Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 11. April 2024, Teil 7
Redaktion
Berlin (Weltexpresso) – Frau Yusef, „SIEGER SEIN“ ist nicht rein fiktiv, sondern angelehnt an Ihre eigene Lebensgeschichte als Kind. Wieviel Fakt und wie viel Fiktion stecken darin?
Zu 70, 80 Prozent sind die Gegebenheiten so erzählt, wie sie tatsächlich stattfanden. Oder subjektiv empfunden wurden. Ich bin Kurdin, wuchs in der Autonomen Region Kurdistan im Irak auf, in der damals noch Kleinstadt Duhok, meine Familie floh 1996 nach Deutschland. Mein Vater ging voraus, die harte Fluchtroute mit Schleppern und konnte uns glücklicherweise nachholen, sobald er einen Aufenthaltstitel hatte. Beide Elternteile waren in den demokratischen Parteien in Kurdistan sehr engagiert - und damit gegen das irakische Regime, das uns Kurden bekämpfte. Von 1980 bis 1988 tobte zudem der Golfkrieg zwischen Iran und Irak. Irgendwann entschieden meine Eltern, dass wir Kinder nicht länger in Kriegsverhältnissen aufwachsen können.
Ihre junge Heldin Mona stammt aber nun aus Syrien...
Weil der Krieg in Irak und die resultierende Fluchtwelle so weit zurück liegen, habe ich es auf Syrien adaptiert. Mona hätte aber genauso gut Afghanin sein können. Aber bei einem kurdischen Hintergrund kenne ich mich einfach besser aus. Das ist viel näher dran.
Kamen Sie gleich nach Berlin-Wedding?
Nein, erstmal nach Ostfriesland! Etwa ein halbes Jahr hielten wir uns in einer Flüchtlingsunterkunft in Rhauderfehn bei Leer auf, von dort ging es ein Jahr nach Wolfsburg. 1997 oder 1998 kamen wir nach Berlin. Das war die erste längere Station meines Lebens, und ich verbrachte die fünfte und sechste Klasse in einer sehr wilden Grundschule im Wedding. Später habe ich erfahren, dass man sie Problemschulen nannte.
Sie wussten also: Berlin ist keine Durchgangsstation mehr, sondern hier wird - und muss! - sich Ihr neues Leben abspielen?
Genau. Meine Eltern hatten Familie, Freunde und politische Weggenossen in Berlin. Das war ihnen wichtig, eine Community in der Fremde zu haben. Das hat ja auch mit ihrer Identität zu tun. Sie freuten sich auf Berlin...
... und dann kam Wedding, der legendäre, harte, triste, aber auch bunte Bezirk Berlins.
War echt 'n hartes Pflaster, ja! In der Schule ging es extrem ruppig und respektlos zu. Von zuhause kannte ich noch Fahnenappell, Schuluniformen und Schläge mit dem Lineal. Selbst in Ostrhauderfehn und Wolfsburg gab es nicht diese Härte im Umgang miteinander wie in Wedding. Die Direktheit, dass man nicht willkommen war, war hart. Ich war Außenseiterin, sprach nicht gut Deutsch, wurde gehänselt und gemobbt. Das Einzige, worin ich mich beweisen konnte, war der Sport. Meinem Klassenlehrer fiel auf, dass ich Talent im Fußball habe, und der holte mich in die neue Mädchenfußballmannschaft. Er wollte den jungen Frauen, die aus schwierigen gesellschaftlichen Verhältnissen kamen, über den Fußball Kraft und Selbstbewusstsein vermitteln. Was auch funktionierte!
Der Lehrer half also nicht nur Ihnen in Ihrem Integrationsprozess, sondern gab auch anderen Kids mit Problemhintergrund einen positiven Impuls. Würden Sie aus heutiger Perspektive sagen, dass er für Sie eine lebensverändernde Person war?
Definitiv! Dank seiner Empfehlung musste ich nach der sechsten Klasse nicht auf die Hauptschule, wie die offizielle Empfehlung lautete, sondern wurde auf einer großartigen und sehr diversen Gesamtschule aufgenommen, wo ich meine mittlere Reife gemacht habe und später mein Fachabitur an einem OSZ machte. Wir waren zu der Zeit erst zwei Jahre in Deutschland. Er schrieb, das sind gute Schüler, die brauchen nur Zeit. Das stimmte auch, mein Bruder und ich waren Einser-Schüler in der Heimat. Dieser Lehrer, ich nannte ihn Herrn Che, half mir also nicht nur, meinen Platz in der Schule zu finden. Ohne seinen Einsatz hätte ich nie studiert, wäre nie Filmemacherin geworden.
