Davide Zecca
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Franz II. (italienisch Francesco II), der letzte König der Beiden Sizilien, war eine historische Figur, deren Leben und Herrschaft in enger Verbindung mit den großen politischen Umbrüchen des 19. Jahrhunderts stand. Geboren am 16. Januar 1836 in Neapel, bestieg er am 22. Mai 1859 nach dem Tod seines Vaters Ferdinand II. den Thron. Doch seine Herrschaft war von Anfang an von Instabilität und den aufkommenden Ideen der italienischen Einigung geprägt. Nur etwas mehr als ein Jahr nach seiner Thronbesteigung verlor der Bourbone das größte, je bestehende Königreich auf der Halbinsel. Heute vor 130 Jahren und vier Tage starb Franz II. Hier ein genauerer Blick auf diese weitgehend unbekannte historische Persönlichkeit.
Herkunft und Jugend – „jung, düster und schüchtern“
Franz II., Sohn von Ferdinand II. und Maria Christina von Savoyen, wuchs unter dem prägenden Einfluss seiner Stiefmutter Maria Theresia von Österreich auf. Als geliebter Nachkomme des Vaters der Bourbonen-Dynastie verbrachte er seine Jugend in einem streng katholischen Umfeld, das von harter Hofetikette bestimmt wurde. Seine Erziehung ließ jedoch die für einen Souveränen notwendige zu wünschen übrig: Er erhielt keine umfassende Ausbildung, da ihm vom Vater nicht die nötige Aufmerksamkeit geschuldet und er selbst nicht initiativ wurde. Der Besuch einer Militärschule, die für Monarchen seiner Zeit fast selbstverständlich war, blieb aus; er widmete sich lieber dem Katechismus.
Auch sein Privatleben war von Schwierigkeiten geprägt. Die Ehe mit der bayerischen Herzogin Marie Sophie, jüngste Schwester der legendären Kaiserin Elisabeth ("Sissi") von Österreich, geriet schon früh ins Wanken. Wegen einer unbehandelten Phimose musste die Hochzeit um neun Jahre verschoben werden – ein Umstand, der nicht nur den dringend benötigten dynastischen Nachwuchs verzögerte, sondern letztlich dazu führte, dass – abgesehen von einer totgeborenen unehelichen Tochter, die nicht von ihm stammte – überhaupt kein Erbe hervorging.
Schon in jungen Jahren offenbarte Franz eine schüchterne und zurückhaltende Persönlichkeit, die ihn vor allem im politischen Kontext als unsicher erscheinen ließ. Im Gegensatz zu seinem dominanten und autoritären Vater, Ferdinand II., der durch seine brutale Herrschaft und Bombardements gegen die eigene Bevölkerung den Beinamen „Re Bomba“ erhielt, fehlte Franz die Entschlossenheit, die für einen starken Herrscher notwendig gewesen wäre. Dieser Charakterzug führte später zu seinem politischen Scheitern.
Ein wenig schmeichelhaftes Porträt des jungen Königs zeichnete 1857 der sardischen Botschafter in Neapel, Graf von Gropello, anlässlich von Franz’ 21. Geburtstag: „Wer ihn sieht, nimmt ihn als traurig, gelangweilt und allem gegenüber gleichgültig wahr. Von eher großer und kräftiger Statur, trägt er einen schüchternen und düsteren Charakter. Sein Gesicht bleibt stets undurchdringlich – kein Hinweis darauf, welche Regungen in seiner Seele vorgehen.“
Ein junger König, genannt "Franceschiello", eingezwängt zwischen einer Stiefmutter Maria Theresia von Österreich, einem Republikaner Giuseppe Garibaldi und einem König von Sardinien-Piemont Viktor Emanuel II.
Mit nur 23 Jahren übernahm König Franz II., in der neapolitanischen Bevölkerung als "Franceschiello" bekannt, das zu seiner Zeit größte Königreich der Halbinsel, das sich trotz einiger bedeutender technologischer Errungenschaften – wie der 7,25 km langen Bahnstrecke zwischen Neapel und Portici, der ersten Eisenbahnlinie der gesamten Halbinsel, sowie den Werkstätten von Pietrarsa, die als erste auf der Halbinsel Lokomotiven, Schienen und Rollmaterial produzierten – in einem schwierigen Zustand befand. Der Staat glich einem Mosaik, das sowohl innen- als auch außenpolitisch den Herausforderungen seiner Zeit nicht gewachsen war. Franz II. befand sich, ohne jegliche politische Erfahrung, in einer von der Stiefmutter geführten Kamarilla, die ihn nicht unterstützte, sondern vielmehr durch Intrigen seine Machtausübung erschwerte, da sie lieber ihren leiblichen Sohn, den lebhaften und Frauenliebling Ludwig von Bourbon-Sizilien auf dem Thron des Königreichs Beider Sizilien sehen wollte. Obwohl Franz II. im Inneren einige Reformen einleitete – wie etwa die Gewährung von mehr Autonomie für die Gemeinden, Amnestien, Verbesserungen der Haftbedingungen, die Halbierung der Mühlensteuer, niedrigere Zölle und die kostenlose Verteilung von Getreide an die Ärmsten während der anhaltenden Hungersnöte – fehlte seiner Politik der Antrieb für tiefgreifende und visionäre Veränderungen.
