KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT und NordwestRadio  für April 2012 



Elisabeth Römer 

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Daß uns dieser vierte Platz so viel wert ist, daß er sogar die Überschrift einnimmt, ist zwar nicht nett, gegenüber dem Ersten, aber angesagt. Wir nämlich können diese Entscheidung nicht verstehen, denn als im letzten Monat der neue Vargas auf Platz 8 kam, da war klar, daß noch nicht alle ihn gelesen hatten und er noch nicht soviel Stimmen hatte. Alle letzten Vargasromane waren berechtigt auf Platz Eins und dieser dünkt uns noch skurriler, noch phantastischer, noch leichter und gleichzeitig tiefer als die anderen. Wir hätten also gerne eine Erklärung, aber die liefert die Jury nicht ab. Sie erstellt die KrimiZeit-Bestenliste. Das ist auch schon was.

 

Und wir sind wieder einmal kalt erwischt worden. Denn es gibt tatsächlich fünf Neuplazierte, von denen wir noch keinen kennen. Aber dafür haben wir die Neuen vom letzten Mal, die auf der Liste überlebten, gelesen und für gut befunden. Dazu gleich mehr. Erst einmal Platz 1. Der wird diesmal eingenommen von Donald Ray Pollock aus dem Liebeskind Verlag, der vom dritten Platz hochrutschte. Es geht um ein Romandebüt, das einen wahren Höllenritt durch die USA der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufzeigt, in dem es fast unmöglich wird, unter religiösen Fanatikern, Serienmördern und Vergewaltigern ein anständiges Leben zu führen.

 

Auf Platz 2 vom 5. Rang ist Oliver Harris geklettert mit LONDON KILLING aus dem Blessing-Verlag. Das ist nun ein Krimi, bei dem man erst einmal gar nicht weiß, ob man auf den Arm genommen wird. Harris führt uns in kurzen Sätzen und einem Buch voller Dialoge in eine verrückte Situation ein. In Hampstead , nördlich von London für die wirklich Reichen, geht’s mit Detective Nick Belsey endgültig zu Ende. Er wacht auf, ohne Handy und Kreditkarte, hat dafür ein Polizeiauto kaputtgefahren und kann sich an nichts erinnern. Dennoch macht er seine Arbeit und hört auf den Ruf einer Haushälterin, die angibt, daß ihr Chef verschwunden sei. Dies ist der russische Geschäftsmann Alexei Devereux, der einen Abschiedsbrief hinterlassen hat, aber keinen Leichnam.

 

Nun hat Belsey kein Dach überm Kopf, was liegt näher als in der Protz-Villa des Russen zu nächtigen, ja dann einzuziehen, mit den Kreditkarten zu tricksen – auf einer sind 50 000 – und zu sehen, was passiert. Gleichzeitig verfolgt er aber auch die Wege, die der Russe ging, um herauszubekommen, was losgewesen sein könnte und wo er ihn finden könnte. Kurzum, gefährlich wird es, als auch ein anderer sich als Doppelgänger des Verschwundenen ausweist. Jetzt muß er eins drauflegen, Belsey, der laut seines Inspectors der beste Detective seines Reviers ist, kommt in die größten Schwierigkeiten, die er mit, ja mit was...auf jeden Fall zeigt der überraschende Schluß einen durchgehend kaltschnäuzigen Kerl, auf dessen Seite wir gleichwohl stehen.

 

Auf Platz 3, uns noch unbekannt, Oliver Bottini mit DER KALTE TRAUM aus dem Dumont Verlag. Auf dem 4. Platz dann Fred Vargas mit DIE NACHT DES ZORNS. Die französische Archäologin, die gerne Krimikönigin genannt wird – nein, nicht sie hat es gerne, sondern ihre Leserschaft, arbeitet mit den Methoden der Archäologie ihre Fälle auf, besser läßt sie das Kommissar Adamsberg machen, diesen seltene Exemplar von einem völlig ungewöhnlichen Menschen, der allerdings in einer Dienststelle in Paris arbeitet, wo einer so sonderlich ist wie der andere. Durchaus in gutem Sinne, aber eben abseits der Norm, wie man sich Polizeireviere vorstellt. Wir hatten dies Buch schon vorgestellt, weshalb wir auf die Artikel verweisen, die unten als Link stehen.

 

Auf Platz 5 ist Arne Dahl gerutscht, der beim letzten Mal noch den zweiten Rang einnahm. Das sind für uns immer diese sonderbaren Vorgänge, wenn Personen zurückgestuft werden, andere hochgestuft, wie es diesmal mit Harris und Dahl passierte, die die Plätze tauschten.

