hoheliedNACHTRAG: OPEN BOOKS . Das städtische Lesefest zur Frankfurter Buchmesse 13. - 17. Oktober, Teil 9 am 14.10.

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ja, was soll man sagen. Im Nachhinein muß man noch stärker herausstellen als damals, wie umsichtig die Verantwortlichen im Kulturdezernat diese Veranstaltungsreihe gestaltet, hier also durchgezogen haben. Im Nachhinein weiß man, daß es die letzte kulturelle Teilhabe des Publikums in Frankfurt war. Gute Gelegenheit, dafür noch einmal danke zu sagen, verbunden mit der Hoffnung, daß die schon angekündigte Buchmesse 2021 tatsächlich stattfinden kann und dann auch OPEN BOOKS unter normalen Bedingungen stattfinden kann!!

Auf jeden Fall hatten wir in acht Artikeln die einzelnen Veranstaltungen teils ausführlich, teils nur rudimentär angekündigt, vgl. die Links unten. Aber wir hatten sie auch besucht, als Redaktion dann aber – es war der große Coronaeinbruch im Herbst – anderes vorgezogen, so daß die Bücher und die Besprechungen ihrer Vorstellung auf Halde lagen. Jetzt, wo es so aussieht, also ob ein neues Kapitel des öffentlichen Lebens wieder aufgeschlagen wird, wollen wie die Vorstellungen der Bücher durch ihre Autoren hier vorstellen. Das wie immer sehr übersichtlich gestaltete Programm hatte an zehn Orten jeweils von Mittwoch 14. bis Samstag 17. Oktober zu drei Terminen: 16, 18 und 20 Uhr.

Wir haben am Eröffnungstag im Ratskeller im Römer alle drei Veranstaltungen besucht. Das war perfekt vorbereitet, mit weit auseinandergestellten Stühlen, so daß in der ersten Reihe nur drei Personen saßen, die natürlich Masken trugen. Die in Bad Belzig bei Berlin lebende amerikanische Autorin Nell Zink brachte so viel frischen Wind auf die Bühne, als ob es schon um das Thema Sonnenschein ginge. Die Moderation hatte Jan Wiele, FAZ, und – von heute kaum mehr vorstellbar – es ging natürlich sehr lange um den der Autorin mächtig peinlichen amerikanischen Noch-Präsidenten, dessen Namen wir nicht mehr in den Mund nehmen und schon gar nicht mehr niederschreiben. Sicher wäre sie heute stolz darauf, daß ein Jo Biden die Ehre des Amtes wiederherstellt. Täglich.

Es geht im aus dem Amerikanischen von Tobias Schnettler übersetzten Buch aus dem Verlag Rowohlt um drei Generationen, es geht um drei Frauen in den USA, von den Achtzigern bis nach Trumps Wahlsieg, der eine Niederlage für diese Familie bedeutet, die sowieso schon durch den 11. September noch mehr als alle anderen Amerikaner gestraft ist. Doch die Autorin holte erst einmal weit aus, denn sie erinnerte an die Musikkultur der Zwanziger Jahre und deren späteren Verfall. Erst in den Fünfzigern und erst recht mit Bob Dylan kam wieder etwas von dem Raumklang wieder, der ihre Generation bestimmte, wobei der Roman der 1969 geborenen Autorin einige Jahre später einsetzt. Wieso sie die Geschichte über 50 Jahre Amerika und über 2-3 Generationen spielen lasse, eine lange Zeitspanne, war eine der Fragen, die für sie leicht zu beantworten waren. Gerade weil der durch Flugzeugattentate erreichte Zusammenbruch der Türme in New York eine politische und gesellschaftliche Lähmung, auch eine Überwachung sowie tiefe Depression auslösten, wollten sie dies einbetten in eine bessere, ja zukunftsträchtige Vergangenheit und eine noch düstere Gegenwart, die zur gesellschaftlichen Teilhabe und Änderung der Verhältnisse zwingt. Was ja dann die Wahlen nach dem Erscheinen des Romans auch eintrat.

Doch wir beginnen mit der glücklichen alten Zeit, die hier die Siebziger sind, wo Pam, Daniel und Joe guter Dinge sind, das ist schon in den Achtzigern in den Tag hineinleben, Musik machen, Liebe auch. Pam und Daniel sind ihren spießigen Eltern entkommen, wobei der religiöse Fundamentalismus in den USA immer eine große Rolle spielt. Sie leben nun in New York, weiß ja jeder, daß man in dieser Stadt nicht schläft, höchstens miteinander. Schon witzig, wie das illegale Wohnen geschildert ist, also Daniel in einem unfertigen Lagerraum über einem Geschäft haust, das aber zwischen ein Uhr nachts und dem Morgen abgeschlossen wird, so daß er entweder nicht aus seiner Wohnung kann oder nicht in sie hinein. Das inzwischen zum Paar gewordene Duo tun sich mit Joe zusammen und gründen eine Punkband. Die hat nichts anderes im Sinn, als sich und anderen möglichst angenehm und auch laut die Zeit zu vertreiben, soll sagen eine hedonistische Angelegenheit, keine gesellschaftsverändernde. Bei Joe kommt zudem eine Krankheit ins Spiel, das Williams-Syndrom, die sich aber positiv auswirkt, denn er sieht das Leben durch eine rosa getönte Brille und so kommen Leben und Leute auch auf ihn zurück! Er lebt glücklich, mehr als zufrieden, wird sogar ein Popstar!

