covid deutschlandfunk.deGedanken und Thesen zum Corona-Ausnahmezustand, Teil 2//3

Rolf Gössner

Bremen (Weltexpresso) - Siebtens: Auch die parlamentarische Demokratie leidet unter der „Corona-Krise“: Die Opposition scheint zeitweise weitgehend lahmgelegt, die demokratische Kontrolle ausgehebelt. „Die Angst vor der Krankheit hat die Demokratie aufgegessen“, diagnostiziert der Publizist Jakob Augstein („Der Freitag“).

So erfolgte Ende März 2020 die Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes, auf das u.a. die Versammlungs- und Kontaktverbotsmaßnahmen gestützt werden, weitgehend widerspruchslos im Schnellverfahren – ohne Experten-Anhörungen und ohne Politikfolgenabschätzung. Obwohl es sich doch um Maßnahmen von großer Tragweite handelt. Auf dieser neuen gesetzlichen Grundlage kann der Bundestag die sogenannte epidemische Lage von nationaler Tragweite ausrufen, sobald eine „ernsthafte Gefahr für die öffentliche Gesundheit“ festgestellt wird – mit der Folge, dass weitreichende Macht- und Entscheidungsbefugnisse vom Parlament auf den Bundesgesundheitsminister übertragen werden. Diesen Gesundheitsnotstand hat der Bundestag gleich nach der Gesetzesnovellierung Ende März 2020 öffentlich deklariert. Der Bundestag muss die Feststellung dieser Notlage wieder aufheben, „wenn die Voraussetzungen für ihre Feststellung nicht mehr gegeben sind“. Wie und nach welchen Kriterien dies festgestellt und entschieden werden soll, bleibt jedoch vollkommen offen. Diese Feststellungsermächtigung des Bundestags ist befristet bis zum 31.03.2021; auch vom Bundesgesundheitsminister in einer epidemischen Lage ohne Zustimmung des Bundesrates erlassene Rechtsverordnungen treten erst danach außer Kraft, falls der Bundestag die „Lage“ nicht schon früher aufhebt.

Achtens: Nach dem Infektionsschutzgesetz, das sich streckenweise wie ein Polizeigesetz liest, können der Bundesgesundheitsminister und zuständige Behörden zur Gefahrenabwehr – unter Umgehung der ärztlichen Schweigepflicht und des Datenschutzes – Meldepflichten anordnen, Quarantäne-Bestimmungen erlassen, die Unverletzlichkeit der Wohnung durchbrechen, Vorgaben zur Versorgung mit Medikamenten und Schutzausrüstung machen, Einschränkungen der Bewegungs- und Reisefreiheit sowie Aufenthalts- und Kontaktverbote verfügen, ebenso Tätigkeitsverbote für bestimmte Berufsgruppen, Verbote von Veranstaltungen bis hin zur Schließung öffentlicher und privater Einrichtungen etc. Die Verbote der Bundes- und Landesbehörden sind mit Polizeigewalt durchsetzbar, Zuwiderhandlungen werden mit zuweilen drastischen Bußgeldern und Strafen bedroht.

Darüber hinaus ist der Bundesgesundheitsminister gemäß Infektionsschutzgesetz ermächtigt, Ausnahmen von geltenden Gesetzen und Verordnungen zu verfügen. Mit solchen Regelungen wird die verfassungsrechtliche Bindung der Regierung an Gesetze unterlaufen. Solche Blanko-Ermächtigungen der Bundes-Exekutive ohne parlamentarische Kontrolle und Ländermitwirkung (Bundesrat) unterminieren die Verfassungsgrundsätze der Gewaltenteilung und des Föderalismus, weshalb diese Ermächtigungsnormen nach Auffassung etlicher Verfassungsrechtler*innen verfassungswidrig sein dürften.

Neuntens: In der Krise besteht die Gefahr, dass ohnehin problematische Trends noch verstärkt werden: So etwa die seit Jahren forcierte staatliche Überwachung. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) strebt anlässlich der „Corona-Krise“ weiterhin die Ortung von Handys an, die aber zunächst noch verhindert werden konnte: Auf diese Weise könnten automatisiert Bewegungs- und Verhaltensmuster der Mobilfunk-Nutzer erstellt werden, um festzustellen, mit welchen Personen Infizierte an welchen Orten und zu welchen Zeiten Kontakt hatten. Das wäre ein schwerer Verstoß gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.

