Die Jacob Augstein-Debatte: Eine verpasste Chance. Ein Beitrag Sammelband "Gebildeter Antisemitismus", Teil 6
Matthias Küntzel
Hamburg (Weltexpresso) - Den Abschluss dieser Debatte markiert eine Pressekonferenz mit Rabbi Abraham Cooper, die das Mideast Freedom Forum Berlin am 31. Januar 2013 in Berlin organisierte und die—von etwa 50 Zeitungen und Nachrichtenagenturen besucht—auf ein enormes Interesse stieß. [4]
“Es geht nicht um Jakob Augstein”, stellte Cooper gleich zu Beginn seiner Darlegungen klar, “es geht um seine Worte”. Der SMC wolle mit seiner Top Ten-Liste auf Antisemitismus in Bereichen aufmerksam machen, für die es an Aufmerksamkeit bisher fehlte.
Die Listung von Augstein sei also nicht nur ein Vorwurf an den Journalisten gewesen, sondern auch ein Vorwurf an eine Gesellschaft, die nach der Lektüre seiner Kolumnen den Vorwurf nicht von sich aus erhob. “Warum wurde Augstein nicht lange vor diesem Listenplatz kritisiert?”, fragte Cooper die anwesenden Journalisten. “Wo wart ihr?”
Erst jetzt, nachdem Augstein die Gelegenheit für eine Richtigstellung ausgeschlagen und im Streitgespräch mit dem Spiegel seinen Glauben an die Richtigkeit seines Tuns bekräftigt habe, vertrat Cooper die Ansicht: “Er ist Antisemit”.
In den Reaktionen auf diese Pressekonferenz zeigte sich ein Paradox. Vier Wochen zuvor war eine ganze Armada der schreibenden Zunft aufgebrochen, um den Spiegel-Erben gegen den Vorwurf, er sei Antisemit, zu verteidigen, obwohl es diese Anschuldigung gar nicht gab. Jetzt aber, als Cooper das Verdikt “Er ist Antisemit” erstmals formulierte, blieb alles still.
Plötzlich blieb Augstein, der das SWC noch am selben Tag mit “fundamentalistischen oder totalitären Institutionen” auf eine Stufe zu stellen suchte, allein (Augstein 2013 auf Facebook). Denn den Eindruck eines Fundamentalisten machte Cooper gerade nicht. Er habe seine Sätze “ohne Wut und mit einer überlegenen Ruhe” formuliert, schrieb die Welt am 01. Februar 2013 über die Pressekonferenz. Er habe “nicht wie ein wütender Antisemiten-Jäger [gewirkt]. Im Gegenteil.” (Kittel 2013)
Die Berichterstattung über diese Pressekonferenz hatte mit den Aufregungen der ersten Woche nichts gemein. “Das Reden über Israel als Bedroher des Weltfriedens ist antisemitisch”, hieß es zum Beispiel in einem Essay von Elke Schmitter (2013), den der Spiegel am 04. Februar 2013 in seiner Printausgabe veröffentlichte.
Und während der Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen die Listung Jakob Augsteins noch am 02. Januar als einen “schweren intellektuellen und strategischen Fehler” anprangert hatte (Minkmar 2013), berichtete am 31. Januar dasselbe Feuilleton ausgesprochen sachlich über die Kennzeichen des israelbezogenen Antisemitismus, verbunden mit dem Plädoyer, “das Anliegen des SWC ernst zu nehmen” (Steinkopf 2013).
Doch einen Startschuss für eine neue Debatte lieferte diese Pressekonferenz nicht. Die zahlreichen Berichte über Coopers Besuch in Berlin beendeten die Diskussion.
Einige hatten den Antisemitismus bei Jakob Augstein bereits vor der Listung seiner Zitate kritisiert. Henryk M. Broder hatte in der Welt darauf hingewiesen, Rainer Trampert in der konkret, Stefan Gärtner in der Titanic (Gärtner 2012) und der Autor dieser Zeilen in einem Buch (Küntzel 2012: 13 f.). Drei Wochen vor der Veröffentlichung des SWC publizierte die taz eine Satire auf Jakob Augstein: “Haben Sie vom Nahostkonflikt keine Ahnung, aber eine Meinung zu bieten? Wollen Sie als mutig gelten? Zehn Tipps für einen israelkritischen Text” (Meinhold 2012). Diese Stimmen wurden jedoch ignoriert.
Als dann die Wiesenthal-Liste erschien, konnte man darüber unterschiedlicher Meinung sein. Man hätte sie zum Anlass nehmen können, sich genauer zu informieren. Doch das geschah eben nicht. Von Ausnahmen abgesehen, nahmen Journalisten, Politiker und Experten Augstein reflexhaft und leidenschaftlich in Schutz. Zu den Kennzeichen dieser Debatte gehört ihre überbordende Emotionalität und die Überlagerung der Sachebene durch den Affekt.
Anmerkungen:
(4) Den Ablauf der Pressekonferenz mit Rabbi A. Cooper und dem Autor dieser Zeilen dokumentiert ein Filmmitschnitt des Mideast Freedom Forum Berlin (2013), s. Quellenverzeichnis.
Info:
Dieser Aufsatz wurde 2015 erstmals in dem von Monika Schwarz-Friesel herausgegebenen Band “Gebildeter Antisemitismus. Eine Herausforderung für Politik und Zivilgesellschaft” im Nomos-Verlag Baden-Baden als Band 6 der von Prof. Samuel Salzborn herausgegebenen Reihe “Interdisziplinäre Antisemitismusforschung” veröffentlicht und im Januar 2016 mit Zustimmung der Herausgeberin und des Verlages als Online-Extra Nr. 231 des Online-Portals http://www.compass-infodienst.de dokumentiert. Einen Prospekt des sehr zu empfehlenden Buches und dessen Inhaltsverzeichnis finden sich am Ende aller Beiträge
Inzwischen haben Lukas Betzler und Manuel Glittenberg ein 300-seitiges Buch über die Jakob Augstein-Debatte veröffentlicht: Antisemitismus im deutschen Mediendiskurs. Eine Analyse des Falls Jacob Augstein, Nomos Verlag Baden-Baden 2015, Bd. 5 der Reihe Interdisziplinäre Antisemitismusforschung.
Ein Literaturverzeichnis rundet die umfangreiche Serie am Schluß ab.