Denn die Bundesregierung kuscht vor dem von den Türken gewählten Diktator
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) -
„Selbst die Sintflut
Dauerte nicht ewig.
Einmal verrannen
Die schwarzen Gewässer.
Freilich, wie wenige
dauerten länger.“
An Brechts Zeilen aus dem Gedicht „Beim Lesen des Horaz“ bin ich erinnert, wenn ich über das Geschehen um den Satiriker Jan Böhmermann nachdenke. Der hatte den demokratisch gewählten türkischen Staatspräsidenten Erdogan, der zunehmend despotische Züge an den Tag legt, einen „Z.....F.....“ genannt. Unklar blieb, ob er ihm damit sodomitische Neigungen unterstellen wollte oder damit die Frauen (sexistisch „Zicken“) eines Harems meinte, über den sich Frau Erdogan unlängst so positiv äußerte.
Oder lediglich eine hierzulande sprachlich-populäre Form der Obrigkeits- und Majestätsbeleidigung verwendete.
Zugegebenermaßen könnte, ja sollte man sogar Recep Tayyip Erdo?an, bevor man ihm ein paar Gemeinheiten an den Unterleib wirft, zu allererst ein irregeleitetes Demokratieverständnis vorwerfen. Eines, das so antiquiert ist, wie jene kulturelle Tradition, die einst im Harem ihren Ausdruck fand. Ihn also der Korruption, der Bedrohung der Pressefreiheit, der Unterdrückung Andersdenker, der Planung und der Durchführung eines Vernichtungskriegs gegen die Kurden bezichtigen - um nur die wesentlichen Verbrechen zu nennen. Im Verhältnis dazu wäre das mit den Zicken fast schon ein Kavaliersdelikt.
Hätte ein beherzter Journalist vor 85 Jahren Adolf Hitler der sexuellen Beziehung zu seinem Schäferhund bezichtigt, wäre er dafür vermutlich in ein Konzentrationslager eingesperrt und nach qualvoller Haft guillotiniert worden (selbstverständlich ohne gerichtliche Überprüfung). Aber nach dem Verrinnen der braunen Gewässer wäre er sicherlich zum (wenn auch toten) Helden erklärt worden; als ein immer gültiges Vorbild für den Umgang mit Diktatoren, Despoten und Usurpatoren.
Da ich felsenfest davon überzeugt bin, dass auch die Tage des Erdogan-Regimes einmal zu Ende gehen, ähnlich wie die 40 Tage der Sintflut, selbst wenn man nicht in Tagen, eher in Jahren, vielleicht gar Jahrzehnten rechnen müsste, geht mir eine Vision durch den Kopf:
Das türkische Volk entledigt sich des Erdogan-Klans und bringt ihn, gegebenenfalls seine Nachfolger, und alle Mittäter vor ein unabhängiges Gericht. Dort präsentiert jedoch ein Verteidiger einen Entlastungsbeweis. Im Jahr 2016 hätte die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Angela Merkel, ihre Zustimmung gegeben, damit gemäß Paragraph 103 des deutschen Strafgesetzbuchs gegen einen Verleumder Erdogans ermittelt werden konnte. Damit stehe fest, dass Erdogan immer wieder verleumdet und somit Vergehen bezichtigt worden sei, die er nie begangen habe. Genauso wie nun vor dem demokratischen Tribunal.
Ein Wort aus Deutschland hat im Osmanischen Reich traditionell großes Gewicht. Sei es als Beleidigung, sei es als Lob. Und so könnte Erdogan nach der Sintflut der Arche Merkel entsteigen, sich als Märtyrer präsentieren und den Titel Kalif annehmen - er selbst oder einer aus seiner Dynastie.
Deswegen ist größte Vorsicht geboten, wenn ein Despot das Rechtssystem eines demokratischen Staats zu seinen Gunsten instrumentalisieren will. Und aus diesem Grund verbietet es sich auch, Geschäfte mit Diktatoren zu machen. Der Schmutz, der dabei an den Händen zurückbleibt, klebt für alle Zeiten.
Wer in Deutschland auf Ehrverletzung klagt, müsste nachweisen, dass er die Ehre, die er als bedroht empfindet, auch tatsächlich besitzt und verdient.
Info:
Ein Buchtipp:
Cigdem Akyol
Erdogan
Eine Biografie
Soeben erschienen im Herder Verlag