 

Auf Platz 6 ist neu Andrea Maria Schenkel mit FINSTERAU, diesmal aus dem Hoffmann und Campe Verlag. Ihre bisherigen Krimis lehrten einen das Fürchten, über diesen das nächste Mal. Das Gleiche gilt für die nächsten zwei: Tapani Bagge, SCHWARZER HIMMEL, aus dem Suhrkamp Verlag und Bernhard Jaumann mit STEINLAND, erschienen bei Kindler, d.h. Rowohlt. Auch neu ist auf dem 10. Rang der schon bekannte und geehrte Giancarlo de Cataldo/Mimmo Rafele mit ZEIT DER WUT, erschienen im Verlag Folio. De Cataldos Bücher sind hochpolitisch, gleichzeitig Gesellschaftsstudien über Italien. Wahrscheinlich hat der Verlag jetzt nach und nach seine Krimis übersetzt, denn sie erschienen in kurzen Abständen.

 

Bleibt noch Georg M. Oswald mit UNTER FEINDEN aus dem Piper Verlag, ein Krimi, der in München spielt, worüber wir das nächste Mal mehr wissen.

 

KrimiZeitdieBestenlistevonZEITundNordwestRadio04/2012

 

lfd.

Nr.

Rang

Vor-monat

Titel

1

1

(3)

Donald Ray Pollock: Das Handwerk des Teufels

Aus dem Englischen von Peter Torberg

Liebeskind, 304 S., 19,80 €

Meade, Ohio/Coal Creek, West Virginia. Mit 10 hungert und betet Arvin Russell gegen das Sterben seiner Mutter an. Mit 18 hat er vier Menschen erschossen. Dann haben ein Vergewaltiger, zwei Serienmörder, ein mörderischer Sheriff und ein Prediger-Paar seinen Weg gekreuzt. Wüstes, grandioses Romandebüt.

2

2

(5)

Oliver Harris: London Killing

Aus dem Englischen von Wolfgang Müller

Blessing, 480 S., 19,95 €

London Hampstead. Als Detective Belsey das Haus eines russischen Oligarchen leer findet, ergreift er die Chance, sein beschissenes Leben zu ändern. Er übernimmt Auto, Haus und Kreditkarte. Und die Feinde des Milliardärs. Rasantes Debüt. Oliver Harris gewinnt dem British Noir unverfrorene Heiterkeit ab.

3

3

(-)

Oliver Bottini: Der kalte Traum

Dumont, 448 S., 18,99 €

Rottweil/Berlin/Kroatien. 15 Jahre, nachdem Thomas Ćavar in Bosnien gefallen ist, wird er gesucht. Vom kroatischen Geheimdienst, von der deutschen Polizei und einer Journalistin. Thomas, aufgewachsen in Rottweil, wollte 1995 die kroatische Heimat retten. Kluger, starker politischer Roman. Nah an den Tatsachen: Kriegsverbrechen und Folgen.

4

4

(8)

Fred Vargas: Die Nacht des Zorns

Aus dem Französischen von Waltraud Schwarze

Aufbau, 454 S., 22,99 €

Paris/Normandie. In Ordebec wurde „Die Wilde Jagd“ gesehen. In der Horde: vier Männer aus dem Dorf. Todgeweiht? Kommissar Adamsberg, genervt vom Mord an einem Finanzmagnaten, folgt fasziniert normannischen Mythen, Ängsten, Intrigen. Nach drei Jahren Abstinenz: der neue Polar Poétique von Vargas.

5

5

(2)

Arne Dahl: Gier

Aus dem Schwedischen von Antje Rieck-Blankenburg

Piper, 512 S., 16,99 €

Den Haag/Riga/London/Stockholm. Opcop – streng geheim ist die neue operative Truppe von Europol. Ist sie den Verbrechen von heute gewachsen? Umweltverseuchung, Finanzspekulation, Kinderhandel, koordiniert mit Geld und Macht der Mafia. Ganze Staaten usurpiert. Dahl stellt sich globalen Aufgaben. Wie keiner.

6

6

(-)

Andrea Maria Schenkel: Finsterau

Hoffmann und Campe, 126 S., 16,99 €

Finsterau, Oberpfalz, 1947. Afras Aufbruch ist gescheitert. Mit einem Kind von einem französischen Zwangsarbeiter musste sie zurück zu den Eltern. Ihr Vater wird verhaftet, als man Mutter und Kind erschlagen findet. Gewalt, Armut, Nachkriegszeit. In Ton und Handlung Anklänge an Tannöd, Schenkels großen Erfolg.

