Helena Marten „Der Zitronengarten“ im Restaurant KASTANIE in Fechenheim, Teil 2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wie schön ist Fechenheim! Das ist die größte Überraschung, wenn man aus der Stadt zur Lesung in den östlichen Vorort Frankfurts kommt, den man als Einheimischer mit Arbeiterwohnsiedlungen und dicht befahrener Hanauer Landstraße mit Großbetrieben assoziiert. Doch mit der Straßenbahn Nr. 11 sind wir noch vor der Endhaltestelle mitten im Grünen am Mainufer!
Den Main sieht man zwar wegen des Grüns kaum, so dicht bewachsen ist das Ufer, aber es tritt schlagartig mit der niedrigen Bebauung eine ländliche, anheimelnde Atmosphäre ein, die sich durch schmale Sträßlein Alt-Fechenheims fortsetzt, bis man 3. Straße rechts, dann gleich links in der Leinwebergasse in den Garten des Restaurants Kastanie fast hineinfällt und sofort hinschmilzt angesichts der Cellotöne, die Susanne Hirsch zu Beginn und zwischen den Leseabschnitten mit Scarlatti, Vivaldi, auch Bach ins Gemüt tröpfeln läßt. Dies wird an diesem warmen Sommerabend unterstützt durch diesen Hof, dessen umliegende roten Ziegelmauern durch satten Efeu als grüne, nein, nicht Hölle, sondern Himmel erscheint.
Zufriedene Gesichter sieht man also auch an den Tischen, wo ein Großteil der zur Lesung Gekommenen erst einmal das Restaurantangebot nutzten und beispielsweise riesengroße Schnitzel aßen. Und Wein goutieren, natürlich auch Äppelwoi oder Gespritzten. Geduldig warten die beiden Autorinnen, die vor der Efeuwand den Gästen gegenüber am länglichen Tisch Platz haben, bis jeder bedient ist. Das weiß hier schon jeder, daß die Verfasserin von DER ZITRONENGARTEN, Helena Marten, aus den beiden besteht: aus der blonden Susanne Van Volxem, Lektorin und Übersetzerin und der brünetten Bettina Querfurth, Literaturagentin und Sachbuchautorin. Erstens ist das nicht die erste Lesung der beiden in Fechenheim und zweitens wohnt eine von ihnen hier.
Bettina Querfurth beginnt gleich mit der ersten Seite und in den nächsten eineinhalb Stunden lernen wir nicht nur die Geschichte um Luisa Montanari und ihrer Familie in Frankfurt und Italien im Jahr 1764 kennen, sondern lernen auch eine Menge darüber, wie man eine Lesung spannend hält. „Luisa spürte, wie eine kalte Hand ihr Herz zusammendrückte. Das konnte nicht sein“, beginnt die Schilderung der Testamentseröffnung am 5. Januar des Jahres 1764, die Susanne Van Volxem dann mit den Testamentszitaten würzt. Da ist allerhand los, was der verehrte Patron und geliebte Vater Domenico Montanari, der aus Italien kommend hier heimisch wurde, mit diesem Testament angerichtet hat. Und da wir mitlesen, erkennen wir, daß die Vorlesende manchen Abschnitt wegläßt, der für die Handlung gerade nicht wichtig ist, aber uns immer die geschichtlichen Hintergründe liefert, von denen wir keine Ahnung hatten und die anderen Zuhörer auch nicht, wie sich in der anschließenden Fragerunde herausstellt.
Luisa erbt nämlich zusammen mit einer italienischen Stiefschwester, von deren Existenz sie keine Ahnung hatte, die Mühle am Urselbach in Niederursel. Das ist vor Oberursel Richtung Taunus. Luisa liebt diese ehemalige Papiermühle. „Zumal letztlich nur sie den Montanaris wirklich gehörte, denn Italiener konnten als Nicht-Lutheraner innerhalb Frankfurts Grundbesitz nur pachten, aber nicht erwerben.“ (Seite 12) Aha!! Die Mühle aber liegt außerhalb der damaligen Stadt. Bis zum Kapitelende auf Seite 17 bleiben wir in Frankfurt. Die anschließenden Ereignisse auf Sardinien, Frankfurt und Italien werden kurz zusammengefasst – der hochnäsige Cousin Pier Luigi kommt aus Italien nach Frankfurt und die Firma wird heruntergewirtschaftet - und weiter geht es auf Seite 93 in Frankfurt im September 1674.