Diese oberflächliche politische Linie setzte Franz II. auch in der Außenpolitik fort. Als 1859 in europäischen Diplomatenkreisen die Idee einer Konferenz zur Neuordnung Italiens aufkam, zeigte sich Franz II. gleichgültig und nutzte die Gelegenheit, international aktiv zu werden, nicht. Er blieb in der Außenpolitik eher der Linie seines Vaters treu, die 1856 nach dem Pariser Kongress zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Frankreich und England geführt hatte. Der 75-jährige General Carlo Filangieri, der unter Franz’ Vater für seine militärischen Erfolge geschätzt wurde und unter Franz II. hohes Ansehen für seine Kompetenz und Rechtschaffenheit genoss, wurde zum Berater des jungen Königs. Der von Franz II. ernannte Premierminister, der vom Polygraph Marco Monnier (1829 – 1885) als „doppelzüngigen Machiavellist“ bewertet wurde und laut ihm „die bereits wankende Monarchie weiter zurückwarf“, erkannte die aufkommende Gefahr für das desolate Königreich und die entsprechende dringende Notwendigkeit, grundlegende Reformen einzuleiten, um den Staat vor dem Untergang zu bewahren. Der außenpolitische Vorschlag des alten Generals, der in jungen Jahren in der Grande Armée zügig Karriere gemacht hatte, sich nämlich England bzw. Frankreich anzunähern sowie eine Bündnis mit dem Königreich Piemont einzugehen, lehnte der junge König kategorisch ab, denn der savoyardische Vorschlag, sich den Kirchenstaat zwischen den beiden herrschenden Königreichen auf der Halbinsel aufzuteilen, hieße für den zutiefst frommen Bourbonen Ketzerei.
Der Gancia-Aufstand auf Sizilien im Jahr 1860, ausgelöst durch soziale Unzufriedenheit und eine aufkommende patriotische Bewegung, markierte einen Wendepunkt in der italienischen Einigungsbewegung. Noch bevor Giuseppe Garibaldi eingriff, erkannten die piemontesischen Akteure, König Vittorio Emanuele II. und sein Ministerpräsident Graf Camillo Benso von Cavour, die Bedeutung der Ereignisse und reagierten diplomatisch. Ihr Vorschlag: eine doppelte Staatenlösung mit einem Staat im Norden und einem im Süden, die jedoch eine gemeinsame nationale Politik verfolgen sollten, um die "nationale Unabhängigkeit" zu sichern – ein Schlüsselgedanke ihrer Zeit. „Doch um dieses Konzept umzusetzen, ist es meines Erachtens notwendig, dass Eure Majestät den bisherigen Kurs verlässt. Wenn Sie einige Monate verstreichen lassen, ohne meinem freundschaftlichen Rat zu folgen, könnte Eure Majestät die Bitterkeit dieser schrecklichen Worte erfahren: zu spät“, schrieb Vittorio Emanuele II. in einem Brief an seinen Cousin Franz II., den jungen König des Südens. Franz jedoch blieb seiner politischen Linie treu, lehnte das Angebot des Savoyarden ab und zögerte zu lange auch bei der entscheidenden Frage, die vielleicht seine Macht und die 130 Jahre alte Dynastie der Bourbonen gerettet hätte, eine Kehrtwende zu vollziehen: eine Wiederherstellung der Verfassung von 1848 in seinem Königreich und für sein Volk. Der Zug vom 26. Juni durch den „atto sovrano“, mit dem Franz II. die Verfassungserklärung erließ, kam zu spät – denn die Garibaldini waren schon auf den Vormarsch.
Die Tragik dieser Starrheit fasste der sizilianische Schriftsteller und Adlige Giuseppe Tomasi di Lampedusa in seinem Roman „Il Gattopardo“ treffend zusammen: „Wenn wir wollen, dass alles bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, dass sich alles verändert.“ Mit diesen Worten beschreibt Lampedusa die Trägheit und Unfähigkeit der Bourbonen, sich den politischen Realitäten anzupassen – eine Haltung, die schließlich den Untergang ihrer Herrschaft besiegelte.
