170714 Thomas Mann 300dpi 59 von 81 3Interview mit dem ehemaligen hessischen Europaabgeordneten der CDU Thomas Mann, Teil 2/3

Davide Zecca

Frankfurt am Main (Weltexpresso) -  Die AfD gibt das Dreifache an Geld, verglichen mit den Mitteln aller anderen Parteien zusammen, für soziale Medien aus. Vor dem Hintergrund Ihres jahrzehntelangen Fundus an Erfahrung sowohl aus der Werbebranche als Texter und Kreativdirektor als auch als Mitglied des Europäischen Parlaments: Wie könnte Ihrer Meinung nach so etwas konkret aussehen?

 

Im Mittelpunkt muss Aufklärung über die sozialen Medien stehen. Je mehr man über deren Methoden und Einflussmöglichkeiten weiß, desto eher sind User in der Lage, Beiträge kritisch einzuordnen. TikTok, die App aus China, hat weltweit 1,6 Milliarden Zuschauer; in der EU sind es monatlich etwa 145 Millionen. Was als Spaß begann mit munterer oder frecher Text- und Bild-Sprache, ebenso mit durchaus gut gemachten Informationen, ist in weiten Teilen zu einem Tunmelfeld für Zielgerichtete Manipulationen geworden, von Hass und Hetze ganz zu schweigen. Jugendschützer laufen Sturm, da die stundenlange Beschäftigung zur Sucht ausufern kann. Algorithmen liefern ständig Inhalte, die bei Nutzern möglicherweise auf deren persönliches Interesse stoßen, da sie bei bestimmten Meldungen länger verweilten.

 

Wenn es zu tendenziösen oder unwahren Meldungen kommt, sind Gegendarstellungen nur begrenzt wirksam und werden oft viel zu spät wahrgenommen. So hat die EU- Kommission diverse Verfahren eingeleitet, beispielsweise gegen die Belohnungsfunktion von TikTok, die unter Umständen zu Suchtgefahren führt. Alle sozialen Plattformen, nicht nur TikTok, ebenso Instagram, X und Facebook, müssen sich an den Digital Services Act halten und schädliche sowie illegale Online-Aktivitäten blockieren bzw. löschen. TikTok gibt an, Nutzerdaten aktiv zu schützen. 

 

Ich halte es für wichtig, dass deutlich mehr Fakten Checker eingesetzt werden, um Inhalte auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Darüber hinaus sollte es gelingen, Videos zu produzieren mit vernünftigen Inhalten, sehr wohl auch emotional mit interessanten Bildern und Musik, so dass ein Unterhaltungscharakter gewährleistet ist. Die Botschaften sind zielgruppengerecht  zu gestalten, um verstanden und akzeptiert zu werden. 

 

Inwiefern profitiert das Bundesland Hessen von der EU?

 

Wir in Hessen sind eindeutig europäisch geprägt: durch die Europäische Zentralbank, die internationale Bankenwelt, die Verkehrs-Infrastruktur vom Flughafen bis zu den Verkehrsnetzen. Wir erhalten im Zeitraum von 2021 bis 2027 etliche EU-Fördermittel: aus dem Fonds für ländliche Entwicklung (ca. 350 Millionen €, dem Europäischen Regionalfonds rund 250 Millionen €, dem Europäischen Sozialfonds 170 Millionen € - einem meiner damaligen Haupt-Arbeitsbereiche im EP - sowie Aufbauhilfen durch REACT-EU in Höhe von rund 130 Millionen €.


Darüber hinaus gibt es Direktzahlungen aus europäischen Programmen, etwa Förderung in den Bereichen Wissenschaft, Innovation und Forschung durch „Horizont Europa“ oder „Connecting Europe“ für Verkehrs-, Energie- und Digital-Infrastrukturen.

 

Weitere Angaben würden dieses Interview überfrachten. Ich empfehle, Kontakt aufzunehmen mit einem der EUROPE DIRECT-Zentren im Rhein-Main-Gebiet, Darmstadt, Fulda oder Nordhessen. Ansprechbar sind auch die Staatskanzlei unseres Landes, die hessische Landesvertretung bei der EU in Brüssel, die deutsche Vertretung der Europäischen Kommission in Berlin und das Enterprise Europe Network.
 

Ein wichtiges Programm ist Erasmus plus. Es ist für Azubis, Schüler und Studenten gedacht, um Austausch, Aufenthalt und Arbeitsmöglichkeiten innerhalb der EU zu unterstützen.

 

 Zukünftige Herausforderungen: Welche sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen für die EU, die durch die Wahlergebnisse adressiert werden müssen?


Seit der Corona-Pandemie haben die Bürger persönlich erfahren, dass nationale Alleingänge völlig unzureichend sind. Durch Gemeinsamkeit soll eine Gesundheits-Union geschaffen werden: Früherkennung von Pandemien; Spezialisierung der Krankenhäuser; Reservierung und Bezug von Impfstoffen; globaler Datenaustausch.