„Von draußen ertönte lautes Geschrei. Es hörte sich an wie das Gezeter zweier Marktfrauen auf dem Fischmarkt an der Porta Nolana in Neapel“ Und richtig beim Weiterlesen sind wir Zeuge des Auftritts der schlagfertigen und schlagkräftigen Halbschwester Francesca, über die nur Luisa überrascht ist, denn Mutter Sigrid wußte längst von deren Existenz. Die Geschichte nimmt ihren Lauf und, unterbrochen von den Cellotönen – über die Flugzeuge schweigen wir - und den Zusammenfassungen von den Autorinnen, sind wir schon auf Seite 230 des 510 Seiten starken Romans, der übrigens ein schönes Titelbild hat: Zitronen im Zitronenkörbchen – und das im Vordertaunus.
Jetzt geht die impulsive Francesca in sich und erkennt, daß sie sich in ihrer Schwester Luisa schwer getäuscht hat. Diese war nicht Teil der Intrige gegen sie und hat nichts mit der Verschleppung ihrer kleinen Tochter Graziella zu tun, die auf dem Main in den Kahn gezerrt treibt „Graziella, Deine mamma lässt dich nicht im Stich!“, schrie sie aus Leibeskräften.“ Und mitten in der spannenden Szene ist es dann aus mit der Lesung. Aus gutem Grund. Die Leute sollen ja doch die Bücher, die aus dem heimischen Buchladen „Bücher vor Ort“ hier auf einem Extratisch warten, kaufen und noch genug Neugierde auf die Fortsetzung der Geschichte haben. Gerne und reichlich wird das Buch erworben, zumal die beiden Autorinnen die Exemplare signieren.
Zuvor allerdings gab's eine spannende Fragerunde, die sich von den gewählten Namen bis zu historischen Vorlagen für diese Geschichte spannte. Zwei Jahr haben beide daran geschrieben, wobei das Team erst länger das gesamte Konzept diskutiert, dann die Anteile verteilt. Das, was die eine schreibt, bekommt die andere zur Korrektur und umgekehrt. Dabei geht’s manchmal schon heiß her, sagen beide, die sich aber immer einigen können. Schließlich hat auch noch die Lektorin des Verlages ein Wort mitzureden, die beide sehr ernst nehmen und ihrem fachkundigen Rat folgen, selbst dann, wenn sie alles umschmeißt und sogar ganze Kapitel in Frage stehen.
Da die beiden aber intensive Recherche betreiben, sowohl im Handlungsort Frankfurt wie auch in Italien, gibt es hieran wenig zu ändern. Über die Italiener in Frankfurt gibt es so viele historistische Details, daß diese absolut inspirierend wirkten, beteuern die beiden. Sie wollen die Zeit in unserer Vorstellung entstehen lassen, wahrnehmbar machen, wie die Leute damals gelebt haben. Bei allen potentiellen verlegerischen Einsprachen: Eine Voraussetzung des Buches darf allerdings für die beiden Schreiberinnen nicht angetastet werden: ein Happy End muß her! Das nämlich wollen auch die Leser, die mehrheitlich Leserinnen sind!
Uns hat diese Mischung aus weiter Welt und nahem Frankfurt hier im Fechenheimer Idyll gefallen und wir werden die beiden uns bisher unbekannten Bücher von Helena Marten aus dem Diana Verlag sicher noch lesen: DIE KAFFEEMEISTERIN und DIE PORZELLANMALERIN.
P.S. Susanne Von Volxem und Bettina Querfurth verwiesen im Zusammenhang mit dem gelungenen ästhetischen und emotionalen Erleben einer bestimmten historischen Zeit auf den schönen Film von Dominik Graf, der heute in die Kinos kommt, die Verfilmung der Liebe zu dritt, als der junge Friedrich Schiller in Thüringen die beiden Schwestern Caroline und Charlotte von Lengefeld kennenlernt und die eine heiratet, beide aber liebt. Das ist wirklich geradezu ein Sommerfilm, leicht und lehrreich zugleich, heiter und traurig, wie das Leben so ist, wenn man sich selbst nicht ins Kämmerlein einsperrt. Zufällig läuft der Film DIE GELIEBTEN SCHWESTERN am heutigen Tag in den Kinos an, was Sie unserer Filmbesprechung entnehmen können.
Hier erst einmal die Verweise auf Teil 1 des Zitronengartens und auf unsere Besprechung des Films anläßlich der Berlinale:
http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/3215-heute-lesung-mit-den-autorinnen
http://weltexpresso.tj87.de/index.php/kino/2527-die-geliebten-schwestern
Foto: Unser Bild zeigt den Einzug des Kaisers Joseph II. zur Krönung in Frankfurt im Jahre 1764. Dies Ereignis kommt auch im Roman vor!