Serie: Frankfurt liest ein Buch: Benjamin und seine Väter von Herbert Heckmann, Teil 3
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - „Die Zeit geht hin, und der Mensch gewahrt es nicht.“, sagte Dante Alighieri. Aber wir wollen angesichts des schon achten Males dieser Frankfurter Leseaktion, die einem gleichwohl vorkommt, wie immer schon dagewesen, doch innehalten und nachfragen, was das eigentlich ist: diese Frankfurter Leserei.
Erst einmal ist sie die heroische Tat des Frankfurter Verlegers Klaus Schöffling, weshalb er als ihr Erfinder gilt, auch wenn er immer auf amerikanische Vorbilder verweist. Er hat dann den Verein FRANKFURT LIEST EIN BUCH e.V. gegründet, dem er vorsitzt. Aber die Idee und die Wahl des Buches, welches mindestens zwei Wochen in Frankfurt weithin privat und öffentlich gelesen wird, wäre nichts ohne die Aufbauarbeit und die logistischen sowie organisatorischen Mühen von Lothar Ruske, dem Gestalter und Macher der Veranstaltungen.
Kein Wunder und hoch verdient ist der BKM-Preis Kulturelle Bildung der Bundesregierung für Kultur und Medien, der dem gemeinnützigen Verein FRANKFURT LIEST EIN BUCH für das regionale Lesefest als beispielhaftes Projekt der kulturellen Vermittlung im letzten Jahr verliehen wurde. Gleichzeitig wurde vorjährig gemeinsam in Frankfurt ein Buch gelesen, bei dem wir zum ersten Mal mit der Auswahl nicht einverstanden waren, weil es herkömmlichen literarischen Kriterien einfach nicht entsprach, was wir in einer Rezension (siehe unten) formulierten.
Problem: Es war ein Buch über die Entrechtung einer jungen jüdischen Musikerin in den Zeiten des Dritten Reiches, ihre Flucht und die Ermordung Frankfurter Juden, also ein ganz wichtiges Thema und auch ein Thema, das in der Literatur und auch im Frankfurter Aufarbeiten der NS-Vergangenheit immer noch zu kurz kommt, denn Frankfurt war eine Hochburg des Nationalsozialismus. Das wollen wir heute nicht weiter wahrhaben. Müßten es aber. Und auch Namen nennen.
Das mal vorneweg. Was wir uns dieses Jahr bei der Auswahl von Herbert Heckmanns BENJAMIN UND SEINE VÄTER nun alles fragen, kommt gleich. Erst einmal im 8. Jahr nun die Vorgänger, die wir Wikipedia entnehmen:
Jahr |
Buchtitel |
Autor |
Erscheinungsjahr |
---|---|---|---|
2010 |
Kaiserhofstraße 12 |
1978 |
|
2011 |
1977–1979 |
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2012 |
Straßen von gestern |
1983 |
|
2013 |
Ginster |
1928 |
|
2014 |
1973 |
||
2015 |
Grüße und Küsse an alle. Die Geschichte der Familie von Anne Frank |
2009 |
|
2016 |
Frankfurt verboten |
2013 |
|
2017 |
Benjamin und seine Väter |
1962 |
KAISERHOFSTRASSE 12 war und ist ein Klassiker für alle bewußten Frankfurter. Sein Autor Valentin Senger wurde, weil seine revolutionären Eltern das Zarenreich verlassen hatten, 1918 in Frankfurt geboren und wuchs in einem kommunistischen Elternhaus auf, so daß er wegen seiner jüdischen Herkunft und des familiären Engagements durch die Nazis doppelt gefährdet war. Dennoch überlebte die jüdische kommunistische Familie wohl als einzige in Frankfurt die Jahre der Diktatur und der Verschickung und Ermordung in den Vernichtungslagern – eben in der Kaiserhofstraße 12, die mitten in der Innenstadt liegt. Was an diesem Buch dann im Jahr 2010 eben auch aufzuarbeiten war, war nicht allein die Nazizeit in Frankfurt, sondern die ungeheuerliche politische Spitzel- und persönliche Vernichtungsarbeit der Nachkriegszeit denen gegenüber, die auch nur den Hauch des Kommunismus ausatmeten.
Welches Buch gibt eigentlich diesen dummen-dreisten gefährlichen Antikommunismus der Fünfziger, noch Sechziger Jahre in Westdeutschland wieder? Denn das wäre auch ein wichtiges Thema für FRANKFURT LIEST EIN BUCH, in dem ja nicht nur das Buch in all seinen Facetten gelesen wird, sondern die Zeit, in der es spielt, gespiegelt wird – notwendig Aufklärung für die allermeisten. Auf jeden Fall hatte man Valentin Senger Jahrzehnte die deutsche Staatsbürgerschaft verweigert, erst, weil er Redakteur der kommunistischen Sozialistischen Volkszeitung war, dann nach seiner Trennung von der KPD wegen seiner kommunistischen Vergangenheit. Ist das nicht unglaublich. Seinem 1958 gestellten Einbürgerungsantrag wurde erst im Juli 1981 entsprochen – das war nach dem Erscheinen des Buches! Mehr als peinlich. Fortsetzung folgt.
Foto: Cover Schöffling
Info:
Herbert Heckmann, Benjamin und seine Väter, Roman
Mit einem Nachwort von Peter Härtling
440 Seiten. Gebunden. Lesebändchen.
€ 22,00 €[A] 22,70
ISBN: 978-3-89561-482-8
Herbert Heckmann, Benjamin und seine Väter,
Audio-CD
Ganzlesung von Herbert Heckmann. Eine Produktion des Hessischen Rundfunks 1996
2 mp3-CDs. Spieldauer ca. 13 Stunden
€ 20,00 (UVP) €[A] 20,00
ISBN: 978-3-89561-481-1
Buchrezension vom letzten Jahr über FRANKFURT VERBOTEN
https://www.weltexpresso.de/index.php/buecher/6852-gut-gemeint