 

Das Thema Migration bleibt dringlich, da die Unterbringung von Flüchtlingen die Kommunen und Regionen, speziell in Deutschland, längst überfordert. Nach mehrjährigen Debatten mit unterschiedlichen Positionen der Mitgliedstaaten gelang im April 2024 mit Zustimmung des EP ein Kompromiss, der EU-Asylpakt. Durch ihn sollen Asyl-Verfahren vereinheitlicht und beschleunigt werden. Bewerber sind nur dort zu registrieren, wo sie ankommen, damit Asyl-Tourismus verhindert wird. Das Schengener Informationssystem muss ausgebaut werden, so dass Grenzschutz-Beamte Übertritte an den Außengrenzen besser überwachen können. Abkommen mit Nicht-EU-Staaten sollen vermehrt verabschiedet werden, um Rückkehrverfahren für Abgelehnte zu regeln. Erhebliche finanzielle Mittel stehen für die Eindämmung von illegaler Migration und den Kampf gegen Schleuserbanden zur Verfügung. Die Verhinderung von Fluchtursachen bleibt vorrangig, so dass die Menschen gar nicht erst gezwungen sind, sich auf oft lebensgefährliche Reisen zu machen. Bei allen Maßnahmen müssen humanitäre Standards eingehalten werden, der Schutz von Grundrechten und der Menschen, die von Krieg und Verfolgung bedroht sind.

 

In der Umweltpolitik soll der Green Deal Gestalt annehmen. Sein Ziel ist, dass die EU bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent der Welt wird. Dazu gehört, zukunftssichere Energie zu schaffen, Bio-Vielfalt herzustellen und 3 Milliarden Bäume bis zum Jahr 2030 zu pflanzen. Um den CO2-Ausstoß zu reduzieren, unterstützt das Programm „Fit For 55“ die Entstehung von effizienteren Gebäuden, Umstellung auf alternative Kraftstoffe und Maßnahmen für die Sauberkeit von Trinkwässern und Badeseen. Ich meine, dass Klimaschutz nicht ideologisch ausgerichtet sein darf, sondern technologieoffen stattfinden muss. Verbraucher und Unternehmen werden allein durch die extrem hohen Energiepreise überfordert. Neben der Umweltverträglichkeit müssen Kriterien wie Sicherheit und Wirtschaftlichkeit eingehalten werden.

 

Ein dritter Punkt ist die Umsetzung einer Industrie-Strategie. Die europäischen Volkswirtschaften sind hart betroffen von dirigistischen Maßnahmen in China. Dort findet Protektionismus zugunsten einheimischer Unternehmen statt, so dass es zu Marktverzerrungen und unlauteren Wettbewerb kommt. Dem muss durch Klageverfahren begegnet werden, vor allem durch ein Überdenken bisheriger Lieferketten. In der EU soll vermehrt unabhängig von ausländischen Einflüssen produziert und eine nachhaltige Technologie unterstützt werden. Mir geht es dabei keineswegs um einen Handelskrieg, vielmehr um die Zusammenarbeit mit internationalen Partnern, die unsere demokratischen Werte teilen.

Nur ein Beispiel: Durch den Global Gateway soll eine Vernetzung in den Bereichen Digitales, Energie und Verkehr, ebenso in Bildung, Forschung und Gesundheit stattfinden.

 

 Wie hat sich die politische Landschaft in Großbritannien seit dem Brexit verändert und wie wirkt sich dies auf die europäische Politik aus?


 Mit einer millionenschweren Kommunikations-Strategie gegen die „crazy continentals“ wurden gezielt Fehlinformationen und Polemik verbreitet. Seit der Brexit-Entscheidung im Juni 2016 (52% waren dafür, 48% dagegen) ist es mit Großbritannien wirtschaftlich und strukturell abwärts abgegangen. Die Steuern sind so hoch wie nie - von wegen „Singapur an der Themse“. Die Produktivität stagniert; die Haushaltslage ist desolat. Die Einwanderung ist auf einem Rekord-Niveau und das Gesundheitssystem marode. Sämtliche wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen zur EU wurden abgebrochen. Die erhoffte „splendid isolation“ hat ins Abseits geführt.

 

Die Verhandlungen über den EU-Austritt des Vereinigten Königreiches waren langwierig und wurden im Januar 2020 beendet, der Austritt aus dem EU-Binnenmarkt im Januar 2021 vollzogen. In einem Handels- und Kooperations-Abkommen, das im März 2021 in Kraft trat und mehr als 1.200 Seiten umfasst, gab es Einigungen in zentralen Bereichen: Arbeit und Soziales, Bekämpfung des Klimawandels, Umweltschutz, fairer Wettbewerb. Dieses Dokument geht meiner Ansicht nach weit über Freihandels-Abkommen mit anderen Staaten hinaus. Vielleicht ist es eine gute Grundlage für mögliche Neu-Orientierungen.

Fortsetzung folgt

Foto:
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Info:
Der am 28. Januar  1946 in Naumburg/Saale geborene Thomas Mann war von 1994 bis 2019 Europaabgeordneter der CDU für Hessen in der Europäischen Volkspartei. Zur Europawahl 2009 trat Mann als Spitzenkandidat der hessischen CDU an. Er lebt in Schwalbach am Taunus im Main-Taunus-Kreis, wo er  derzeit stellv. Stadtverordnetenvorsteher der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Schwalbach ist.