Zum Kongress Kritische Theorie und Feminismus, Teil 3/3
Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Das Grundsatzreferat kam mit dem Vortrag von Karin Stögner zum Thema ’Weiblichkeit und Widerspruch. Spuren einer kritischen Theorie der Geschlechterverhältnisse bei Benjamin und Adorno‘. In diesem letzten Teil wurde auch das Instrumentarium der Begriffe und Formulierungen, die im Bewusstsein der Gebildeten vielfach schon verblasst sind, wieder aufgefrischt.
Damit war das Ende einer vorläufig langen Strecke erreicht. Was kann die Kritische Theorie für eine Rekonstruktion des Feminismus beitragen?
Ist eine feministische Entwicklung aus der Kritischen Theorie heraus möglich?
Etwas im feministischen Sinn Werdendes scheint in der Kritischen Theorie vorzuliegen, in Form von Bildhaftigkeiten und aufblitzenden Möglichkeiten. Eine explizite Theorie liegt nicht vor. Das Verhältnis von Weiblichkeit und angetanem Unrecht ist zunächst ein Seitenstück der Vernunftkritik. Es kann aber mehr daraus werden. Es scheint, dass Walter Benjamin Adorno im entwickelten Diskurs über die Dialektik der Gewalt Adorno einiges voraushatte. Zentral ist beiden die „Kritik des Allgemeinen, das sich repressiv gegen das Besondere wendet“. Benjamin bewegte sich aber sensorisch und phantasmatisch in seinem Paris als Hauptstadt des 19. Jahrhunderts.
Die Position, die Benjamin einnahm, war die vom unvermittelt Messianischen, das sich gegen Historismus und verdinglichte Universalgeschichte auflehnt und in die Wirklichkeit einschlägt. Er war von der unmittelbar gepackt werdenden Solidarität mit den Ausgegrenzten förmlich besetzt. Die Prostituierte wurde ihm dafür zum exzeptionellen Sinnbild. Entsprechende Passagen sind analog der Kritik des Tauschs und des Warencharakters, von dem alles geschlagen ist. Diese in schriftstellerische Sprache gefasst, machten ihn zu einem Marx von anderer Art. Er ist ein Freud konkret, der Marx verpflichtet bleibt.
Der Mensch geht nicht im Begriff vom Menschen auf. Die Frau nicht im Begriff von der Frau, der Mann nicht im Begriff vom Mann. Das Motto der instrumentellen Vernunft ist: „nichts darf mehr draußen bleiben“ und die Pole müssen geschieden werden. Die Sprache aber liefert Bilder, die doch Teil jener Identität sind, gegen die sie sich richten. Das Andere ist das immerdar Bedürftige. Die Identitätslogik ist der „Ausdruck des falschen Allgemeinen“. Das Ersehnte sei aber „die Identifizierung des nicht Identifizierbaren, des Mannigfaltigen“.
Ohne Angst verschieden sein können
Das gilt auf allen Ebenen der Kultur und des Alltags, in der Gala auf der Bühne der Berlinale wie im Berufsleben und privat. Der Begriff „sei gleich ungleich des Ungleichen“, da „subsumptorische Gewalt“ und „Gleichmacherei“ vorherrsche. Die Kritische Theorie leistet „die Kritik des Allgemeinen“ und präferiert „die Hinwendung zum Besonderen“. Schlagend war der Satz der Kritischen Theorie: „Das Ganze ist das Unwahre“, „es gibt kein richtiges Leben im falschen“. Das begründet den ‚säkularen Messianismus‘ eines Walter Benjamin.
Das Zurück zur Natur der Jugendbewegung des beginnenden 20. Jahrhunderts war von Asexualität gekennzeichnet, die unbefleckte Reinheit wurde zur negativen Folie antisemitischer Personifizierung im Begriff vom kosmopolitischen Juden, der die Kultur beherrsche. Das Weibliche verkörpert das Bild des verworfenen Anderen. ‚À une passante‘, nach einem Gedicht von Baudelaire, wird zum Sinnbild des Partikularen, das unhaltbar vorübergeht und Trauer überträgt ob der Nichtrückholbarkeit des Entschwundenen und zugleich Unauslöschlichen. In den Frühschriften, im Jugendkontext, hatte Benjamin eine Kritik der Geschlechterverhältnisse angeschlagen. Er wandte sich gegen Antisemitismus und Nationalismus, die Ungetüme der ausgrenzenden Logik des Völkischen, die in den Abgrund führen.