Doch dann kommt‘s Dicke, für unseren Geschmack zu dick! Der 11. September bringt auch eine persönliche Tragödie mit sich. Joe, der sonst gar kein Rauschgift nimmt, konsumiert eine Überdosis Heroin und stirbt. Hilflos bringen Pam und Daniel ihre inzwischen geborene Tochter Flora nach Washington, zur Familie von Pam, die ja doch einst diesen Verhältnissen entfloh, die sie nun als Sicherheit für ihre Tochter sieht. Die wird übrigens eine vernünftige junge Frau, die nach Afrika geht, bei den Grünen politisch arbeitet..Lesen Sie selber weiter. Es geht weiter.

So ein Buchinhalt läßt sich leichter wiedergeben als ein interessantes Gespräch, zu dem dieser Autorennachmittag wurde. Nachvollziehbar, wenn die Autorin über die 90er Jahre in New York Aufregendes berichtet. So war es auch. Aber dies New York war nicht erst mit Corona und Trump vorbei, und der Einsturz der Türme war nur die äußere Tatsache, die den Verfall einer lebendigen Stadt aus übergeordneten, vor allem ökonomischen Gründen beschleunigte. Nein, Nell Zink beschwört nicht eine gute alte Zeit, sondern sie erzählt, was in dieser damals möglich war, wo man Träumen nachhängen konnte und trotzdem überlebte. Das hat nichts Nostalgisches an sich, oder doch nur sehr wenig, sondern ist aufregend von heute her, wo ein solches Vor sich Hinleben, in Ruhe und Einfalt und Musik und kaum Geld wirklich möglich war.

Typisch übrigens, daß im Gespräch dem Gen-Defekt großer Raum galt, was ganz im Interesse des Publikums war. Dieses Williams-Syndrom bewirkt auf der einen Seite ein fast fahrlässiges Vertrauen in andere Menschen, es fehlt also an Überblick über Gefahren sächlicher und persönlicher Natur, aber gerade diese Harmlosigkeit des Fühlens und des Langsam-von-Begriff-Seins bringt auf der anderen Seite eine große musikalische Begabung mit sich, der keine Grenzen gesetzt sind. Und so wird Joe mit der Band zum Mittelpunkt der Gruppe. Wie es dann mit den Frauen, will sagen, seinen Lieben aussieht, steht wieder auf einem anderen Kapitel. Das, wir schlugen es ja schon vor, können Sie selber lesen.

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Info:
Das Lesefest OPEN BOOKS findet unter Einhaltung der Gesundheits- und Hygieneauflagen statt. Um sicher zu gehen, dass die Platzkapazitäten gewahrt bleiben und im Zweifelsfall die Nachverfolgung der Daten möglich ist, müssen die Besucherinnen und Besucher sich in diesem Jahr Tickets gegen eine Servicegebühr in Höhe von 1,50 Euro vorab buchen. Der Buchung ist je nach Verfügbarkeit bis 12 Uhr am Veranstaltungstag möglich. Im Fall von OPEN BOOKS Kids trägt der Veranstalter diese Umlage. Der Ticketanbieter ist AD Ticket.

Das gesamte Programm und die Hinweise auf Orte, Zeiten und Tickets finden sich auf www.openbooks-frankfurt.de. Dort findet sich auch eine Mediathek. Gestreamt werden die Lesungen im Haus am Dom, in der Evangelischen Akademie Frankfurt sowie die Eröffnung mit dem Blauen Sofa und die Lesung mit Katja Ebstein im Ignatz-Bubis-Gemeindezentrum der Jüdischen Gemeinde Frankfurt.

Das war der erste Artikel: https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20054-open-books_544
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20055-von-13-bis-18-oktober-steht-frankfurt-im-zeichen-des-buches_544
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20056-zahlen-verlage-orte_544
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20136-nell-zink-60-kilo-sonnenschein-und-die-krimis-am-mittwoch
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20161-christian-berkel-und-kathrin-roeggla
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20177-susan-sontags-biographie
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20178-kristof-magnussons-vergnuegliche-kunstsatire-ein-mann-der-kunst
Das der damals achte Artikel zu den Veranstaltungen und gleichzeitig der sechste Artikel zum Schweizer Buchpreis, weil die hier Nominierten in Frankfurt lasen: : https://weltexpresso.de/index.php/buecher/20421-tom-kummer-und-karl-ruehmann
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/22243-das-hohe-lied-von-nell-zink