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23. goEast Filmfestival vom 26.April bis 2. Mai in Wiesbaden, Teil 8

Claudia Schulmerich

Wiesbaden (Weltexpresso) –
Den geschichtlichen und filmischen Hintergrund dieses Films hatten wir in https://weltexpresso.de/index.php/kino/28291-heute-eroeffnung-mit-aurora-s-sunrise schon einmal dargestellt. Aber es ist ein großer Unterschied, ob man aufgrund von Recherche über einen Film schreibt, oder ob man ihn mit eigenen Augen, wie an diesem Abend sieht, wobei den meisten Zuschauern nicht bekannt war, daß nach der Eröffnungsvorstellung im CALIGARI in Wiesbaden AURORA’S SUNRISE als AURORA - STAR WIDER WILLEN von ARTE ausgestrahlt wurde, also auch in der dortigen Kinemathek zu sehen ist.

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Daß man 18 Minuten der Originalaufnahmen des US-amerikanischen Films von 1919 gesehen hatte, enthüllten die Schlußinformationen. In der Wahrnehmung waren sie viel kürzer, sie sind aber das Fundament des Films, den Inna Sahakyan mit der au 5Unterstützung von Armenien, Deutschland und Litauen mit rekonstruierenden Animationsszenen auf 97 Minuten ergänzte. Im Abspann erhält man zusätzliche Informationen über die originale Schauspielerin Arshaluys Mardigian, die dem türkischen Völkermord an den Armenien entkommen konnte, Verwandten in den USA folgte und dort eine Aufklärungskampagne über den Genozid an ihrem Volk unterstützte, in dem sie einerseits die Hauptrolle in der Darstellung ihres eigenen Schicksals übernahm, dann aber zusätzlich die Filmvorführungen in einer Kampagne quer durch die USA begleitete. Im Abspann erscheint auch ihre Entscheidung, nach dem Film, in dem sie ihr eigenes Schicksal nachspielt und der mit einem Riesenerfolg an vielen Orten der USA lief, nicht mehr als Schauspielerin zu arbeiten. Sie war also nicht Schauspielerin, wie kolportiert wird, sondern spielte einmal sich selbst.

au2Diese Entscheidung kann man sehr gut verstehen, denn im Gegensatz zu dem großen Erfolg des Films, der mit einer Spendenaktion verbunden, Millionenbeträge in die Unterstützungskassen für Armenien spülte, zeigt der Film eine von den öffentlichen Vorführungen eher demotivierte Überlebende, die erkennt, daß aus ihrem Leben und dem Völkermord ein Geschäft geworden ist. Das aber sind die zusätzlichen Szenen, die über den damaligen Film natürlich hinausgehen, da sie die Rezeption des Films in den USA au 6mithineinnehmen. Das ist eine phänomenale Idee, weil dadurch die eigentliche Rekonstruktion des Films von 1919 zusätzlich reflektiert wird und damit auch der Umgang mit dem Film in den Vereinigten Staaten hinterfragt wird. Dazu trägt das Interview mit der 1994 verstorbenen Arshaluys Mardigian entscheidend bei, nach deren Tod übrigens erst die gezeigten und in diesem Film integrierten Originalaufnahmen von 1919 gefunden wurden.

Der eigentliche Film ist erschütternd. Ausgehend von einer Familie mit vielen Kindern wird paradigmatisch das Schicksal von Millionen von Armeniern dargestellt. Das glückliche Familienleben, das Miteinander der Armenier, die aufkommende Gewalt gegen sie, die von au7kleinen Verfolgungen zu einer Vertreibung führt, wobei die einen von den militanten Türken – eigentlich darf man nicht von der Türkei sprechen, weil die erst 1923 durch Kemal Atatürk als Nachfolgestaat des Osmanischen Reichs gegründet wurde – gleich niedergeschossen wurden, alle anderen vertrieben, was man in den dramatischen Originalaufnahmen in Schwarz-Weiß sieht, Aufnahmen in der Wüste, viele starben an Wassermangel und Erschöpfung, während die animierten Szenen insbesondere die Ermordung der einzelnen Mitglieder der Familie Mardigian zeigen und die Animation grundsätzlich in Farbe erscheint, allerdings in eher gedeckten Farben, Pastellfarben, die nur durch das Rot von Blut mörderische Qualität erhalten.

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Von der Familie kann sich nur Aurora in die USA retten, die aber fest daran glaubt, daß der jüngste Bruder überlebt hat und ihn von den USA aus sucht. Das wird ein ständiges Thema im Film, wobei ganz am Schluß aber auf einmal tatsächlich eine ihrer Schwester gefunden wird, die überlebt hat, was publizistisch groß ausgeschlachtet wird. Aber gerade diese Kommerzialisierung ihrer Gefühle und ihres Schicksals wird für Aurora wie oben erwähnt zunehmend unbefriedigend. Aber die öffentlichen Aufmerksamkeit konnte der Film von 1919 bezüglich des Schicksals des Völkermordes an den Armeniern leisten. Und was damals nur von wenigen als Genozid bezeichnet wurde, gilt heute in aufgeklärten Staaten eindeutig als Völkermord.




Fotos:
©Redaktion


Info:
Archivmaterial mit Animationen und exklusiven Ausschnitten aus dem als verschollenen geltenden Film Auction of Souls. 
Offizieller Beitrag Armeniens für die Oscars 2023

Originaltitel: Aurora's Sunrise
 Animation
 Armenisch, Englisch, Türkisch, Deutsch
 Kaleidoskop//FF2022

Armenien, Deutschland, Litauen
2022
96 min
OF mit engl. UT
Inna Sahakyan
Inna Sahakyan, Kerstin Meyer-Beetz, Peter Liakhov
Christian Beetz, Inna Sahakyan, Vardan Hovhannisyan, Justė Michailinaitė, Kęstutis Drazdauskas

REGIE
INNA SAHAKYAN (*1977 in Armenien) ist eine armenische Regisseurin und Produzentin. Ihr Dokumentarfilm The Last Tightrope Dancer in Armenia (2009) wurde mehrfach ausgezeichnet. Die Arbeit an ihrem monumentalen Projekt Aurora – Star wider Willen dauerte sieben Jahre.

www.filmfestival-goeast.de