150 Jahre Okkupation Frankfurts – kaum erinnert, Teil 1/5
Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die Schlacht von Königgrätz am 3. Juli 1866 endete mit dem Sieg der preußischen Armee über die österreichische Streitmacht. Sie habe einen mentalen Bruch für das Selbstverständnis der Deutschen - und somit der Österreicher - bewirkt, folgert Horst Dieter Schlosser in seinem Artikel *), der die Vorgeschichte zur Annexion Frankfurts durch den Kommissstaat Preußen am 16. Juli 1866 liefert.
Österreich wurde aus dem Deutschen Bund gekugelt, Preußen ging auf monomanischen Alleinkurs. Die Besetzung und Beschlagnahme der Freien Reichsstadt Frankfurts durch Preußen ist durch eine deprimierende Begebenheit gekennzeichnet: der Frankfurter Bürgermeister Karl Konstanz Viktor Fellner nahm sich das Leben, protestierte gegen die Gewalttat Preußens, indem er sich erhängte.
Preußen, die militärisch-politische Unnatur mit Verhängniseffekt
Preußens Einfall ins Freie Frankfurt, der im Bürgertum bis heute rückblickend als eher putziges Geschehen angesehen wird – ganz wohl im Zeichen der zivilisatorischen Vereinheitlichung und gewaltsamen Begradigung von Grenzverläufen – ist aber mitnichten ein Fall für den Einzug in die geschichtlichen Weihestätten. Diese Raubtat, die der FAZ heuer keine Behandlung wert war – im Unterschied zur FNP -, bedeutete eine Weichenstellung, war der Baustein für einen Kultur-und Zivilisationsbruch. Es verhielt sich nicht einfach nur mal so, dass die Staatenwelt des 19. Jahrhunderts wechselweise darauf lauerte sich gegenseitig an die Gurgel zu fahren und Preußen keine Wahl oder kein Geschick für eine gedeihliche Verbindung von Ländern gehabt hätte, die modernisieren wollen.
Preußen war der Bösewicht, es missriet zur pervertierten Kommisskreatur, wurde zum monströs aufgezäumten Militärstaat, der die grenzenlose Gewalt Hitlers vorbereitete. Frankfurt wurde in den preußischen Obrigkeitsstaat eingegliedert. „Damit ging die Hoffnung der Freiheits- und Nationalbewegung auf ein geeintes Deutschland, auf ‚ein Volk, ein Vaterland und eine Nation‘, endgültig unter“ (‚Preußens Griff nach der Reichsmacht‘, Horst Dieter Schlosser, FR 02.07.2016). Nicht nur das, auch die Alternative eines rheinisch geprägten republikanisch-liberalen Deutschlands, das sich den Postulaten der Französischen Revolution verpflichtet sah, ging unter.
‚150 Jahre Okkupation‘, ‚Warum spielt der Juli 1866 keine Rolle im Öffentlichen Bewusstsein?‘ war der Titel einer Vortragsreihe im Studierendenhaus der Frankfurter Universität mit anschließender Diskussion, in der eine heutige Bürgerin die Annexion als Modernisierungsakt verstanden wissen wollte. Die Ankündigung auf dem Flyer und einem Plakat spricht die Tragödie aus: „Der 48er Traum von der Freien Republik ist ausgeträumt. Bis zur Auflösung Preußens durch die Aliierten 1947 bleibt Frankfurt eine preußische Provinzstadt“.
Der Einfall der preußischen Sekte in Frankfurt
Das gemeine Volk musste sich an gesetztes Recht halten, musste parieren, das Militär aber ließ die Sau raus, benahm sich hochgradig daneben, auf übelste Weise. Eine zeitgenössische Darstellung zeigt den Einfall des Soldatenhaufens, eines Bataillons der Kavallerie. Die Hauptwache wurde bezogen, Wein für die Wachmannschaft musste schnell her, Straße um Straße wurde besetzt, Häuser wurden bis unters Dach mit Soldaten belegt, für diese wurde reichliche Verpflegung eingetrieben, Stiefel waren zu liefern, Wein und Zigarren, als ob es etwas zu feiern gäbe, worauf man anstößt. Für die Offiziere gab`s 8 Zigarren pro Tag, eine Flasche Wein, für die Soldaten eine halbe. Innerhalb weniger Tage wurde eine siebenstellige Anzahl an Zigarren angefordert (nur aus preußischen Beständen sollten sie sein), es begab sich auch, dass in kürzester Zeit 100 Flaschen Wein beizuschaffen waren. Fortsetzung folgt
Foto: Carl Constanz Viktor Fellner (c) stadt-frankfurt
Info:
‚150 Jahre Okkupation, Warum spielt der Juli 1866 keine Rolle im öffentlichen Bewusstsein?‘, Sonntag, den 17. Juli 2016 im Festsaal des Studierendenhauses der Universität Frankfurt, Mertonstraße 26-28.- Einleitung: Anton Stortschilov, ‚Die Besetzung und ihre Auswirkungen‘, Referat: Volker Gallé, ‚Masken der Freiheit – der unterdrückte Impuls der Republik‘; Beiträge: Brigitte Holdinghausen: ‚Hintergründe des Selbstmordes von Bürgermeister Victor Fellner‘, Katharina Süs: ‚Friedrich Stoltze und die preußische Okkupation‘, Moderation: Harry Bauer (ex undogmatische linke), Veranstalter: Tommy Kimmig und Harry Bauer
Buchempfehlung: Carl Amery, ‚An den Feuern der Leyermark‘ (gebraucht)
*) ‚Preußens Griff nach der Reichsmacht‘, Horst Dieter Schlosser, FR 02.07.2016)