Garibaldi und Gaeta: Der Anfang vom Ende des König Franz II.
In der Nacht vom 5. Mai auf den 6. Mai 1860 war es soweit: der äußerst charismatische Giuseppe Garibaldi brach zu seiner geschichtsträchtigen Unternehmung auf, obwohl er anfangs starke Zweifel an der Planung hatte, da einige führende Persönlichkeiten des Risorgimento der Meinung waren, dass „in Rom – und nicht in Palermo – der Knoten der Einheitsfrage für Italien gelöst werden müsse und könne“, entschied er sich aus taktischen Gründen für „Palermo“. An seiner Seite standen rund tausend Freiwillige, die sogenannten „Garibaldini“, eine gemischte Gruppe junger Patrioten, alle in „camicie rosse“ (Rothemden). Der jüngste unter ihnen, noch ein Kind, Giuseppe Marchetti, war gerade nicht einmal elf Jahre alt. Auch eine Frau schloss sich der Expedition an: die einzige „Garibaldina“, Rosalie Montmasson, die mit Mut und Entschlossenheit ihren Platz in diesem historischen Moment behauptete.
Die „Spedizione dei Mille“ (Zug der Tausend) von der Stadtküste Quatros bei Genua aus aufgebrochen, in sicherer Entfernung, eskortiert von der Royal Navy, an der Küste Neapels – wo die bourbonische Marine in einer Flottenstärke von vierzehn Militärschiffen die Überfahrt der beiden Dampfschiffen „Piemonte“ und „Lomabrdo“ nicht hinderten konnte, landeten sie schließlich am 11. Mai 1860 auf Marsala bei Sizilien. Obwohl Franz´ Kommandeure vom Anmarsch Garibaldis und dessen Anhänger wussten, waren keine bourbonische Truppen auf Marsala stationiert, mit der verheerenden Folge, dass die Garibaldini auf Sizilien den wohlwollenden patriotischen Geist der Sizilianer, die schon seit 1848 ausgeprägte Unabhängigkeits- und anti-bourbonische Bestrebungen hegten, schnell Anschluss fanden. Der bourbonische Polizeidirektor von Sizilien Salvatore Maniscalco, der seit längerem brutal gegen Revolten auf Sizilien vorging und infolge der äußerst angespannten Lage durch ein Attentat leicht verletzt davon kam, beschrieb am 15. Mai 1860 den zu erwartenden Pessimums dem König, wie folgt: „Es fehlte eine intelligente und entschlossene Hand, um die Armee richtig zu führen und das fast völlig erloschene Prestige der Regierung wiederherzustellen.“.
Im Gegensatz dazu verzeichneten die tausenden Garibaldiner, die mittlerweile mit ihren Schlachten auf der ganzen Halbinsel zur „l'Esercito meridionale“ („Südarmee“) wurden – eine gemischte bewaffnete Gruppierung von 50.000 Mann unter dem Kommando Garibaldis, rekrutiert aus dem ganzen Süden der Halbinsel, bestehend aus Freiwilligen Sizilianern, genannt „Piccioti“ und formierten Einheiten, wie die sizilianischen Nationalmiliz und die Legione Carabinieri "Sicilia". Diese „Südarmee“ befand sich im Vergleich zur „l'Esercito delle Due Sicilie“ (Bourbonen-Armee) in der Ausbildung wie auch in der Ausrüstung in einem äußerst miserablen Zustand, der von einen englischen Freund Garibaldis, Kapitän Hugh Forbes (1808–1881), wie folgt beschrieben wurde: „Im Allgemeinen waren Garibaldis Streitkräfte mit Enfield-Gewehren bewaffnet, aber nur wenige wussten, wie man diese tödlichen Waffen benutzt, da es ihnen überflüssig erschien, zu zielen. Eine Muskete oder ein Karabiner, sechzig Ladungen, eine Wasserflasche und größtenteils ein leerer Beutel, das ist das gesamte Gepäck eines Garibaldianers.“
Nach einer Reihe heftiger Schlachten auf Sizilien, die mit einem entscheidenden Sieg endeten, hatten die Rothemden unter der Führung Giuseppe Garibaldis die Kontrolle über die gesamte Insel erlangt. Der nächste Schritt ihres Feldzugs gegen das Königreich Beider Sizilien führte sie über die Straße von Messina auf das Festland. In Melito landeten die Truppen der Freiwilligenarmee und setzten ihren siegreichen Vormarsch in Kalabrien und Basilikata fort. Trotz der beeindruckenden Truppenstärke des „Esercito delle Due Sicilie“ – die Armee des Königreichs beider Sizilien umfasste über 140.000 Mann – erwies sich die Verteidigung der Bourbonen als überraschend schwach. Zwar wurde der neapolitanische Soldat vom neapolitanischen General und Patriot Carlo Mezzacapo (1805–1879), der zunächst unter den Bourbonen Karriere machte, später jedoch bei der Garibaldis Expedition als dessen Berater diente, hoch gelobt: „Er ist lebhaft, intelligent, kühn und zugleich sehr fantasievoll; daher ist er leicht zu begeistern und zu den riskantesten Unternehmungen bereit, aber ebenso leicht entmutigt. Er unterwirft sich der Disziplin bereitwillig, wenn diese von einer gerechten, starken und konsequenten Autorität ausgeht.“ Doch genau diese Autorität schien in der bourbonischen Führung zu fehlen. Der Korpsgeist war zersplittert, und die Offiziere zeichneten sich oft durch Illoyalität gegenüber König Franz II. aus. Klientelismus, Nepotismus, rivalisierende Ideologien und patriotische wie liberale Strömungen schwächten die Einheit der Armee zusätzlich.
