KT und Feminismus 1 2019Zum Kongress Kritische Theorie und Feminismus, Teil 1/3

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die anzunehmende Beziehung von Kritischer Theorie und Feminismus lässt keine abschlusshafte Positionsbestimmung zu (und kein PRÄ), da sie mit einer Spannung korreliert, auf die es ankommt.

Es kann auch nicht bloß auf eine Spannung und daraus ableitbare Beziehung von Weiblich-Männlich fokussiert werden, das bliebe in Mechanik beschränkt. Was das Dialektische angeht, ist es zunächst auch nur formal zu stipulieren. Dialektik ist ein offener, unabsehbar schwieriger Prozess.

Gegenwärtige Beiträge können immer nur ein Versuch der Klärung sein. Das ergaben Einsichten, die anlässlich des Kongresses ‚Kritische Theorie und Feminismus‘, der sich kürzlich an der Frankfurter Universität im Festsaal Casino zutrug, vorgetragen wurden. Das Thema des Kongresses barg viel an Offenheit, die Selbstbefugnis zu erörtern ist schon auch anmaßend, aber notwendig. Liegt in der Natur der Sache. Klar ist, kein Geschlecht kann über das andere per definitionem dominieren. Alles muss ausgehandelt werden.

Das ist wichtig in Zeiten, in denen von schlichten Charakteren von Gender-Gaga geredet wird, weil sie gewaltsam nach ihrer Seite auflösen wollen. Das reicht bis in den neo-konservativen Trend der jungen Konservativen hinein, die sich selbst nicht hold sind, und dann alle Welt dafür verantwortlich machen. Sie gieren förmlich nach dem Rollback. Ein Jens Spahn schaut, wenn er redet, dauernd nach innen. Er bespiegelt ständig sich selbst. Kann er überhaupt aus sich heraus?

Die Dialektik der Aufklärung gehört zum Grundbestand einer jeden Bildung

Sie zog im Buch 'Dialektik der Aufklärung' das Fazit, dass die Menschheit „sich im Fortschritt hat Furchtbares antun müssen“. Der Kongress gründete, analog Kritischer Theorie, auf dieser These. Wer glaubt, dies abtun zu können, irrt. Der Kongress fußte auf der Einsicht, dass die Dialektik, wie sie in der Odyssee Homers mit allen Höhen und Tiefen verzeichnet ist, den männlichen Charakter als allgemein-menschliches Subjekt statuiert. Danach ist die Frau (‚das Weib‘) vorrangig Naturwesen, auch als Bild von der Natur; sie ist auf Natur verwiesen; sie sei nicht Subjekt. Damit verbindet sich die Rückprojektion in eine mythische Frühzeit, die eine der Nicht-Männlichkeit gewesen sein könnte, eine matriarchalische. In Zeiten der grotesken Männlichkeit hat das Matriarchat etwas Anziehendes. Aber das Matriarchat kann auch nicht einfach ausgerufen werden.

Das Frausein gilt als vorzugsweise an die Verkörperung einer biologischen Funktion gekettet, männliches Sein aber sei an den Zivilisationsprozess geschmiedet, den es dirigiert. Leben wird nach dem ganz Abstrakten und dem ganz Konkreten polarisiert, getrennt aufgelöst, nach Mann/Weib. In der Unterdrückung der Natur bestehe der Ruhmestitel dieser Zivilisation, wie Sebastian Winter zum Thema ‚Antigenderismus – Abwehr des Sexualitätsdilemmas‘ ausführte.

Verdinglichung ist um uns herum

Sie wurzelt im Warencharakter. Die alltägliche Umwelt war für die Kritische Theorie von dauernden Schrecknissen des Alltags gekennzeichnet. Der Terminus Verdinglichung ist die Zentralkategorie der Kritischen Theorie. Unter anderem ist sie besonders mit der Geschichte des Warencharakters verknüpft, von der Vorstellung also begleitet, dass Menschen, die entfremdet arbeiten, auf der Suche nach ihrem Wesen sind, wenn sie die Kaufhäuser entern, um dort nach ihrem entfremdeten Anteil unter Dingen zu suchen, die ihnen entfremdete Arbeit beschert hat. Beim Autoposer, der mein Schreiben akustisch begleitet, verdinglicht sich das männliche Wesen im Aufröhren einer extra eingebauten Auspufffunktion und es ist unmittelbar einsichtig, was damit eigentlich gemeint sein und demonstriert werden soll.

