Zur  Kritk an Sahra Wagenknecht

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) - Sahra Wagenknecht geht es so, wie es Hannah Arendt ergangen ist: Deren Publikation „Eichmann in Jerusalem“ hat damals nicht allen gefallen. Daraufhin schrieb sie einen Essay über das Verhältnis von Wahrheit und Politik. Hanna Arendt ging es um zwei Probleme. Das erste betraf nach ihren Worten die Frage, ob es stets richtig sei, die Wahrheit zu sagen; das zweite habe sich aus der erstaunlichen Zahl an Lügen ergeben, „Lügen einerseits über das, was ich geschrieben, und andererseits über die Tatsachen, die ich berichtet hatte“.


Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht geriet nach den jüngsten Terroranschlägen wegen des folgenden Satzes in die Kritik: „Die Ereignisse der letzten Tage zeigen, dass die Aufnahme und Integration einer großen Zahl von Flüchtlingen und Zuwanderern mit erheblichen Problemen verbunden und schwieriger ist, als Merkels leichtfertiges ‚Wir schaffen das’ uns im letzten Herbst einreden wollte.“ Nachdem Parteifreunde den Satz als „Schlag ins Gesicht von uns allen“ bezeichnet hatten, monierte die Angegriffene im „Spiegel“, in ihre Äußerungen würden „Dinge reininterpretiert“, die sie weder gesagt noch gemeint habe. Allerdings hätte sie für sie Selbstverständliches noch einmal ausdrücklich sagen sollen, um Fehlinterpretationen auszuschließen. Aber es sei „auch nicht links, Probleme zu verschweigen“.

Sahra Wagenknecht hat eine Binsenwahrheit ausgesprochen. Die für die öffentliche Sicherheit zuständigen Behörden haben im vergangenen Herbst auf der ganzen Linie versagt. 130 000 zugewanderte Menschen verschwanden spurlos. Jetzt, fast ein Jahr später, verlangte der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, diese Flüchtlinge müssten so schnell wie möglich erfasst werden. Dass das mit großer Verspätung geschieht, ist angesichts der allgemeinen Überwachungswut nicht zu begreifen. Die Geheimdienste haben ihr Ohr doch sonst überall.

Statt über Sahra Wagenknecht herzufallen, sollten sich ihre linken Kritiker fragen, weshalb aus ihrer Sicht bei Wahlen immer die Falschen gewinnen. Offensichtlich gibt es da ein Problem. Das Verhältnis zwischen Wahrheit und Politik ist gestört. Es geht dabei weniger um die großen oder die barmherzigen Lügen in Zeiten des Krieges, sondern um das Wortgeklingel und die Halbwahrheiten im politischen Alltag. Einen Grund muss es doch haben, dass die Süddeutsche Zeitung ausgerechnet in diesen Tagen der Frage nachgeht, ob es stimmt, „dass Politiker immer öfter die Unwahrheit sagen“. (Andreas Zielcke, „Zeit der Lügen“, SZ, 2. August 2016, S. 9).

Angela Merkels Zauberwort „Wir schaffen das“ übertüncht die Probleme, die wie ein Krebsgeschwür ein europäisches Land nach dem anderen von innen her zerfressen. Mit Geld  lässt sich vieles im Leben regeln, nicht aber der Zusammenprall einer mittelalterlichen religiös dominierten orientalischen Kultur mit der modernen laizistisch geprägten abendländischen Kultur, zumal wenn es der einen nicht um ein Miteinander oder ein Nebeneinander geht, sondern um Vorherrschaft. Wer die daraus resultierenden Ängste nicht wahrnimmt oder ignoriert, bereitet nationalistischen Parteien den Boden und macht die Menschen anfällig für deren fremdenfeindliche Parolen.

„Alles klare Denken erregt Anstoß“, gab Stendhal in seinem 1830 in Paris erschienenen Buch „Le Rouge et le Noir“ zu bedenken. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Die Unterstellung, Sahra Wagenknecht konstruiere „einen Zusammenhang zwischen Terror und Flüchtlingspolitik“ und schüre damit dadurch Ressentiments (Neues Deutschland, 30./31. Juli 2016, „An Sahra Wagenknecht scheiden sich die Geister“) ist  an den Haaren herbeigezogen. Hier werden anscheinend innerparteiliche Rechnungen beglichen. Was gemeinhin als islamistischer Terror bezeichnet wird, hat ohnedies mit der Sache, um die es in Wirklichkeit geht, wenig zu tun. Diese Geißel der Menschheit haben wir denen zu verdanken, die die Brandfackel in das Pulverfass Naher Osten geworfen haben, weil sie meinten, sich dessen Bodenschätze auf ewig sichern zu können. Aber auch da helfen am Ende selbst ganze Armeen nichts.

Nach dem Zweiten Weltkrieg sind Hunderttausende, wenn nicht gar Millionen Menschen aus Italien, Portugal, Jugoslawien und anderen Ländern in die Bundesrepublik Deutschland geströmt, ohne dass sich deswegen  ein gesellschaftliches Unbehagen breit machte oder dass sich Aggressionen entluden, wie sie neuerdings bei Anhängern des türkischen Präsidenten Edogan in Deutschland zu beobachten sind.

Die Angst vor dem Terror ist eine Sache, die Angst vor dem Verlust der eigenen Identität eine andere. Statt um den heißen Brei herumzureden und diese Angst  als Ausdruck spießbürgerlichen Denkens abzutun, sollten die Linken herauskommen aus ihrem Elfenbeinturm vermeintlicher Menschenfreundlichkeit, hinter der sich nicht selten Arroganz gegenüber Andersdenkenden verbirgt.

Lügen der politischen Gegner schmerzen, lassen sich aber ertragen. Lügen und Halbwahrheiten der politischen Freunde sind schmerzhafter und schwer zu ertragen. „Wahrhaftigkeit und Politik wohnen selten unter einem Dach“, notierte Stefan Zweig in der Einleitung zu seinem Buch „Marie Antoinette“.  Auf Dauer sollte das so nicht bleiben,  unabhängig von dem, was  Sahra Wagenknecht jetzt widerfährt.