Der neapolitanische Historiker und ehemalige bourbonische Spitzenbeamte Giacinto de’ Sivo (1814–1867), selbst ein scharfer Kritiker des Risorgimento, beschrieb die Situation mit bitterer Klarheit: „Aber das innere Übel war die mangelnde Verbindung zwischen den Offizieren, die unterschiedlichen Gedanken, die Gier, die Bosheit, die Trägheit jedes einzelnen. Nur wenige waren gut.“ Diese Spannungen wurden besonders deutlich, als Garibaldi in Kalabrien landete. Aus den Reihen der Offiziere ertönten Stimmen wie: „Aber wenn Europa ihn nicht will, warum müssen wir dann für ihn getötet werden?“, wobei schon früh die stärkste Einheit aus der Bourbonenarmee, das Schweizerregiment, desertierte. Der fehlende Rückhalt für die Monarchie und die wachsende Sympathie für Garibaldis liberale Ideen trugen entscheidend zum Niedergang der Bourbonenarmee bei.
Als Franz II. jegliches Vertrauen in seine Minister verloren hatte – und Garibaldi, der wegen seiner militärischen Heldentaten in Europa sowie Südamerika auch als „Eroe dei due Mondi“ („Held der beiden Welten“) bekannt war und nach der Vollendung seines Risorgimento bei seinem Besuch in England fast rühmlicher gefeiert wurde als die Königin beim Thronjubiläum, sich mit schnellem Vormarsch der Hauptstadt näherte, suchte der König Trost in seinem Glauben – und im Aberglauben. Franz hielt hartnäckig an der irrigen Vorstellung fest, sein Königreich sei durch zwei mächtige Kräfte geschützt: den Kirchenstaat und das Meer, symbolisiert durch Weihwasser und Salzwasser. Doch die Realität war eine andere: gerade der Kirchenstaat, auf den Franz hoffte, wurde zur Einfallspforte der Savoyen, die in Zusammenarbeit mit Garibaldis Rothemden eine Zangenbewegung durchführten. Nach der verheerenden Niederlage seiner Truppen in der Schlacht von Volturno blieb Franz keine andere Wahl: Gemeinsam mit seiner Frau flüchtete er auf die Festung Gaeta. Sein treuer General Raffaele Carrascosa (1779 -1866) warnte ihn mit den trüben Worten: „Wenn Eure Majestät Neapel verlässt, werdet Ihr nie wieder zurückkehren.“ In dieser verzweifelten Lage fand Franz Trost in einem Gedanken, der von den Anhängern der Bourbonen geteilt wurde: „Gleichermaßen verraten, gleichermaßen beraubt, werden wir zur selben Zeit aus unseren Unglücken wiederauferstehen; denn niemals hat das Werk der Ungerechtigkeit lange Bestand, noch sind Usurpationen ewig.“
Diese Hoffnung auf eine Rückkehr zu alter Größe erfüllte sich jedoch nie. Mit der Flucht von Franz II. endete die Ära der Bourbonen in Süditalien – ein Schicksal, das weniger von himmlischen Kräften als von irdischer Politik besiegelt wurde.