Gefangen im Weltbild der Dichotomie

Der Begriff des Weltbilds war für Adorno eine entsetzliche Kategorie. Das Männliche verbindet sich also mit dem ganz Abstrakten, das Weibliche aber sei so ganz mit dem Konkreten vermählt. Frau als ganz konkret und Mann als ganz abstrakt sind zur Realität gewordene Gender-Klischees. Vielmehr käme es darauf an, die Spannung zwischen den Polen zu einem schöpferischen Prozess werden zu lassen, zu einem Katalysator, wenn nicht dieser Begriff auch schon wieder sehr sich nach männlich anhören würde, aufgrund der Endung mit -or. Sigmund Freud und Jacques Lacan arbeiteten sich a) am Männlichkeitsdilemma, b) an dem Mangelwesen-Verhaftetsein der Frau ab, jeder in eigener Weise. Die Orthodoxie damaliger Zeit ist für uns Heutige nicht mehr haltbar, sie sei nicht das Letzte, Anderes ist möglich. Eine immer wieder angesprochene Offenheit Freuds ist nicht abgegolten, sie hat offene Durchblicke. Leider nur verbindet sich mit der Selbstfixierung des Mannes eben auch der Frauenhass und die sexuelle Gewalt. Der ganz Fremde ist dann auch der, der aus der abgelegensten Fremde daherkommt, er ist in Teilen auch als weiblich, sozusagen als schwach, bedürftig, ungesichert konnotiert.

Zu erinnern sei an das Gemälde „Tor zur Hölle“, von Alfred Kubin, 1900, das auf die Frau gemünzt ist. Dualismus war angesagt: Mann echt gut, Frau eher weniger gut bis richtig schlecht. Leitet sich aus der Dichotomie nicht auch der autoritäre Charakter ab, mit der Abspaltung und Verleugnung des Femininen (so auch im Selbst des Mannes), die einerseits die Verachtung, andererseits den Fetisch und das werbe- und objekt-psychologisch platzierte Imago der Frau begründet. In der Frauenfeindschaft schlummert generell der Hass auf die Machtlosen. Der Referent zeigte ein Foto von einem Reichsbürgergrundstück, dass opulent mit Deutschland-Fahnen bestückt ist. Der Einschluss der Fahnen-Erotik korrespondiert mit dem Ausschluss des jeweils ganz Anderen, der Frau und des Fremden. Das Schwärmerische geht ins Leere, Dingliche. Dem gegenüber lagert mit dem Fremden auch die Frau, die sublime Kunst und die Zartheit. Die sakrale Bindung an den Führer erinnert mächtig an die schwärmerische Verliebtheit, den Personenkult. Hitler hat das genutzt und damit die Gewalt dem Volk aufgepfropft.

Dem Männlichkeitskult der Gewalt lag der Ausspruch von Björn Höcke äußerst nahe als er sprach: „Ich sage, wir müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken“ (am 18.11.2915). Der Mann hat das Problem, das von einer „gewaltsam entfremdeten Spaltung“ (Sebastian Winter) Ausgang nimmt. Zwischen Mann und Nichtmann (‚Weib‘) geht da nicht etwas durcheinander, bleibt unaufgehellt, unerkannt? Der Vorwurf der Verkopftheit, den der Antisemitismus jüdischen Menschen nachsagt (‚Der Jude als Kulturindustriemonster‘), wirft ein Abgespaltenes frontal gegen das Andere, als Projektion. Es ist das, was fehlt, aber auch eines, das anzieht. Gewalt soll vom unerledigten Problem ablenken und Befriedigung bringen.

Die Kritische Theorie hat das Modell der Dialektik gesteigert, ohne daraus eine festgefügte Theorie zu machen. Es kommt auf das an, was die Kritische Theorie als Anstrengung des Begriffs bezeichnet hat. Diese liefert keine Ergebnisse, die man getrost nach Hause tragen könnte. Wer das nicht begreift, kann in der Gewalt enden, die das überformte, verhohlene Geheimnis der Rechten ist.

