boses lutSerie: DIE KRIMIBESTENLISTE im Februar 2021 , Teil 5

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Nun also der zweite, so eigenenglische Kriminalroman, der im Heute in Cornwall im August spielt. Was dieses Eigene ist, haben wir immer wieder betont: in erster Linie eine Liebe englischer Autoren zur Beschreibung der Abweichungen in Menschen, wodurch sie sich entscheidend von anderen unterscheiden. Das sind heute zwar eine andere Art Menschen als 1491, vor allem nicht so fromm, aber sie sind nicht weniger unorthodox.

Die Autorin? Tja, man muß wohl immer wieder hinzufügen, daß sich hinter dem Pseudonym Robert G. die Autorin der Harry Potters, J.K. Rowling verbirgt. Auch in ihren Kriminalromanen zeigt sie, daß sie erzählen kann. Das ist schon der fünfte Krimi, in dem Cormoran Strike in England Mord und Totschlag untersucht – und nach Irren und Wirren die Schuldigen findet. Bei manchen bestraft sie schon das Leben.

Der 1974 geborene Cormoran Strike war in der Armee hochdekoriert, schied aus und eröffnete eine Privatdetektei in London. Er besucht seine Mutter in Cornwall, wo er aufgewachsen ist, und wird von Margot Bamborough etwas aufdringlich angesprochen, was man dann aber gut verstehen kann: sie bittet ihn nämlich, nein fleht ihn an, ihre in seinem Geburtsjahr, also 1974 verschwundene Mutter endlich zu finden. Das muß man sich mal vorstellen, eine Frau, die in einer belebten Gegend von einer auf die andere Sekunde, Minute, Stunde verschwindet und nie wieder auftaucht. Weder lebendig, aber auch nicht tot.

Höchste Zeit, von Robin Ellacott zu sprechen, einer interessanten Frau, wenngleich sehr duldsam gegenüber dem exzentrischen Cormoran. So ist das mit den Frauen, die insgeheim ihren Geschäftspartner nicht nur beruflich schätzen. Sie führt nämlich mit ihm die Detektei und wird im Lauf des Romans doch auch diejenige, zu der er als einzige Vertrauen faßt. In der Detektei geht es auch sonst rund zu, denn es gibt verschiedene Fälle zu lösen und es ist eine logistische Leistung der Autorin, wie sie die Fälle miteinander verbindet, so daß ein Tableau von Verbrechen vor einem liegt, wo dann wie in einem Puzzle wir Leser und Leserinnen die einzelnen Teile passend zusammenfügen, was natürlich von den Detektiven vorbereitet wurde.

Gemeinsam ist diesen beiden englischen Romanen auch, daß einerseits die Gesellschaftsschichten deutlich von einander abgehoben werden, echte Klassengrenzen, aber gleichzeitig auch wieder die Leute miteinander zu tun bekommen. Der eigentliche Fall, der einem zunehmend übrigens zu Herzen geht, bleibt die Suche nach der Mutter, die Strike erst einmal gar nicht ernst nahm, in deren Verlauf er aber deutliche Hinweise findet, daß da in großem Stile etwas vertuscht wurde. Die Tochter Margot, die mit einer erfolgreichen Rechtsanwältin liiert ist, Geld ist also da, bleibt an Strike dran, der erst einmal auch ihren Vater verdächtigt, der nach dem Trauerjahr sofort das Kindermädchen heiratete. Da kommt also alles mögliche zusammen...

Doch im Kern geht es um die gemeinsame Arztpraxis, in der 1974 Margot die stabile Kraft war und wo unter den Kollegen und den Patienten am ehesten ein Entführer oder Mörder gesucht wird. Aber so viele Jahrzehnte später?

Doch zwischendrinnen sind wir wieder mit Robin zu Weihnachten im Haus ihrer Eltern in dem Dorf auf dem Land, wo auch ihr Ehemann herkommt, mit dem sie in Scheidung lebt, besser: er mit ihr, denn er hat eine Neue und die bekommt ein Kind, was Robin vergeblich versucht hatte. Die Arbeit in der Detektei bleibt aufregend und so kommt der Leser aus dem Staunen nicht heraus, was alles los ist in der Welt und daß, je harmloser etwas erscheint, desto hinterfotziger es ausgehen kann.