Risorgimento: „Fatta l'Italia, dobbiamo fare gli italiani“
Am 17. März 1861 wurde das Königreich Italien offiziell proklamiert und Viktor Emanuel II. trat als erster König des vereinten Italiens das Amt mit dem offiziellen Titel „Re di Italia“ an. Nach seiner Niederlage durch die Truppen Garibaldis und der savoyardische Armee 1860 hatte Franz II., der auch wegen seiner berüchtigten Völlerei hinsichtlich seines Lieblingsgericht, der Lasagne, auch als „Il Re Lasagna“ bekannt war, das Königreich der Beiden Sizilien verlassen und war nach Paris geflüchtet. In einer Zeit finanzieller und politischer Notlage entschloss sich der neue italienische König dem Ex-König der Bourbonen ein Angebot zu unterbreiten: Er würde ihm seine beschlagnahmten Besitztümer zurückgeben – allerdings unter der Bedingung, dass Franz II. auf seinen Thronanspruch verzichtete. Doch sein Cousin Franz II. wies das Angebot empört mit den Worten zurück: „Meine Ehre steht nicht zum Verkauf.“
Das berühmte Zitat des Staatsmanns Massimo d’Azeglio „Fatta l’Italia, dobbiamo fare gli Italiani“ („Italien ist gemacht, jetzt müssen wir die Italiener machen“), verdeutlicht die gewaltige Herausforderung der italienischen Einigung. Die Bourbonenherrschaft hinterließ im Mezzogiorno gravierende soziale und wirtschaftliche Defizite. Der Politiker und Meridionalist Giustino Fortunato (1848–1932) beschrieb die Missstände jener Zeit eindrücklich: „Die Armee, die als Dreh- und Angelpunkt des Staates galt, absorbierte fast alles; in den Städten fehlten Schulen, auf dem Land fehlten Straßen, an den Küsten fehlten Häfen, und der Verkehr lief immer noch auf dem Rücken von Eseln, wie in den Ländern des Ostens.“
Ferner äußerst sich der Politiker und ebenfalls Meridionalist Raffaele de Cesare (1845 – 1918) in seinem Werk „La fine di un Regno“ („Das Ende eines Königreiches“) vom Jahre 1895 zur miserablen Lage im Bourbonenreich noch deutlicher: „Die Hygiene wurde derart vernachlässigt, dass die Zustände in den meisten Gemeinden, besonders in den kleineren, geradezu schrecklich waren. Es gab keine Kanalisation, keine Abwassergräben, keine Toiletten in den Häusern, und der Gebrauch von Wasser war gering, wo es natürlich vorhanden war, und fast nicht vorhanden, wo es fehlte“. Die Provinzen des Bourbonenreich wurden so stark vernachlässigt, dass sich dort regelrechte „Brutstätten für Infektionskrankheiten“ bildeten.
In der Tat waren die Unterschiede zwischen Nord- und Süditalien frappierend. Im Jahr 1861 lag die Analphabetenrate im Süden bei 70 bis 80 %, in manchen Regionen wie Kalabrien sogar bei bis zu 90 %. Im Norden hingegen betrug die Rate lediglich rund 30 %. Zudem besuchten nur 10 bis 15 % der Kinder im Süden eine Schule. Auch die Gesundheitsversorgung war erschreckend schlecht: Die Lebenserwartung im Mezzogiorno lag bei 30 bis 35 Jahren, während sie im Norden zehn Jahre höher war. Krankheiten wie Malaria, die im Norden kaum vorkamen, trafen den Süden besonders hart – auf Sizilien waren 25 % der Bevölkerung betroffen. Auch die Infrastruktur spiegelte die Kluft wider: Der Norden verfügte 1861 über ein Eisenbahnnetz von etwa 6.000 Kilometern, während der Süden lediglich 1.500 Kilometer vorweisen konnte. Diese Rückstände hemmten die Industrialisierung im Mezzogiorno, das weiterhin stark agrarisch geprägt war. Mehr als 60 % der südlichen Bevölkerung arbeiteten in der Landwirtschaft, wobei etwa 80 % der Anbauflächen im Besitz weniger Großgrundbesitzer waren. Im Norden hingegen war die Wirtschaft diversifizierter: Etwa 25 % der Bevölkerung waren im Industriesektor tätig, während 30 % in der Landwirtschaft arbeiteten.
Auch mehr als 160 Jahre nach dem Risorgimento prägen diese Unterschiede das Land. Der Begriff „bourbonico“ dient bis heute in italienischer Sprache als Synonym für „reaktionär“ – ein Nachklang der tiefen Spuren, die das Königreich der Beiden Sizilien hinterließ.
Foto:
©Geneee