Die Weitergabe anonymer Telekommunikationsdaten u.a. durch die Telekom an das Robert-Koch-Institut ist bereits Praxis. Ebenso Corona-Datenspende-Apps in Kombination mit Fitnessarmbändern und Smartwatches. Und künftig sollen es Apps auf Handys richten, die über Bluetooth sämtliche Kontakte zu anderen Handys mit Apps in der Nähe registrieren und für bestimmte Zeit speichern. Damit könnten im Falle der Infizierung eines der Handybesitzer die Kontaktpersonen auf digitalem Wege informiert werden, mit dem Ziel, dass sich die Betroffenen Corona-Tests unterziehen oder gleich in Quarantäne begeben. Die App-Nutzung solle auf „freiwilliger Basis und anonymisiert“ erfolgen. Ob das wirklich funktioniert, ist fraglich, vor allem wenn nicht eine starke Mehrheit von Handybesitzern solche Apps installiert. Denn eine solche Mehrheit wäre nötig, damit dieses Instrument überhaupt ausreichend Wirkung entfalten kann. Damit könnte sich der Druck auf Mobilfunk-Nutzer*innen derart steigern, dass Freiwilligkeit nicht mehr gegeben wäre. Dies wäre übrigens auch der Fall, wenn demnächst etwa die Zulassung zu Kinos, Theatern, Konzerten oder Auslandsreisen vom Besitz einer Corona-App abhängig gemacht würde, um Kontakte und Ansteckungsketten besser nachverfolgen zu können.

Im Übrigen ist bezüglich solcher Technologien schon deshalb besondere Vorsicht geboten, weil die digitale Überwachung sozialer Kontakte mehr als heikel wäre – und möglicherweise ein Einfallstor für weitere Begehrlichkeiten, wie etwa die verpflichtende Nutzung solcher Apps und möglicherweise auch für andere Zwecke. Von einigen Gesundheitsbehörden, wie etwa in Niedersachsen, werden bereits datenschutzwidrig und damit illegal persönliche Daten von Corona-Infizierten und Kontaktpersonen an die Polizei gemeldet. Außerdem flogen auch schon Polizei-Drohnen, so in Hessen und NRW, um Corona-Kontaktregeln aus der Luft zu überwachen und Menschen im öffentlichen Raum per Lautsprecher von oben zu ermahnen. Whistleblower Edward Snowden warnte angesichts der Corona-Überwachungsmaßnahmen und -pläne bereits vor einem weiteren Schritt in den Überwachungsstaat.

Zehntens: Noch eine Trend-Verstärkung droht im Zuge der „Corona-Krise“: Die Militarisierung der „Inneren Sicherheit“. So wird die Bundeswehr bereits per Amtshilfe im Logistik- und Sanitätsbereich und für Desinfektionsaufgaben unterstützend eingesetzt – was durchaus sinnvoll sein kann. Sie hat bereits 15.000 Soldaten für den Inlandseinsatz zur Unterstützung von Ländern und Kommunen mobilisiert, bereitet sich aber im Notfall auch auf die Unterstützung der Polizei vor, u.a. mit Militärpolizisten der Feldjäger für "Ordnungsdienste“ und zum Schutz kritischer Infrastrukturen (Spiegel 27.03.20, IMI-Standpunkt 2020/010; bislang wohl noch nicht realisiert). Polizeiähnliche Exekutivbefugnisse des Militärs im Inland sind verfassungsrechtlich höchst umstritten, da Polizei und Militär, ihre Aufgaben und Befugnisse strikt zu trennen sind – eine wichtige Lehre aus der deutschen Geschichte. Die Bundeswehr darf nicht zur nationalen Sicherheitsreserve im Inland werden, schon gar nicht mit hoheitlichen Kompetenzen und militärischen Mitteln. Gleichwohl ist in den vergangenen Jahren ein solcher Trend zu verzeichnen. Doch Soldaten sind keine Hilfspolizisten, sie sind nicht für polizeiliche Aufgaben im Inland nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, sondern zum Kriegführen ausgebildet und mit Kriegswaffen ausgerüstet; und sie sind auch nicht dafür da, real existierende personelle Defizite der Polizei in Bund und Ländern auszugleichen.

SCHLUSS FOLGT

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Info:
Dr. Rolf Gössner ist Anwalt, Publizist, Kuratoriumsmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte sowie Mitglied der Jury zur Verleihung des „BigBrotherAwards“.

Dieser Text in drei Teilen ist die ergänzte und aktualisierte Langfassung eines Beitrags, der in gekürzter Version in der Zweiwochenschrift für Politik/Kultur/Wirtschaft „Ossietzky“ Nr. 8 v. 18.04.2020 erschienen ist ( HYPERLINK "http://www.ossietzky.net/8-2020&textfile=5113" http://www.ossietzky.net/8-2020&textfile=5113). Die Redaktion.

Den ersten Teil des Artikels finden Sie unter
https://weltexpresso.de/index.php/zeitgesehen/19256-buergerrechtliche-orientierung-fuer-offene-kritische-debatte