Daß auch ein sogenannter Cold Case zu lösen ist, wird zum Hit, doch muß man dazu allerdings Cormorans „kleinen grauen Zellen“ haben, wie wir frech die detektivische Fähigkeit von Agatha Christies Hercule Poirot auf Robert Galbraiths Helden Cormoran übertragen, dabei aber feststellen müssen, daß der erzählerische Aufwand und die Differenzierung und Psychologisierung des literarischen Personals heute auf einer anderen, höheren Ebene läuft. Und literarisch stärker war dann trotzdem noch WESTWIND von Samantha Harvey!

Nach diesem Krimi werden ich einen sechsten Band mit Cormoran Strike mit großem Vergnügen lesen.

FORTSETZUNG FOLGT


KRIMIBESTENLISTE IM FEBRUAR


1 (4) Tim MacGabhann: „Der erste Tote“
Aus dem Englischen von Conny Lösch
Suhrkamp, Berlin 2020
274 Seiten, 15,95 Euro

Poza Rica, Mexiko. Blutiges Erdöl. Der irische Journalist Andrew und der Fotograf Carlos stolpern über einen massakrierten Öko-Aktivisten. Als auch Carlos ermordet wird – von einem Polizisten –, überwindet Andrew seine Angst und recherchiert: Staat und US-Konzerne vereint gegen Natur und Indigene.


2 (10) David Whish-Wilson: „Das große Aufräumen“
Aus dem Englischen von Sven Koch
Suhrkamp, Berlin 2020
327 Seiten, zehn Euro

David Whish-Wilson: „Das große Aufräumen“ (Suhrkamp / Deutschlandradio)
Perth 1983. Ex-Superintendent Swann, jetzt Privatdetektiv, soll dem neuen Premier die unsauberen Wege ebnen. Mit und gegen Bikerklubs, korrupte Polizeibanden, lokale Gangster, Baulöwen und Spindoctors. Swann verfolgt seine eigene Agenda: treu, mit leichten Skrupeln, kompromisslos clever und rau.


3 (6) Samantha Harvey: „Westwind“
Aus dem Englischen von Steffen Jacobs
Atrium, Hamburg 2020
382 Seiten, 22 Euro

„Oakham“, Somerset 1491. Der reichste Mann des ärmsten Dorfes ist tot, der Dekan steckt seine Nase in alle Ritzen, Pfarrer John Reve möchte nicht „Richter und Sheriff“ zugleich sein. Als ließe sich die Zeit zurückdrehen, erzählt Reves Ich vier Tage rückwärts: Scham, (geistige) Armut, Lügen.


4 (2) Dominique Manotti: „Marseille.73“
Aus dem Französischen von Iris Konopik
Ariadne im Argumentverlag, Hamburg 2020
400 Seiten, 23 Euro

Als ein verrückter Araber einen Busfahrer ersticht, legen die Fremdenhasser los. Malek, 16, Berufsschüler, wird niedergeschossen. Commissaire Daquin und sein Team agieren taktisch klug und fast allein gegen Ausländerhass, Mordwut, Verlustangst, Rassisten im Apparat. All das gab es schon in Marseille 1973.


5 (- ) Stephen Hunter: „Im Visier des Snipers“
Aus dem Englischen von Patrick Baumann
Festa-Verlag, Leipzig 2020
592 Seiten, 14,99 Euro

Vier Heroen der Antikriegsbewegung niedergeschossen, Präzisionsarbeit. Ex-Marine Bob Lee Swagger wird vom FBI angeheuert: Nur Scharfschützen können Scharfschützen jagen. Ein legendärer Vietnam-Veteran wird verdächtigt, aber Swagger stellt die wahren Übeltäter und rettet die Ehre seiner Profession.


6 (-) Graham Moore: „Verweigerung“
Übersetzt von André Mumot
Eichborn, Köln 2020
400 Seiten, 22 Euro

Los Angeles. Vor zehn Jahren hat Maya als Jurymitglied verhindert, dass ein Schwarzer wegen Mordes an der 15-jährigen Tochter eines Immobilien-Tycoons verurteilt wurde. Heute ist Maya Anwältin, die alte Jury kommt wieder zusammen. Tot in ihrem Hotel: der Widersacher von damals. Im Zweifel für die Täuschung.


