KrimiZEIT-Bestenliste in ZEIT und NordwestRadio für Juli 2012, Teil 1
Elisabeth Römer
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Gerade erst erschienen und schon auf Platz 1 ist der neue Woodrell, ein Autor, der in guter Erinnerung mit WINTERS KNOCHEN ist. Schon damals im letzten Jahr wurde Woodrells Erzählton und Erzählgestus als „Country Noir“ bezeichnet, was wohl die lakonische und hartgesottene Welt der Großstädte aufs Land überträgt. Uns sind solche Vergleiche nicht so wichtig, wie das Gebanntsein beim Lesen. Vom neuen Buch DER TOD VON MISTER SWEET, erschienen bei Liebeskind, kennen auch wir nur erst den Inhalt, der dem 13jährigen Shug, dick und seine Mutter verehrend, beim Größerwerden zusieht, auf seinem Weg liegen seine schöne Mutter Glenda und der schreckliche Stiefvater Red. Mehr demnächst.
Die Nummer zwei bleibt für TAGE DES BÖSEN von C. Bertelsmann reserviert, wo Peter Temple ein tolles dreieickiges Szenario zwischen Johannesburg, Hamburg und London errichtet, das einen zunehmend in Bann schlägt, wobei sich erst am Ende – so soll es in Krimis auch sein – die Fäden bündeln und man die Zusammenhänge erkennt. Mehr davon gab es in unseren letztmonatlichen Besprechungen.
Auch Don Winslow bleibt mit DIE SPRACHE DES FEUERS aus dem Suhrkamp Verlag auf seinem vierten Rang. Auch dieses Buch hatten wir gewürdigt. Es ist ein schreckliches Verbrechen, das er kühl und eisern aufklärt, wo doch die Reichen und Mächtigen alles getan haben, daß es unaufgeklärt bleibt. Uns gefallen immer Krimis, wo die Denkkanäle des Detectives die Verbrecher kreativ entlarven und es nicht so sehr um forensische Ergebnisse geht, die natürlich auch hier das Ganze untermauern helfen, was aber im Kern psychologische Hintergründe hat.
Michael Robotham ist mit DER INSIDER vom Goldmann Verlag vom neunten auf den sechsten Rang vorgeprescht. Auch hier sind es zwei Standorte und Erzählstränge: Irak und London, die am Schluß in London zusammenlaufen. Uns hat irgendwie die Londoner Geschichte mehr angemacht, denn da hat es Robotham geschafft, mit der eigentlich asozialen jungen Heldin Holly Knight – nomen est omen – eine richtige Sympathieträgerin zu kreieren, die als Trickbetrügerin mit allen Wassern gewaschen ist. Der Trick des Robotham ist es nun, unser Herz für diese Abenteurerin zu erwärmen und ihr durch ihre Rettungspfade durch Londons Dickicht alles Gute zu wünschen. So geht es auch dem Ex-Polizisten Ruiz, der doch irgendwie durch seine eigenen Kriminalfälle stolpert und wie wenige Glück hat, daß ihn dennoch die vernachlässigte Tochter lieb behält. Dieser Ruiz ist so einer, der einem wie das Kind vorkommt, dessen Mutter doch eigentlich seine Tochter ist.
Aber eigentlich geht es um das große Geld, das in der Welt verschoben wird, wobei der Bankenplatz London eine besondere Rolle, eine besonders üble Rolle spielt. Ganz eigentlich dann geht es aber um Politik und Geschäft, wie der Irak als Beispiel die Geldbetrügerei möglich macht und die Machenschaften von allen gedeckt werden, die dafür bezahlt werden. Wir müssen ein andermal tiefer eindringen in diese Kriminalromane heutiger Lesart, die nicht so sehr als Psychothriller denn Wirtschafts-Politik-Thriller daherkommen, ohne so bezeichnet zu werden. Vergleichbar also hier mit Peter Temples TAGE DES BÖSEN, wobei dieser doch tiefer eindringt in das Land, woher das Unglück rührt: hier Südafrika und Afrika. Dagegen ist der Irak dann doch eher als Beispiel für die Art des Geschäftemachens im Buch DER INSIDER aufbereitet und die Liebe des Autors gilt dem kosmopolitischen London, wo er sich gut auskennt, wir aber auch.
Fred Vargas mit DIE NACHT DES ZORNS aus dem Aufbau-Verlag ist noch dabei? Wir dachten, die drei-viermal des Benennens sind schon herum. Sie bleibt unser Favorit, wir sind aber einverstanden, daß andere auch eine Chance erhalten. Dann haben wir uns erkundigt. Sie ist sogar schon das fünfte Mal dabei. Eine Ausnahme. Aber eigentlich tut das nicht gut, denn sie wird von einem Sockel gestürzt, der ihr zusteht, aber – wie wir meinen – dreimal ist generell genug oder auch viermal. Fünfmal ist zu viel. Tip: Es gibt ja auch noch den Krimi des Jahres! Fortsetzung im 2. Teil.
