mitunter müsse sie sich auch «Vorträge über Unrecht anhören, das Israel begangen hat… Was wir so oft gesehen haben, ist die Überschneidung zwischen den Einstellungen gegenüber Israel und Antisemitismus.» Sie könne darauf als Historikerin und Expertin für Judenhass «eine lange, gelehrte Antwort geben.» Aber Fragesteller sollten sich nicht an sie wenden: «Fragen Sie die Person, welche die Synagoge in Montreal mit Brandbomben beworfen hat. Fragen Sie die Person, die `Free Palestine´ auf das Shoah-Mahnmal in Paris gemalt hat. Fragen Sie die Person, die am Times Square jemanden verprügelt hat, weil er eine Kippa trug. Fragen Sie die Demonstranten in Australien, die am 7. oder 8. Oktober `Vergast die Juden´ skandierten.» Solche Menschen würden diese Verbindung zwischen Antizionismus und Antisemitismus vorexerzieren.
Angesichts einer zweiten Amtszeit von Donald Trump – den sie hart für dessen dubiose Haltung zu der tödlichen Gewalt von Rechtsextremisten in Charlottesville 2017 kritisiert hat – arbeitet Lipstadt laut dem JI momentan an einem Abschlussprojekt – einem Dokument mit den besten Methoden für politische Entscheidungsträger im Kampf gegen Antisemitismus: «Das erste Prinzip lautet: Sich eindeutig, zügig, überall und jederzeit äussern. Antisemitismus nicht politisieren, nicht isoliert arbeiten, die Bedeutung von Online-Medien anerkennen.»
Das Dokument soll auch auf die IHRA-Definition von Antisemitismus verweisen und wurde bislang von 25 Nationen übernommen. Lipstadt will dieses Papier bei den Gedenkfeiern für den 30. Jahrestag des «AMIA-Bombenanschlags» an einem jüdischen Gemeindezentrum in in Buenos Aires vorstellen, der laut der argentinische Justiz am 18. Juli 1994 vom Iran inszeniert worden ist (Link).
Foto:
Deborah Lipstadt auf einer kürzlichen Aufnahme.
Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 4. Juli 2024