Swr.defilmSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 11. April 2024, Teil 8

Redaktion

Berlin (Weltexpresso) –Wie würden Sie die Tonalität Ihres Films beschreiben? Pathos und Kitsch sind nicht Ihr Ding, nichts sollte gefaked wirken. Warum?



Ich erzeuge gern Magie im Realismus. Authentizität muss sein, aber ich mag auch poetisches Erzählen und fühle mich in der Tragikomödie zuhause. Das passt auch zu meiner Identität: Kurden sind ein extrem humoriges Volk, trotz der Tragödien, die ihnen bis heute widerfahren. Ich kann gut witzige, leichte Sachen schreiben, aber da ist immer auch eine Ernsthaftigkeit und Tiefe, aufgrund meiner Biografie. Ich will jede Figur auf Augenhöhe erzählen, mit größter Authentizität und so dicht und human wie möglich. Und dabei immer unterhaltsam sein.

„SIEGER SEIN“ wirkt nie gelackt oder bilderbuchhaft. Im Gegenteil: Berlin, die Kids, die Schule, alles ist schonungslos rotzig, heftig, nervig, laut.

Ich kann es nicht ertragen, Kinder anzulügen oder ihnen etwas vorzugaukeln. Natürlich muss man sie auch beschützen. Ich versuche ja auch Krieg audiovisuell darzustellen, ohne Kids im Kino zu traumatisieren. Aber ich möchte ihnen gleichzeitig vermitteln: Ihr habt jetzt in der Klasse vielleicht auch Flüchtlinge aus der Ukraine, Palästina, Iran, Syrien, Afghanistan oder einer kurdischen Region - und so fühlt es sich an. Ich habe gelernt: Wenn man selbst authentisch ist, begegnen einem Menschen auch mit Authentizität. Und ich möchte authentisches Kino machen, ob für Zuschauer:Innen, die etwas mit dieser Geschichte zu tun haben oder nur eingeladen werden, es nachzuempfinden. Auch wenn eine Story woanders stattfindet, sind wir Teil einer gemeinschaftlichen Welt.

Wann wurde Ihnen klar, dass Ihre Story um ein Zurechtfinden und Zusammenfinden, um Fußball als universelle Sprache das richtige Sujet für einen Film sein würde?

Spätestens 2017, als ich meinen Lehrer zufällig wiedertraf, auf einem Benefizkonzert. Er sah noch genau so aus, inklusive Bart und Ohrring. Die Story hatte in mir geschlummert, aber da fing sie Feuer: Ich wollte schon lange die Geschichte dieses Mädchenteams erzählen, aus der Perspektive einer Geflüchteten, die durch Fußball, durch eine Mannschaft und einen Lehrer wieder ein Zuhause findet und akzeptieren kann, dass ihr Leben sich verändert hat. Intuitiv erzählte ich die Geschichte in einer Ich-Form, aber als Mona, als hätte ich mich kurz zurückgedacht in meine Kindheit. Der Lehrer versorgte mich später mit Stapeln Fotos und Zeitungsauschnitten, das füllte meine traumatischen Lücken.

Welche traumatischen Erinnerungen hatten Sie mit zehn, elf Jahren durchlebt?

Ich habe Flucht und Krieg bewusst miterlebt, Raketenangriffe auf Duhok, wo ich aufgewachsen bin. Zwei-, dreimal sind wir mitten aus dem Schlaf gerissen worden und mussten uns verstecken. Erst flohen wir Richtung türkische Grenze, dann nach Iran, zu einer Bauernfamilie, dann ging es wieder zurück nach Duhok, bis mein Vater endgültig floh und uns nachholte. Emotional weiß ich alles noch genau: dass niemand mit uns vorher geredet hat, dass wir plötzlich in einem Auto saßen und es hieß, es geht in die Türkei und von dort nach Deutschland. Aber ich wollte nicht weg, meine Brüder auch nicht. Wir haben so geheult in diesem Auto. Unsere Familie war politisch aktiv, zwei Onkel sind umgekommen. Einen hat man verschwinden lassen, ihn konnte die Familie nicht mal beerdigen. Sein Künstlername lautete Solin, ich wurde nach ihm benannt und mein Name anglisiert: Soleen.

Der Prozess des Filmemachens ist sehr komplex und sehr langwierig. Welche Phasen waren einfacher, welche schwieriger?

Das Schreiben war nicht einfach, aber lief geschmeidig. Die Finanzierung lief auch total gut, weil sich Förderer, Gremien und Sender schnell für diesen besonderen Kinderfilm ausgesprochen haben. Aber bei so vielen Kinderfiguren braucht man einfach viel mehr Drehtage - Kinder dürfen ja nicht so lange arbeiten wie Erwachsene. Da schmilzt jedes komfortable Budget zu Low Budget zusammen. Diese Phase war schmerzhaft, weil man sich von Dingen verabschieden muss, ohne den Kern zugrunde zu richten.

Wie fanden Sie die jungen Darsteller:Innen, allen voran Ihre großartige Mona?

Das Casting mit Jacqueline Rietz, eine der erfahrensten Kindercasterinnen, hat fast anderthalb Jahre gedauert, auch durch die Lockdowns. Wir suchten großflächig über Social Media, Sportsvereine, Kulturvereine. Ich bin selbst öfter mal in Schulen rein, habe Flyer verteilt oder Spiele von Jugendvereinen angeschaut. Bei Dileyla Agirman war schnell klar, dass wir mit ihr ein Juwel gefunden hatten: Sie hat eine großartige Ausstrahlung, Charisma und die richtige Körperlichkeit, weil sie Kampfsport betreibt. Selbst frühreife Polit-Phrasen hörten sich von ihr ganz natürlich an, weil sie ebenfalls aus einem kurdischen, politisch sehr wachen Haus kommt. Als sie feststand, bauten wir das Team um sie herum. Bei den beiden, die Jasmin und Terry spielen, war es auch eindeutig. Dann tauchten auch noch Geschwister auf, die für Ayla und Aysel vorsprachen, die eine war sogar wie ein Fußball-Profi! Ich dankte dem Universum, weil endlich einige wenige auch gut Fußball spielen konnten. Alle anderen Mädchen bekamen Fußball- und auch Schauspielcoaching.