DieKrimiZEIT-BestenlisteJuli2012
Lfd. Nr. |
Rang |
Vor-monat |
Titel |
1 |
1 |
(-) |
Daniel Woodrell: Der Tod von Sweet Mister Aus dem Englischen von Peter Torberg Liebeskind, 192 S., 16,90 € West Table, Ozarks, Missouri. Shug ist 13, dick und betet seine Mom Glenda an. Shug ist ihr „Sweet Mister“. Stiefvater Red klaut, dealt, prügelt. Proll-Family vor der Implosion. Shug wird älter, klug und härter. Sein Tag kommt. Woodrells Country Noir: Kein Sonnenstrahl gelangt zwischen die Zeilen, pure Sprachgewalt. |
2 |
2 |
(2) |
Peter Temple: Tage des Bösen Aus dem Englischen von Sigrun Zühlke C. Bertelsmann, 432 S., 14,99 € Hamburg/London/Johannesburg. Beim Versuch, ein Video mit einer Massakerszene zu verkaufen, gerät Bodyguard Niemand ins Visier der Täter. Datenhändler Anselm soll ihn schnappen helfen - und stößt auf das Trauma der eigenen Biografie. Rasant, komplex: Meisternarrativ über Verdeckung, geheime Kriege und Spionage vor 9/11. |
3 |
3 |
(-) |
Sara Gran: Die Stadt der Toten Aus dem Englischen von Eva Bonné Droemer, 368 S., 14,99 € New Orleans, 2007. Staatsanwalt Vic Willing ist im Katrina-Chaos verschwunden. Claire de Witt, beste Privatdetektivin der Welt, klärt auf: mit Scharfblick, Drugs, Träumen und Jacques Silettes mythischer Detektiv-Bibel. Happy End gibt’s nicht, nicht in New Orleans. Rausch + Klarheit = Gran. Unglaublich gut. |
4 |
4 |
(4) |
Don Winslow: Die Sprache des Feuers Aus dem Englischen von Chris Hirte Suhrkamp, 419 S., 14,99 € Dana Point 1997. Brandschadenregulierer Jack Wade weiß, dass Immobilienhai Nick Vale seine Frau Pamela verbrannt hat. Er muss es nur beweisen. Auf dem Spiel steht der letzte unberührte Strand im Süden. Harter Fight zwischen dem alten Kalifornien und der Gier-und-Gang-Moderne. Bravourös. |
5 |
5 |
(-) |
Tana French: Schattenstill Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann Scherz, 732 S., 16.99 € Dublin. Zwei Kinder erstickt, Vater erstochen, Mutter lebensbedrohlich verletzt. Familiendrama, Eifersuchtsmord, soziale Ausweglosigkeit? Detective Kennedy glaubt sich seiner Methoden sicher. Bis die Selbstgewissheit auf schieren Wahnsinn trifft. „Auch ein Guter kann zerbrechen.“ |
6 |
6 |
(9) |
Michael Robotham: Der Insider Aus dem Englischen von Kristian Lutze Goldmann, 540 S., 14,99 € Irak/London. Immer dem Geld nach! Im Irak haben Bankräuber Milliarden Dollar Aufbauhilfe beiseite geschafft. Zu wem? Wer deckt sie? Ein Journalist im Irak bohrt nach. Derweil rettet Ex-DI Ruiz Trickbetrügerin Holly Knight vor MI6/CIA. Exzellent. Böse Realität nur leicht fiktionalisiert. Robotham: Weltklasse! |
7 |
7 |
(1) |
Fred Vargas: Die Nacht des Zorns Aus dem Französischen von Waltraud Schwarze Aufbau, 454 S., 22,99 € Paris/Normandie. In Ordebec wurde „Die Wilde Jagd“ gesehen. In der Horde: vier Männer aus dem Dorf. Todgeweiht? Kommissar Adamsberg, genervt vom Mord an einem Finanzmagnaten, folgt fasziniert normannischen Mythen, Ängsten, Intrigen. Nach drei Jahren Abstinenz: der neue Polar Poétique von Vargas. |
8 |
(-) |
George Pelecanos: Ein schmutziges Geschäft Aus dem Englischen von Jochen Schwarzer Rowohlt, 384 S., 9,99 € Washington, D.C. Irakveteran Spero Lucas sucht verschwundene Dinge und stößt auf üble Vorstadtgangster. Ein braver Junge wird Augenzeuge eines Verbrechens. Spero hilft ihm. Nicht mit Lektüre, wie sein Bruder, der Lehrer. Mit Gewalt. Pelecanos webt an der Sozialgeschichte der USA im 21. Jahrhundert. Neue Serie. |
|
9 |
9 |
(7) |
David Ignatius: Der Deal Aus dem Englischen von Thomas A. Merk Rowohlt, 478 S., 9,99 € Pakistan/USA. US-Drohne pulverisiert Familie in Waziristan: Trouble für Obamas allergeheimsten Geheimdienst. Der kauft Terroristen den Schneid ab, mit massenhaft Geld. Störend realistisches Szenario des Washington Post-Kolumnisten Ignatius. So wird in der Finanzkrise Terrorismus bekämpft. |