Foto:
Flyer Forum kritischer Wissenschaften

Info:
Panel IV: Psychoanalyse und Kritische Theorie:

Samstag, 9. Februar 2019 · Sebastian Winter: Antigenderismus – Abwehr des Sexualitätsdilemmas.

Vorschlag zur Dialektik:

Die Dialektik ist als Einheit des Widerspruchs definiert

Das ist verhältnismäßig formal ausgesagt. Dialektik arbeitet in sich selbst immer bereits dialektisch (das „je schon“ prägte die Seminare), in einem ‚regressum ad infinitum‘, der nicht formal abzuleiten oder als Geschichte (Historie) voraus zunehmen ist. Bestenfalls innerhalb enger Grenzen. Dialektik wendet sich auf sich selbst zurück, im selbstbezüglichen Zirkel einer Spiralbewegung. Denkbar wäre sowohl Aufstieg als auch Abstieg (etwa politisch, aber auch historisch). Die Stalinisten und die DDR haben diese komplexe Lehre, die eine Phänomenologie des Geistes ist, unsäglich vulgarisiert und aus ihr einen Popanz gemacht. Hierzu liegt noch ein Buch aus der DDR-Zeit vor. Das Buch ist zum Fortlaufen. Dialektik ist eigentlich etwas sehr Verwinkeltes, mit Adorno gesagt: Vertracktes. Auf ihr ausruhen kann sich niemand. Deswegen konnte auch ein Hegel nicht von schlichter geistiger Natur sein.

Basis ist der Dreischritt. Die These [eine Gestalt des Lebens] tritt einer anderen Gestalt entgegen (der Antithese), besser: tritt quer in sie ein bis es zum offenen Konflikt kommt (z. B. Moderne und Postmoderne und vieles mehr). In einem Prozess der Auseinandersetzung kommt es zu einer bestimmten Art Synthese von sich im wesentlichen widersprechenden Gestalten. Etwas relativiert sich, ohne aufgehoben werden zu können. Es ist gesellschaftlich betrachtet naheliegend, das Konzept auf den Gang der Geschichte zu beziehen, in dem auch Leidenschaften, also beiläufige (kontingente) Eigenschaften wirken. Dadurch wird die Sache komplizierter oder besser gesagt: sehr unkalkulierbar.

Auf einen Aspekt wäre besonders hinzuweisen: Mit der neuen Form der Synthesis, die dann auch wieder in einer Häutung bzw. Abstoßung zur darauffolgenden These wird, kommt es dazu, dass die alte Gestalt des Lebens „aufgehoben“ wird. In diesem Terminus verbirgt sich die doppeldeutige Natur des Prozesses, die die menschliche Sprache uns selbst bereits liefert. Einerseits bedeutet ‚aufgehoben‘, dass die alte Gestalt überwunden, zurückgelassen wird, andererseits ist sie auch aufgehoben in dem Sinne, dass sie implizit überdauert (gleichsam auch gerettet wird), wenngleich modifiziert und transformiert. Unsere Sprache enthält also auch immer selbst schon Dialektik, prinzipiell und akzidentell. Von schematischen Vorstellungen, nach Art des sowjetischen DIAMAT ist gänzlich abzusehen. Die Doppelnatur von „aufgehoben“ ist von der Sprache her genial.

Die Teile der Serie in WELTEXPRESSO

1. Weiblich/männlich-dialektisch – ohne DIAMAT und PRÄ
https://weltexpresso.de/index.php/lust-und-leben/15236-weiblich-maennlich-dialektisch-ohne-diamat-und-prae
2. Nichtidentisches und Identität
https://weltexpresso.de/index.php/lust-und-leben/15238-nichtidentisches-und-identitaet
3. Für eine Kritik der schlechten Allgemeinheit ist Benjamin zuständig
https://weltexpresso.de/index.php/lust-und-leben/15240-fuer-eine-kritik-der-schlechten-allgemeinheit-ist-benjamin-zustaendig