Soll Raphael Gross nur für ein angenehmes Betriebsklima sorgen oder auch für eine genehme Geschichtsdarstellung?

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) - Von einem Scherbenhaufen zum andern – so könnte man den Berufsweg von Raphael Gross beschreiben, seit der gebürtige Schweizer Wissenschaftler 2007 die Leitung des Fritz-Bauer-Instituts in Frankfurt übernahm.

Als neuer Präsident der Stiftung Deutsches Historisches Museum soll er jetzt – nach einer kurzen Zwischenstation als Leiter des Simon-Dubnow-Instituts in Leipzig -  dafür sorgen, dass beim DHM  – so der Berliner „Tagesspiegel“ -  „Ruhe einkehrt“. Vermutlich geht es nicht nur darum, sondern auch um die Ausrichtung des einstigen Lieblingsprojektes von Helmut Kohl.  Die Bundesbeauftragte für Kultur- und Medien, Monika Grütters (CDU) rühmte bei der Bekanntgabe der Personalie  Grossens „ruhige Hand“ bei der Führung profilierter Einrichtungen und seine Befähigung, sie „ideenreich weiterzuführen“.

Andere waren von den Führungsqualitäten des Historikers nicht so begeistert. Als er seinen Posten beim Fritz-Bauer-Institut ohne Vorankündigung räumte, fehlte unter den Lobrednern ausgerechnet der Mann, der – ähnlich wie jetzt Monika Grütters –  sein politischer Schirmherr und Geldgeber war, der hessische Wissenschaftsminister Boris Rhein (CDU). Er ließ Raphael Gross im Frühjahr 2015 ohne ein Wort des Dankes ziehen. Der Minister war verärgert darüber, dass über Jahre hinweg ausgerechnet ein Mitarbeiter des  Fritz-Bauer-Instituts ungestört die Demontage des Namensgebers betreiben durfte und die staatlich geförderte Einrichtung damit in die Kritik brachte. Als stellvertretender Vorsitzender des Stiftungsrates kündigte Rhein im Dezember 2014 an, er werde die Positionierung des Instituts zu seinem Namensgeber im Stiftungsrat auf die Tagesordnung setzen.

Raphael Gross hatte die Leitung des Fritz-Bauer-Instituts zu einem Zeitpunkt übernommen, da es mit dessen Innenleben nicht zum Besten bestellt war. Kenner sprachen von einer Schlangengrube. Statt den Problemen auf den Grund zu gehen und sie zu beseitigen, kehrte Gross sie unter den Teppich. Er wollte nicht der Bösewicht sein, sondern everybodys darling. So kam es dazu, dass er die Verdrängung der politischen Rolle Fritz Bauers in einer Ausstellung über dessen Leben tolerierte. Stattdessen wurde die sexuelle Orientierung des hessischen Generalstaatsanwalts und seine vermeintliche Unterwerfung unter die Nazidiktatur zum Thema gemacht, was einen scharfen Protest der früheren Bundesjustizministerin Hertha Däubler-Gmelin (SPD) nach sich zog. Gegenüber dem Verfasser dieser Zeilen räumte Gross Fehler ein. „Mit Recht monieren Sie, wir würden den Kontext des von Fritz Bauer sicherlich unter brutalsten KZ-Bedingungen erzwungenen ‚Treuegelöbnisses’ nicht genügend im Katalog darstellen. Das werden wir bei jeder weiteren Auflage nun versuchen. Auch werden wir in der Ausstellung den Kontext deutlicher herausstellen.“

Nichts davon wurde umgesetzt. Das Fritz-Bauer-Institut unterstützte die Herausgabe eines Buches, in dem das postmortale Persönlichkeitsrecht des 1968 unter ungeklärten Umständen verstorbenen hessischen Generalstaatsanwalts ebenso missachtet wird wie sein Wirken als politischer Mensch. Nachdem „Der Tagesspiegel“ im Dezember 2014 in großer Aufmachung den Umgang des Fritz-Bauer-Instituts mit seinem Namensgeber kritisiert und auf diese Unterstützung hingewiesen hatte, zeigte sich Gross wenig im Bilde. Gegenüber dem Deutschlandradio Kultur behauptete er, das Fritz-Bauer-Institut habe den Autor  „überhaupt nie unterstützt“. Dabei erwähnt der Verfasser jenes Buches Raphael Gross in der Danksagung namentlich und hebt die ihm „freundschaftlich gewährte“ Unterstützung durch das Fritz-Bauer-Institut begeistert hervor. (Ronen Steinke, Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht).
Auch bei anderer Gelegenheit zeigte sich der Direktor des Instituts wenig sattelfest. Mit einem Zeitzeugen wollte er nur diskutieren, wenn dieser seine Kritik an dem erwähnten Institutsmitarbeiter öffentlich widerruft und sich öffentlich bei diesem entschuldigt. Gemeint war der inzwischen pensionierte Leiter des Archivs Werner Renz, der eine solche Entschuldigung selbst niemals verlangt und sich auch nie gegen diese Kritik gewehrt hat.

Nun also soll der angeblich CDU-nahe Raphael Gross als Nachfolger des im Streit geschiedenen Vorgängers Alexander Koch die 210  zerstrittenen Mitarbeiter des Deutschen Historischen Museums untereinander versöhnen. Ein gebürtiger Schweizer Präsident des Deutschen Historischen Museums in Berlin - das hat was,  eines Museums, von dem es in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hieß, es sei allzu konservativ ausgerichtet und „ein Fall von Geschichtsvergessenheit“. Tapfer erklärte die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien:  „Ich bin fest überzeugt, dass das Deutsche Historische Museum mit Raphael Gross an der Spitze nachhaltige Akzente setzen wird, museal und im gesellschaftlichen Diskurs.“ Ob es auch eine - wie Monika Grütters formulierte -  „richtungweisende Entscheidung“ war, ihn zu berufen, wird sich zeigen. Hoch genug gestellt kann auch ein kleines Licht weit leuchten.


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