Merkel und Steinmeier in der selbst gestellten Erdogan-Falle
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - „Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das [Parlament] auf und wählte ein anderes?“
Bei der Frage, ob sich die Bundesregierung von der Armenier-Resolution des Parlaments distanzieren wollte oder nicht, ist man unwillkürlich an Bert Brechts Gedicht „Die Lösung“ erinnert, in dem er wegen der Niederschlagung des Aufstands vom 17. Juni 1953 mit der Ost-Berliner Regierung literarisch ins Gericht ging (siehe das Zitat).
Mit einer Revolte, nämlich der gegen Erdogan, vor allem aber mit viel leichtfertigem und nicht durchdachten politischem Kalkül in der Flüchtlings- und Europafrage hat auch das Verhalten der Bundesregierung gegenüber der Türkei und ihrem Präsidenten zu tun. Der Möchtegern-Kalif aus Ankara, der nach westlichen Maßstäben Korruption unterstützt, politisch Missliebige, bevorzugt Journalisten und ehemalige Gefolgsleute, einsperren und aburteilen lässt, einen Feldzug gegen die Kurden immer unverhohlener anheizt, von der reinigenden Wirkung der Todesstrafe schwärmt und das alles religiös verbrämt, zählt zu jenen Politikern, mit denen man besser keine Vereinbarungen treffen sollte. Angela Merkel hat es mit der Rückendeckung ihrer Koalition trotzdem getan, um die Folgen der ihr entglittenen Flüchtlingspolitik in den Griff zu bekommen. Und ihr Außenminister Steinmeier, der mehr in diplomatischen Labyrinthen umherzuirren als in der realen Politik unterwegs zu sein scheint, erteilte den sozialdemokratischen Segen.
Damit konnten sie selbst unter ihren politischen Gefolgsleuten nur wenige überzeugen. So war es kein Wunder, dass die Armenier-Resolution des Bundestags am 2. Juni breiteste Zustimmung fand. Denn augenscheinlich ging es längst nicht nur um die Komplizenschaft des deutschen Kaiserreichs mit den Osmanen beim Völkermord an den Armeniern 1915. Sie war auch ein Ventil für die Unzufriedenheit mancher Parlamentarier der Koalition, denen die Kurzsichtigkeit und Konzeptionslosigkeit ihrer eigenen Regierung gegen den Strich ging und geht.
Als die Türkei daraufhin Bundestagsabgeordneten den Besuch der NATO-Basis in Incirlik verweigerte, fiel der regierungsamtliche Protest aus Berlin schal aus, selbst wenn ein Rückzug der deutschen Luftwaffe (auf Druck des Bundestags) nicht ausgeschlossen wurde. Letzterer scheint den NATO-Verantwortlichen in Washington große Sorgen zu bereiten, denn die USA möchten den Verbündeten Türkei weder brüskieren noch verlieren, selbst wenn dessen militärische Strategie zwischen IS und Kurden hin und her laviert.
Nach einem Gespräch der Bundeskanzlerin mit dem NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg meldete SPIEGEL-Online ein mutmaßliches Ergebnis dieses Treffens, nämlich dass sich die Bundesregierung von der Armenier-Resolution des Bundestags in der Form eines Statements, vorgetragen vom Regierungssprecher, distanzieren würde. Als die ersten massiven Proteste laut wurden, distanzierte man sich von der Distanzierungsabsicht, betonte aber, dass die Resolution keine rechtliche Verbindlichkeit besitze.
Vielleicht freut das den „Verbündeten“ Erdogan - zumindest vorübergehend. Nicht erfreut dürften hingegen die Demokraten in dieser Gesellschaft sein. Und einige unter ihnen fragen sich auch, wie man quasi am Vorabend der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern der dortigen Bevölkerung ein Musterbeispiel für die Unfähigkeit dieser Regierung geben und den Rechtsradikalen eine Steilvorlage liefern kann.
Foto: Deutsche Luftwaffe in Incirlik (c) ARD