10 |
10 |
(3) |
Matthew Stokoe: High Life Aus dem Englischen von Joachim Körber Arche, 448 S., 19,95 € Los Angeles. Jack will ein vollkommenes Geschöpf werden, einer wie Brad Pitt. Der Mord an seiner Frau Karen wird zum Start seiner Karriere. Vorgeblich auf der Suche nach dem Mörder, partizipiert Jack als Stricher, Lover, Killer voll am High Life: Snuff und Brutal-Sex inklusive. Nicht so raffiniert wie American Psycho, aber bös. |
Info:
Rund 1200 neue Kriminalromane erscheinen pro Jahr in Deutschland. Selbst ausgefuchste Leser verlieren angesichts dieser Masse den Überblick. Orientierung bietet aktuell die Mai Ausgabe der KrimiZeit-Bestenliste von ZEIT und NordwestRadio.
Die monatlich erscheinende Krimi-Bestenliste existiert seit März 2005, als sie erstmals auf der Leipziger Buchmesse, damals noch als KrimiWelt-Bestenliste vorgestellt wurde. Von März 2011 an wird sie regelmäßig an jedem ersten Donnerstag des Monats in der Wochenzeitung DIE ZEIT als KrimiZEIT-Bestenliste veröffentlicht.
Vorgestellt wird sie ab 5. Juli in den Literatursendungen des NordwestRadio ( mit Tobias Gohlis)
http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html unter www.zeit.de mit Kurzrezensionen der Juroren, Kommentaren des Jurysprechers („What’s New?“) und weiteren Informationen zu Büchern und Autoren („Krimiautoren A-Z“)
in der Wochenzeitung DIE ZEIT am 5. Juli 2012
Monatlich wählen achtzehn auf Kriminalliteratur spezialisierte Literaturkritiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der Masse der Neuerscheinungen die zehn Titel aus, denen sie viele Leser wünschen. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt über 1200 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem ersten Donnerstag im Monat geben Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.
Die Jury setzt sich zusammen aus:
Tobias Gohlis, Hamburg, Kolumnist DIE ZEIT, Moderator und Jury-Sprecher der KrimiWelt
Volker Albers, Hamburg, Hamburger Abendblatt, Herausgeber „Schwarze Hefte“
Andreas Ammer, Berg, „Druckfrisch“, Dlf, BRGunter Blank, Sonntagszeitung
Thekla Dannenberg, Perlentaucher
Fritz Göttler, München, Süddeutsche Zeitung
Michaela Grom, Heidelberg, SWR
Lore Kleinert, Bremen, Radio Bremen
Thomas Klingenmaier, Stuttgart, Stuttgarter Zeitung
Kolja Mensing, Berlin, Tagesspiegel
Ulrich Noller, Köln, Deutsche Welle, WDR
Jan Christian Schmidt, Berlin, Kaliber 38
Margarete v. Schwarzkopf, Köln, NDR
Ingeborg Sperl, Wien, Der Standard
Sylvia Staude, Frankfurt/M., Frankfurter Rundschau
Jochen Vogt, Elder Critic, NRZ, WAZ
Hendrik Werner, Bremen, Weser-Kurier
Thomas Wörtche, Berlin, Kolumnist, Plärrer , culturmag, DRadioKultur
In der Regel kommentieren wir die von der Jury neu plazierten Krimis. Alle weiteren plazierten Krimis der Vormonate entnehmen Sie bitte unseren Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie unter Kultur. Bücher oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Viermal darf inzwischen ein Buch einen Platz bekommen, dann scheidet es aus und hat nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die Ende Dezember herauskommt und die wir für 2011 ebenfalls kommentierten.
Die Einzelbesprechungen zu Fred Vargas:
http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/546-wir-sind-suechtig
http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/547-mehr-vom-skurrilen-personal
http://weltexpresso.tj87.de/index.php/buecher/590-wer-sie-ist-und-was-die-anderen-ueber-fred-vargas-und-ihre-kriminalromane-sagen
www.zeit.de/krimizeit-bestenliste http://www.radiobremen.de/nordwestradio/serien/krimizeit/index.html
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