Unwahrheit des Begrif
In den Jugendschriften entwickelte er eine Metaphysik der Jugend und des Studentischen. Die mit derartigen Arbeiten befasste Masterstudentin Norina Müller referierte 2017 in der Universität 360 º (Frankfurt am Main) zum Thema: ‚Die Universität als „Stätte der beständigen geistigen Revolution“?‘ – ‚Zur Bedeutung studentischer Kritik‘ *). Womöglich ist Walter Benjamin der eigentliche Gewährsmann für die Formulierung einer neuen Geschlechteridentität in den Zeiten eines Donald Trump, ein wenig mehr noch als Adorno. Vielleicht hätte Benjamin der Ausdruck ‚Transgender‘ zugesagt: sich über das eigene Geschlecht erheben und sich nicht identitär mit ihm solidarisieren.
Die Mimesis rekonstruieren und wiedergewinnen
Bei Benjamin schwingt immer auch die „Klage identifizierender Sprache mit, die reduziert, was nicht mitteilbar ist“. Dieses wird in die Gosse gestoßen. Die Sprache des Menschen hat sich in eine „Überbenennung“ verhoben, auf diese Unangemessenheit hinzudeuten, war der Referentin Karin Stögner die sehr begreifliche Leidenschaft. Der schlagende und identifizierende Allgemeinbegriff ist das Memento des Unwahren und ein Skandalon. Als Gegenbild dient die Lyrik der Sappho - die als 10. Muse anerkannt war - und ihrer Freundinnen. Ihre Arbeit wurde von Platon geschätzt, offenbar wegen der Angemessenheit des Begriffs zu den Verhältnissen, einer „leibhaften Mimesis“.
Identitätslogik konterkarieren
Voraussetzung ist immer die „Bedürftigkeit des Anderen“. Sie trifft auf die Herrschaft „des falschen Allgemeinen“. Die Identifizierung des Nichtidentifizierbaren, in sich Mannigfaltigen, ist die naturgemäße Aufgabe der neu-sinnlich gewendeten aufklärerischen Arbeit des Begriffs, um der „Identitätslogik zu entkommen“. Die Geschichtsphilosophischen Thesen Benjamins haben Sprengcharakter für den Konformismus des Gothaer Programms. Die naive Fortschrittsgläubigkeit und das Konzept der rücksichtslosen Naturbeherrschung, obwohl längst ein alter Hut, sind immer noch in Kraft.
Benjamin war auch ein glänzender Feuilletonist, aber im Regelfall liegt im Feuilleton auch Gefahr, wie Benjamin wusste. Die Referentin schloss mit der Metapher: „Es bedarf des bewegten Begriffs gegen das Schubladisieren“, die leider das „Schicksal von Schriften“ ist.
Der Kongress Kritische Theorie und Feminismus war gut besucht. Von den Aalglatten und Betriebsamen waren weniger gekommen, aber was noch nicht ist, kann ja noch werden. Gründe dafür gibt es genug.
Foto:
www.wbenjamin.de/fundsachen
Info:
Panel IV: Psychoanalyse und Kritische Theorie:
Samstag, 9. Februar 2019 · KEYNOTE · Karin Stögner: Weiblichkeit und Widerspruch. Spuren einer kritischen Theorie der Geschlechterverhältnisse bei Benjamin und Adorno
Abschlussdiskussionhttps://www.forumkw.de/
Die Teile der Serie in WELTEXPRESSO
1. Weiblich/männlich-dialektisch – ohne DIAMAT und PRÄ
https://weltexpresso.de/index.php/lust-und-leben/15236-weiblich-maennlich-dialektisch-ohne-diamat-und-prae
2. Nichtidentisches und Identität
https://weltexpresso.de/index.php/lust-und-leben/15238-nichtidentisches-und-identitaet
3. Für eine Kritik der schlechten Allgemeinheit ist Benjamin zuständig
https://weltexpresso.de/index.php/lust-und-leben/15240-fuer-eine-kritik-der-schlechten-allgemeinheit-ist-benjamin-zustaendig