7 (1) Candice Fox: „Dark“
Aus dem Englischen von Andrea O‘Brien
Suhrkamp, Berlin 2020
394 Seiten, 15,95 Euro

Los Angeles. Irgendwo ist die Beute von einem Bankraub versteckt. Aber das spielt erst mal keine Rolle, denn die Tochter der Diebin Sneak ist verschwunden. Vier Frauen – eine Ärztin und verurteilte Mörderin, eine Polizistin, eine Gangsterin und die Mutter – suchen sie. Im Dunkel des Sunshine State. Rabiat.


8 (5) Robert Galbraith: „Böses Blut“
Aus dem Englischen von Wulf Bergner, Christoph Göhler, Kristof Kurz
Blanvalet, München 2020
1194 Seiten, 26 Euro

London, Cornwall. Strike und Robin haben einen Cold Case: Vor 40 Jahren verschwand eine Ärztin. Ein Serienmörder ist verdächtig, jetzt will die Tochter Wahrheit. Ergebnis wie Lösungsweg können Vorurteile Hegenden nicht gefallen. Galbraith seziert Beziehungszwänge. Gekonnt weitschweifige Bösartigkeit.


9 (-) Doug Johnstone: „Der Bruch“
Aus dem Englischen von Jürgen Bürger
Polar, Stuttgart 2021
308 Seiten, 20 Euro

Edinburgh. Tyler, 17, zwischen allen Stühlen. Er sorgt für Schwester Bean, sieben, und Junkie-Mum Angela, hilft Bruder Barry einbrechen. Als Psycho Barry die Frau eines Gangsterbosses absticht, sind auch noch die Bullen hinter ihm her. Brutales Sozialdrama, voller Bitterkeit mit einem Tröpfchen Sentimentalität.


10 (8) Nicci French: „Eine bittere Wahrheit“
Aus dem Englischen von Birgit Moosmüller
C. Bertelsmann, München 2

„Okeham“, England. Tabitha ist in das Dorf ihrer Jugend zurückgekehrt, hat den Lehrer von damals tot im Schuppen gefunden und sitzt jetzt unter Mordanklage in Untersuchungshaft: Depressiv, von Medikamenten benebelt, sich selbst verteidigend ohne Beistand. Psychologisch fein, leise Spannung.020
506 Seiten, 16 Euro


Die Krimibestenliste, wo kann man sie lesen, wer erstellt sie, wo wird sie veröffentlicht?

WO? außerhalb von WELTEXPRESSO
Die Krimibestenliste auf Deutschlandfunk Kultur
www.deutschlandfunkkultur.de

Die Krimibestenliste erscheint  nicht mehr am ersten Sonntag des Monats in der Printausgabe: www.faz.net !!! Die zukünftigen Krimibestenlisten  2021 sind allerdings noch nicht einmal  online verfügbar. In der Vergangenheit veröffentlichte die FAS, die Sonntagszeitung der FAZ, an jedem ersten Sonntag im Monat die jeweilige Liste im Feuilletonteil. Noch einmal im Klartext: Leider gibt es die Liste ab 2021  noch nicht einmal  im FAZ-Internet. Ob die FAZ und FAS wissen, welche Einbuße sie damit bei Krimilesern erfahren? Da muß man froh sein, daß der Deutschlandfunk Kultur die Kriminalromane als anspruchsvolles Genre noch nicht aufgegeben hat, sondern weiterhin jeden ersten Freitag im Monat die neue Liste bringt, die wir sobald wir können, nachveröffentlichen.

An jedem ersten Freitag des Monats geben also 19 Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Die Krimibestenliste war zuvor eine Kooperation der Frankfurter Allgemeinen mit Deutschlandfunk Kultur, der Sender, der nun die Krimibestenliste alleine veröffentlicht und trägt. Das wäre schon für die Regierungskoalition in Sachsen-Anhalt ein wichtiges Argument, den Rundfunkgebühren zuzustimmen.