7

7

(-)

Tapani Bagge: Schwarzer Himmel

Aus dem Finnischen von Stefan Moster

Suhrkamp, 272 S., 8,99 €

Södertälje/Hämeenlinna. Coup 1 geht in die Luft: Eine Windhose schleudert Erno, Komplizen und geraubte Millionen in Schwedens Himmel. Der ist auch in Finnland schwarz. Mit einer Gang alter Jugendfreunde plant Erno Revanche am Schicksal. Noir-Groteske über die Tücken des Gangsterlebens.

8

8

(-)

Bernhard Jaumann: Steinland

Kindler, 320 S., 19,95 €

Windhoek/Karibib. Auf Steinland wurde der Farmer erschossen, der Sohn entführt. Chief Inspector Clemencia Garises in der Klemme: Unter den Gangstern aus der Township war ihr Bruder. Im Hintergrund der Klassenkampf um Landbesitz. Ein brisanter Fall: Wird Namibia ein zweites Simbabwe?

9

9

(4)

Georg M. Oswald: Unter Feinden

Piper, 256 S., 19,99 €

München. Zwei Komissare in der Klemme. Diller ist solide, Kessel Junkie. Kessel überfährt einen Dealer, Erpressung folgt. Diller will ihn und sich schützen im Trubel der Schutzmaßnahmen für die internationale Sicherheitskonferenz. Weit planende arabische Rächer gegen kleine deutsche Polizisten.

10

10

(-)

Giancarlo de Cataldo/Mimmo Rafele: Zeit der Wut

Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl

Folio, 244 S., 22,90 €

Rom, Vorspiel in Kroatien. Krieg zweier Fraktionen im Staatsapparat. Filmisch schnelle Szenen: Lupo jagt Mörder seines Freundes Dantini, den „Kommandanten“, seine Spezialtruppe und die Mächtigen dahinter. Zwischen den Fronten der junge Marco, voller Wut. Italienische Schattenkämpfe: blutig duster.

 

 

 

Info:

Rund 1200 neue Kriminalromane erscheinen pro Jahr in Deutschland. Selbst ausgefuchste Leser verlieren angesichts dieser Masse den Überblick. Orientierung bietet aktuell die Januar Ausgabe der KrimiZeit-Bestenliste von ZEIT und NordwestRadio. 

Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht, immer am ersten Donnerstag des Monats. 

Vorgestellt wird sie

In den Literatursendungen des NordwestRadio ab 5.4.( mit Tobias Gohlis)

http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html unter www.zeit.de mit Kurzrezensionen der Juroren, Kommentaren des Jurysprechers („What’s New?“) und weiteren Informationen zu Büchern und Autoren („Krimiautoren A-Z“)

 in der Wochenzeitung DIE ZEIT am 4.4..2012

 

Monatlich wählen sechzehn auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt über 1200 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.

 

 Die Jury setzt sich zusammen aus: 

Tobias Gohlis, Hamburg, Kolumnist DIE ZEIT, Moderator und Jury-Sprecher der KrimiWelt Volker Albers, Hamburg, Hamburger Abendblatt, Herausgeber „Schwarze Hefte“
Andreas Ammer, Berg, „Druckfrisch“, Dlf, BR
Fritz Göttler, München, Süddeutsche Zeitung
Michaela Grom, Heidelberg, SWR
Lore Kleinert, Bremen, Radio Bremen
Thomas Klingenmaier, Stuttgart, Stuttgarter Zeitung
Kolja Mensing, Berlin, Tagesspiegel
Ulrich Noller, Köln, Deutsche Welle, WDR
Jan Christian Schmidt, Berlin, Kaliber 38
Margarete v. Schwarzkopf, Köln, NDR
Ingeborg Sperl, Wien, Der Standard
Sylvia Staude, Frankfurt/M., Frankfurter Rundschau

Jochen Vogt, Elder Critic, NRZ, WAZ
Hendrik Werner, Bremen, Weser-Kurier
Thomas Wörtche, Berlin, Kolumnist, Plärrer , culturmag, DRadioKultur

 

In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie unter Kultur. Bücher oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Viermal darf inzwischen ein Buch einen Platz bekommen, dann scheidet es aus und hat nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die Ende Dezember herauskommt und die wir für 2011 ebenfalls kommentierten. 

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/312-bester-kriminalroman-des-jahres-wird-qroter-glamourq-von-ariadne-im-argument-verlag

Die Einzelbesprechungen zu Fred Vargas:

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/546-wir-sind-suechtig

http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/547-mehr-vom-skurrilen-personal



www.zeit.de/krimizeit-bestenliste