Vor 80 Jahren: Arabischer Aufstand in Palästina, Teil 2
Matthias Küntzel
Hamburg (Weltexpresso) - Ökonomisch betrachtet konnte der „Generalstreik“ wenig ausrichten, da die damals 400.000 Juden, die in den wichtigsten Wirtschaftszentren – Haifa, Tel-Aviv, Jerusalem – die Mehrheit stellten, dem Streik nicht nur fernblieben, sondern ihre eigene Wirtschaftstätigkeit angesichts dieser Umstände ausbauten. In den arabisch dominierten ländlichen Regionen waren Streiks hingegen kaum möglich.
So wurde nach und nach die Streikbewegung durch den Aktivismus institutionalisierter Banden ersetzt. Es begann mit Gruppen von Jugendlichen, die als „Nationalgarde“ all jene, die dem Streik fernblieben, denunzierten, einschüchterten, verprügelten und manchmal auch ermordeten. Daraus entwickelten sich in den ländlichen Gebieten Banden mit je einigen Dutzend Mitgliedern, die sich um ihre regionalen Führer scharten.
Doch auch diese wüteten nicht ohne Konzept: „Der Mufti [Amin el-Husseini] schaltete bewusst mit äußerster Härte seine Gegner innerhalb des palästinensischen Lagers aus“, schreibt Abraham Ashkenasi. „Der palästinensische Aufstand von 1936 – 1939 war auch ein Angriff auf die Gegner des Mufti. Innerhalb des palästinensischen Lagers ist es zu mehr Mord und Totschlag gekommen, als gegen Juden und gegen Briten.“ [5]
Gleichzeitig wurde der Aufstand von den Gefolgsmännern des Mufti und des islamistischen Predigers Izz al-Din al-Qassam islamisiert. Al-Qassam, der den Kampfeinheiten der Hamas auch heute noch als Namensgeber dient, hatte seit 1931 in der Umgebung von Haifa eine Bewegung geformt, die die Ideologie der devoten Rückkehr zum Ur-Islam des 7. Jahrhunderts mit der Praxis des Djihad gegen die Ungläubigen verband.
Brachial führten die von ihm und dem Mufti inspirierten Banden in den „befreiten“ Zonen neue Kleiderordnungen sowie Scharia-Gerichte ein. Bewundernd berichtete 1943 ein deutscher Mufti-Biograph über die Erschießung palästinensischer Araber, die sich weigerten, die als „Palästinensertuch“ bekannte Kaffiyah, zu tragen. Nicht minder drakonisch wurden arabische Christinnen aber auch alle anderen Frauen zur Verschleierung gezwungen. [6]
Gleichzeitig nahm man gezielt Palästinenser ins Visier, die den Ausgleich mit dem Zionismus und der Mandatsmacht suchten.
„Menschen, die Land an Juden verkauften … oder moderate politische Ansichten hegten und deren Nationalismus man als unterentwickelt verdächtigte, … wurden nicht immer sofort getötet; manchmal wurden sie gekidnappt und in den Gebirgsabschnitten unter die Kontrolle der Rebellen gestellt“, berichtet Yehuda Porath, der wichtigste Historiker dieser Periode. „Dort warf man sie in Gruben, die mit Schlangen und Skorpionen versetzt waren. Falls die Opfer nach mehreren Tagen in dieser Grube noch lebten, wurden sie vor eines der Rebellengerichte gebracht … und normalerweise zum Tod oder, als spezielle Form der Rechtsprechung, zu massiver Auspeitschung verurteilt. Der Terror war so massiv, dass niemand, einschließlich der Religionsgelehrten und Priester, es wagte, ordentliche Bestattungen durchzuführen.“ [7]
Diese Praktiken bewirkten, dass immer größere Teile der Bevölkerung die ,Aufständischen‘ bei den britischen Behörden denunzierten und sich gegen Übergriffe der Mufti-Banden bewaffneten. Seit dem Herbst 1938 war die offene Opposition arabischer Bevölkerungsteile gegen die Politik des Mufti nicht mehr zu übersehen. [8]
Gleichwohl war die Wirkung auf die arabische Gesellschaft Palästinas desaströs: Alte Fehden waren aufgebrochen, neue Blutrachen hinzugekommen. Der größte Teil der Christen – Ärzte, Geschäftsleute und einflussreiche Familien – war aus Palästina geflohen. [9] Von diesem Exodus hat sich das arabische Palästina bis heute nicht erholt.
Anmerkungen:
[5] So Abraham Ashkenasi in seinem Vorwort zu Klaus Gensicke, Der Mufti von Jerusalem Amin el-Husseini und die Nationalsozialisten, Frankfurt/M. 1988, S. 7.
[6] Kurt Fischer-Weth, Amin al-Husseini. Großmufti von Palästina, Berlin 1943, S. 83. Im Westen wurde später die auch von Arafat genutze Kaffiyah zum Ausweis und Symbol „progressiven“ Denkens.
[7] Yehuda Porath, The Palestinian Arab National Movement. From Riots to Rebellion, Vol. II, 1929-1939, London 1977, S. 250.
[8] David Th. Schiller, Palästinenser zwischen Terrorismus und Diplomatie, München 1982, S. 163.
[9] Ebd., S. 145ff.
Info:
Abdruck aus MENA-Watch mit freundlicher Genehmigung des Autors