Die Jury:

Tobias Gohlis, Sprecher der Jury
Volker Albers, „Hamburger Abendblatt“
Andreas Ammer, „Druckfrisch“, ARD
Gunter Blank, „Rolling Stone“
Thekla Dannenberg, „Perlentaucher“
Hanspeter Eggenberger, „Tages-Anzeiger“
Fritz Göttler, „Süddeutsche Zeitung“
Jutta Günther, „Radio Bremen Zwei“
Sonja Hartl, „Zeilenkino“, „Crimemag“, „Deutschlandfunk Kultur“
Hannes Hintermeier, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“
Alf Mayer, „CulturMag“, „Strandgut“
Kolja Mensing, „Deutschlandfunk Kultur“
Marcus Müntefering, „Der Spiegel“
Ulrich Noller, „Deutschlandfunk Kultur“, „Deutschlandfunk“, „SWR“, „WDR“
Frank Rumpel, „SWR“
Ingeborg Sperl, „Der Standard“
Sylvia Staude, „Frankfurter Rundschau“
Jochen Vogt, „NRZ“, „WAZ“

Wie funktioniert die Abstimmung?

Die Krimibestenliste wird im Auftrag von Deutschlandfunk Kultur durch eine Jury aus Kritikerinnen und Kritikern erstellt.

Es sind die obigen 19 Spezialistinnen und Spezialisten für Kriminalliteratur aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, die aus der laufenden Produktion monatlich jeweils vier Titel vorschlagen, die sie mit sieben, fünf, drei oder einem Punkt bewerten.

Der so gefundene Punktwert pro Titel wird mit der Zahl der für ihn abgegebenen Stimmen multipliziert. Daraus wird die monatliche Liste berechnet.

Jedes Jurymitglied darf insgesamt drei Mal für denselben Titel votieren. Voten für Titel, an deren Entstehung oder Vorbereitung man beteiligt war, sind verboten.

Die Titel dürfen nicht älter als zwölf Monate und keine Wiederauflagen, Sammelbände oder Anthologien sein. Unterschiede zwischen Hardcover, Paperback und Taschenbuch werden nicht gemacht.

Im Durchschnitt kommen fünf Titel neu auf die monatliche Liste. Die Ziffer in Klammern gibt den Rang des Vormonats an.
 

Foto:
Cover

Info:
Besprechungen der Krimibestenliste in WELTEXPRESSO  im Dezember 2020
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20678-goetter-und-tiere-von-denise-mina-von-ariadne-weiterhin-auf-platz-
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20679-platz-6-eric-plamondon-mit-taqawan-aus-dem-lenos-verlag
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20680-platz-1-denise-mina-goetter-und-tiere-ariadne-im-argument-verlag
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20735-die-guten-krimis-von-gestern-annas-rendon-steph-cha-u-a
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20733-real-tigers-von-mick-herron-von-diogenes-auf-platz-4
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20894-platz-9-und-10-ungewoehnliche-amerikanische-verbrecher-damals-1919-und-heute


Besprechungen der Krimibestenliste in WELTEXPRESSO im Januar 2021
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20958-dark-von-candice-fox-von-suhrkamp-auf-platz-1
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20962-dominique-manotti-mit-marseille-73-von-ariadne-bleibt-auf-platz-2
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20972-unter-den-ausgeschiedenen-kalmann-von-joachim-b-schmidt
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21031-unter-den-ausgeschiedenen-heisses-blut-von-un-su-kim
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21023-unter-den-ausgeschiedenen-dammbruch-von-robert-brack
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21050-neu-auf-platz-8-nicci-french-mit-eine-bittere-wahrheit


konnten wir noch nicht besprechen, das wollten wir im Zusammenhang mit der Februarliste leisten, aber, siehe Teil 1, leider ist DIE RESIDENTUR einfach weggefallen. Deshalb wird in einem der nächsten Teile  eine Besprechung folgen!

Besprechungen der Krimibestenliste in WELTEXPRESSO im Februar 2021
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21208-tim-macgabhanns-der-erste-tote-von-suhrkamp-auf-platz-1
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21211-tim-macgabhanns-der-erste-tote-von-suhrkamp-auf-platz-2
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21226-dark-von-candice-fox-aus-dem-suhrkamp-verlag-auf-platz-7
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21248-westwind-von-samantha-harvey-im-atrium-verlag-auf-platz-3
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/21249-boeses-blut-von-robert-galbraith-verlag-blanvalet-auf-dem-achten-rang