Wie schwierig war das Einleben für Sie und die Familie auf dem fremden Pflaster?
Mein Vater - das habe ich auch im Film eingewoben - musste tagein, tagaus arbeiten, es ging ja auch ums wirtschaftliche Ankommen. Eigentlich ist er Ölingenieur, in Berlin schuftete er halt erstmal auf dem Bau. Meine Mutter war mit Fortbildungen beschäftigt. Wir Kinder sollten gleich Einsen in der Schule schreiben, sprachen aber noch schlecht Deutsch. Wir waren für unsere Eltern natürlich ein Symbol für eine bessere Zukunft. "Euch stehen alle Türen offen für eine gute Bildung", hörten wir von ihnen, "nutzt das!" Aber als Kind? Da hast du Angst, dass du keine Freunde findest, dass du nicht ankommst, dass man dich nicht mag. Was ja auch der Fall war.
Mona und Soleen haben aber dieselbe Passion für Fußball?
Früher in Kurdistan war ich wirklich tagein, tagaus mit Fußball beschäftigt, vor allem, weil ich mit meinen Brüdern auf den Straßen gespielt habe, also wirklich harten Straßen-Fußball. Mädels haben dort kaum mitgespielt, Fußball galt schon etwas als Rebellion. Aber dadurch, dass ich zwei ältere Brüder hatte, wurde ich überall mithingezogen.
Im Film wird ein vermeintliches Vorurteil gedreht: Man geht erst davon aus, dass Mona als Mädchen keinen Fußball spielen "darf" - dann bittet ihre Mutter sie sogar wieder zu spielen, "das macht Dich glücklich". Wie war es bei Ihnen?
Das war nie ein Thema. Wir waren eine Straßengang, da haben alle mitgespielt. Es gibt Länder, die haben Fußball im Blut. Bei den Kurden ist das so - sie lieben Fußball. Frauen spielen auch, aber es wird halt nicht so gefördert. Meine Eltern haben mir nicht immer, aber dann öfter Support dabei gegeben, gerade meine Mutter hat meine Eigensinnigkeiten gern unterstützt. Ich war ein Wildfang, war ständig mit Jungs unterwegs und später halt im Schulteam.
Hat es das Berliner Schulturnier also auch in Wirklichkeit gegeben?
Das Turnier war echt, die erste Niederlage war echt, mein Weinen war echt. Ich habe zwei Turnierjahre zu einem kondensiert, im zweiten haben wir gewonnen. Ich stand im Tor. Als Torwart musst du dich der Gefahr entgegenwerfen, du bist die letzte Instanz, die etwas ausschalten kann. Ich glaube, es hat die anderen beeindruckt, dass ich keine Angst vor dem Ball hatte. Vielleicht hatte ich auch einfach nichts zu verlieren.
Waren Sie direkt am Sieg beteiligt?
Ja. Ich habe das letzte Tor gehalten, trotz verstauchter Hand. So haben wir gesiegt. Aber im Film wollte ich es anders erzählen, sonst wäre das zu cheesy, wenn die Hauptfigur so hero-mäßig rüberkommt, wie in einem US-Film. Ich wollte etwas über ein Team und ein Zusammenfinden erzählen. Dass man zusammen etwas schafft. Beim Siegen geht es nicht um einzelne Personen, sondern um einen Gewinn für alle. Gemeinschaftssport steht für das Optimum, wie es im Leben laufen kann: gemeinsam ein Ziel zu erreichen.
Fortsetzung folgt
Foto:
©Verleih
Info:
„Sieger sein“, Spielfilm, Deutschland 2024, 119 Minuten, FSK ab 6 Jahre, Filmstart 11. März 2024
Regie/Drehbuch Soleen Yusef mit Dileyla Agirman, Andreas Döhler und anderen.
Die Reihe Generation auf der Berlinale
Erste Besprechung von „Sieger sein“