Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 30. März, Teil 5
Claudia Schulmerich und Romana Reich
Frankfurt am Main/Berlin (Weltexpresso) - Auch beim zweiten Anschauen ist Aki Kaurismäkis Film etwas fürs Auge und fürs Herz. Beim zweiten Blick fallen sogar so viele bedeutsame kleine Details auf, daß man danach noch glücklicher aus dem Kino geht. Wenigstens unsereiner.
Es ist bei den Filmen wie im Leben. Nicht jedes ist für jeden passend. Für uns und Kaurismäkis neuestes Werk ist der Wiener Spruch zutreffend: passt scho! Dem Film liegt ein Grundgefühl von Trauer und Hoffnung gleichermaßen zugrunde, das in den skurrilen und vielseitigen Filmfiguren leibhaftig wird. Wir haben von unserer lobenden Besprechung auf der Berlinale 2017 fast nichts wegzunehmen und viel hinzuzufügen.
Hier der Link: https://weltexpresso.de/index.php/kino/9107-toivon-die-andere-seite-der-hoffnung
Nur eine kleine Korrektur. Wir schrieben, daß die Ehefrau genug von ihm habe. Das stimmt nicht und kam sicher daher, daß sie den Ehering, den er – herrlich dieses überkommene Ritual – stumm vom Finger abzieht und vor sie auf den Tisch mit dem Riesenkaktus legt, anschließend in den überfüllten Aschenbecher wirft. Ihr Zigarettenkonsum und der Kaktus als Ende einer Ehe vermitteln schon in ihrer Kargheit Hellsichtigkeit. Also, er, Wikström, hat genug und verläßt die Wohnung. Denn den Hausschlüssel hat er zum Ehering dazugelegt, aber ansonsten haben sich auch vom Ablauf, nicht nur von der Einschätzung her, keine Abweichungen ergeben. Und diese ist nicht weiter wichtig, denn, wer auch immer ging, beide sind alleine auch nicht glücklicher, weshalb sie am Ende ihre Einsamkeit lieber zusammen weiterleben.
Die Kurzfassung des Films nach Verleihangabe: Khaled (Sherwan Haji), ein junger Syrer, gelangt als blinder Passagier nach Helsinki. Dort will er Asyl beantragen, ohne große Erwartungen an seine Zukunft. Wikström (Sakari Kuosmanen) ist ein fliegender Händler für Männerhemden und Krawatten. In der Mitte des Lebens angekommen, verlässt er seine Frau, gibt seinen Job auf und profiliert sich kurzfristig als Poker-Spieler. Von dem wenigen Geld, das er dabei gewinnt, kauft er ein heruntergewirtschaftetes Restaurant in einer abgelegenen Gasse von Helsinki.
Als die finnischen Behörden entscheiden, Khaled in die Ruinen von Aleppo zurückzuschicken, beschließt er, illegal im Land zu bleiben. Wikström findet ihn schlafend im Innenhof vor seinem Restaurant. Vielleicht sieht er etwas von sich selbst in diesem ramponierten, angeschlagenen Mann. Jedenfalls stellt er Khaled als Putzkraft und Tellerwäscher an.
Für einen Moment zeigt uns das Leben seine sonnigere Seite, aber schon bald greift das Schicksal ein. Der Ausgang des Films bleibt offen, er führt entweder in ein respektables Leben oder auf den Friedhof. Für in die Enge getriebene Menschen bietet beides Vorzüge.
DIE ANDERE SEITE DER HOFFNUNG erzählt davon, dass jeder Melancholie ein fast rebellischer Zug der Hoffnung innewohnt. Und zeigt das Leben als Wechselspiel von ständiger Sehnsucht und schwankender Hoffnung, von fast märchenhafter Menschlichkeit und kaltem Realismus.
Aki Kaurismäkis Filme sind bekannt für ihren lakonischen, skurrilen und minimalistischen Stil. Seine Helden waren immer die „kleinen Leute“: Außenseiter, Arbeiter und Arbeitslose – die Verlierer der Gesellschaft. Seit Le Havre hat Kaurismäki den Kosmos seiner filmischen „Underdogs“ um eine globale Komponente erweitert. Um diejenigen, die auf der Flucht sind und jetzt in der sozialen Hierarchie ganz unten stehen.
Mit den Worten des Regisseur Aki Kaurismäkis: „Mit diesem Film möchte ich gern, soweit das möglich ist, die europäische Blickweise aufbrechen, in Flüchtlingen entweder ausschließlich bedauernswerte Opfer oder nur anmaßende Wirtschaftsimmigranten zu sehen, die in unsere Gesellschaften eindringen, bloß um uns die Jobs zu klauen, unsere Frauen, unsere Häuser und unsere Autos.
Das sind Klischees und Vorurteile. In der europäischen Geschichte sind ihre Entstehung und Akzeptanz mit einem unheilvollen Nachhall verbunden. Ich gebe zu, dass DIE ANDERE SEITE DER HOFFNUNG bis zu einem gewissen Grad das ist, was man unter einem tendenziösen Film versteht. Es ist ein Film, der ohne Skrupel die Ansichten und Meinungen seiner Zuschauer verändern will, indem er, um dieses Ziel zu erreichen, ihre Gefühle manipuliert.
Ein solcher Versuch muss natürlich scheitern. Was aber, so hoffe ich, davon übrig bleiben wird, ist eine integre und etwas melancholische Geschichte, die der Humor vorwärts trägt. Ein ansonsten fast realistischer Film über gewisse menschliche Schicksale in der Welt, in der wir heute leben.“
Info:
Aki Kaurismäki
Finnland / Deutschland 2017
Finnisch, Englisch, Arabisch
98 Min · Farbe · 2K DCP, 35 mm
mit Sherwan Haji, Sakari Kuosmanen, Janne Hyytiäinen, Ilkka Koivula, Nuppu Koivu