Wie echt sind die Fußballszenen in "Sieger sein"?

Jedes Match war durchchoreografiert, wir luden echte Vereine als Gegner ein. Der Dreh war eine riesige logistische Herausforderung. Wir brauchten ja auch jede Menge Doubles für die Fußaufnahmen. Das Fußballspielen sollte ja richtig gut aussehen und nicht peinlich.

Was war bei all der Mühe der wundervollste Moment?

Das Bergfest, als wir zum ersten Mal 15 Minuten vom bisherigen Dreh zeigten. Das werde ich nie vergessen, wie diese Kinder erst große Augen machten und dann Rotz und Wasser heulten, sich in die Arme fielen und so stolz waren auf sich! Bis dahin hatten sie sich nicht vorstellen können, wie sie wirken oder wie der Film wird. Diese pure Emotion hat mich total geflasht und gab mir viel Kraft für die weitere Reise. - Berührend war auch, mit Dileyla und Familie für die Kurdistan-Szenen in die Heimat zu reisen. Sie war noch nie dort. Die Familie gehört zur Minderheit der Jesiden, und wir besuchten zusammen Lalish, die heilige Stätte, die jeder Jeside einmal im Leben besuchen sollte.

Das große Finale steht dem Film noch bevor: „SIEGER SEIN“ ist eingeladen in den Berlinale- Wettbewerb Generation Kplus. Wie reagierten Sie auf die Zusage?

Ich war damals Corona-krank, hatte sogar die Postproduktion verschieben müssen und war erschöpft, total am Ende. Und dann kam diese großartige Nachricht! Ich habe mich riesig gefreut. Und was das für eine krasse Erfahrung für die Kinder sein wird! Sie werden sich ein Leben lang daran erinnern, dass sie sich in so einem Kino sehen, mit vielen Gästen, mit stolzen Eltern im Publikum und dem roten Teppich! Ich kann mich genau an mein erstes Mal auf der Berlinale erinnern, 2012 in der „Perspektive Deutsches Kino“ mit meinem Drittjahresfilm „Trattoria“. Das war das erste Mal, dass meine Eltern sahen, was ich mache, warum ich Film studiert habe und nicht Medizin, Jura oder zumindest Architektur. Als sie mit dem Premierenpublikum im Saal saßen, meinen Film auf der Leinwand sahen und all diese Sichtbarkeit und Anerkennung spürten, haben sie verstanden, warum ich das Filmemachen liebe.

 


BIOGRAFIE SOLEEN YUSEF

Soleen Yusef wurde 1987 in der Stadt Duhok im kurdischen Teil des Irak geboren. Sie war neun Jahre alt, als ihre Familie sich entschloss, aus politischen Gründen nach Deutschland zu flüchten. In Berlin machte sie 2005 ihr Abitur im Bereich Mode und Bekleidung. Danach folgte eine zweijährige Gesangs- und Schauspielausbildung an der ACADEMY Bühnenkunstschule Berlin wie auch parallel eine Ausbildung zur IHK- Modenäherin. Außerdem arbeitete Soleen Yusef als Produktions,- Regie,- und Vertriebsassistentin in der Filmproduktion und Verleihfirma mîtosfilm.

Ab 2008 studierte sie an der Filmakademie Baden-Württemberg Szenische Regie. Ihr Drittjahresfilm TRATTORIA feierte 2012 seine Premiere auf der Berlinale in der Sektion Perspektive Deutsches Kino. Aufgrund ihrer besonderen Studienleistungen an der Filmakademie Baden-Württemberg wurde Soleen Yusef das Deutschlandstipendium 2012/2013 verliehen. Zudem nahm sie 2013 als Stipendiatin des Landes Baden- Württemberg an einem fünfwöchigen Workshop der Filmakademie an der UCLA in Los Angeles teil.

Ihr Debütfilm HAUS OHNE DACH, den Soleen Yusef 2015 in ihrer Heimatstadt Duhok gedreht hat, ist zugleich ihr Diplomfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg. Seitdem war die Regisseurin für mehrere internationale Serienproduktionen tätig, unter anderem für Netflix und Amazon Prime. Für Disney+ drehte sie 2022 die Miniserie SAM - Ein Sachse.

Neben der Entwicklung eigener Kinofilme und Serienprojekte wird Soleen Yusef 2024 ihr Herzensprojekt SIEGER SEIN in die Kinos bringen. Der Kinderfilm, der von DCM produziert wird und seine Weltpremiere im Februar 2024 im Berlinale-Wettbewerb GENERATION KPLUS feiert, wird ab April bundesweit in den Kinos zu sehen sein.

Foto:
©Verleih

Info:
„Sieger sein“, Spielfilm, Deutschland 2024, 119 Minuten, FSK ab 6 Jahre, Filmstart 11. März 2024
Regie/Drehbuch Soleen Yusef mit Dileyla Agirman, Andreas Döhler und anderen. 
Die Reihe Generation auf der Berlinale 
Erste Besprechung von „Sieger sein“

 Abdruck aus dem Presseheft