Obama meidet die Worte radikaler Islam …

Matthias Küntzel

Hamburg (Weltexpresso) -Erstaunlicherweise charakterisierten nicht nur Beobachter in Deutschland, sondern auch der amerikanische Präsident den Täter von Orlando als »einen wütenden, verwirrten, labilen jungen Mann«, so als habe seine Tat mit dem fanatischen Hass der Islamisten auf Nachtklubs, Lebensfreude und Homosexualität nichts zu tun.

Barack Obama beschwerte sich gar darüber, dass man von ihm verlange, die Worte »radikaler Islam« zu benutzen. »Was würden wir erreichen, wenn wir dieses Etikett verwendeten?« entgegnete er seinen Kritikern. »Was würde sich ändern? Würden wir mehr Verbündete gewinnen? Gibt es eine militärische Strategie, der das dienen würde?« (Andreas Ross, Verkniffene Lippenbekenntnisse, FAZ, 16.Juni 2016)

Gewiss! Den Jihadismus und dessen Ideologie präzise zu bestimmen, ist Voraussetzung, um das Ausmaß der potentiellen Gefahr zu ermessen. Mit der Charakterisierung des Terrors als islamistisch würde das Weiße Haus Verbündete gewinnen – unter anderem diejenigen Muslime, die unter islamistischen Anführern leiden oder sich für eine historisch-kritische Neuinterpretation des Koran einsetzen.



und stärkt damit Trump

Je mehr der schiitische und sunnitische Islamismus in den vergangenen Jahren an Einfluss gewann, desto grotesker wurden Obamas Versuche, die Rolle der Religion für den Jihadismus kleinzureden und desto fruchtbarer wurde der Boden für den Demagogen Donald Trump. Obamas Verharmlosung des Islamismus kontert Trump mit der Dämonisierung des Islam: Sein antimuslimischer Populismus ist das verheerende Resultat einer Politik, die sich scheut, die Dinge mit Rücksicht auf »den Islam« beim Namen zu nennen.

Eine ähnliche Logik von Ursache und Wirkung ist auch in Deutschland evident. Auch hier existiert jene Glaubwürdigkeitslücke. Sie wird von der rechtskonservativen Alternative für Deutschland (AfD) gefüllt. Daraus erwächst ein mögliches Problem: Kritiker des Islamismus könnten es vorziehen, über den Islamismus zu schweigen, um nicht in den Verdacht zu geraten, Kräften wie der AfD als Stichwortgeber zu dienen.

In Wirklichkeit aber bereiten auch die antimuslimischen Populisten den Islamisten den Weg. Donald Trump, der Muslimen die Einreise in die USA verbieten will, bestätigt mit seiner Forderung das islamistische Credo, wonach der Krieg gegen die »Ungläubigen« unvermeidbar sei. Auch die AfD geht mit ihrer Pauschalkritik am Islam einer gezielten Jhadismus-Bekämpfung aus dem Weg. Ihre Dämonisierung des Islam trägt zur Verharmlosung des Islamismus bei – einer Verharmlosung, wie man sie mit der lonely-wolf- These nach Orlando erneut erlebt.

In Wirklichkeit gibt es für Ratlosigkeit auch nach Orlando keinen Grund. Natürlich müssen weitere Massaker der »Soldaten des Kalifats« verhindert werden. Doch dazu wird auch die ehrgeizigste Polizeiüberwachung nicht in der Lage sein. Es gibt keinen anderen Weg, als das Übel an seiner Wurzel zu packen. Der Sieg über den IS setzt jedoch den Sturz von Bashar al-Assad und damit die Konfrontation mit Teheran und Moskau, Assads wichtigsten Unterstützern, voraus.


Info: Matthias Küntzel schrieb seinen Beitrag original in Jungle World Nr. 25